So viel Spannung bei der französischen Präsidentenwahl gab es noch nie. Selten waren so viele Wähler unentschlossen, für wen sie stimmen sollten, waren die Umfragen so knapp, die Folgen so unberechenbar. Bei dieser Wahl geht es um alles: das Schicksal Frankreichs, die Zukunft Europas.
Gleich vier von elf Kandidaten hatten Aussichten, am 7. Mai in die Stichwahl zu kommen: François Fillon (63, Les Républicains), Marine Le Pen (48, Front National), Emmanuel Macron (39, En Marche!), Jean-Luc Mélenchon (65, France insoumise). Sie lagen in den Umfragen dicht aufeinander.
Nun kommen laut ersten Hochrechnungen Macron und Le Pen weiter. Macron erreicht 23 bis 24 Prozent und Le Pen 21,6 bis 23 Prozent der Stimmen. Die Wahlbeteiligung war wie bereits vor fünf Jahren hoch und lag laut Schätzungen bei rund 80 Prozent.
Falls sich die Hochrechnungen bewahrheiten, kommt es nun zum Duell der Extreme.
Globalisierung gegen Abschottung
Zwei neue, unberechenbare Kräfte stehen sich dann gegenüber. Die eine hat sich über Jahre mit deftigen Parolen positioniert: gegen alles Fremde, die EU, Muslime, Einwanderer, aber für die Nation, das Vaterland, für «Frankreich zuerst». Der Front National will zurück in eine Vergangenheit, die es nie gab, zur vermeintlichen Grande Nation, von der Welt abgeschottet.
Es sind dieselben erschütternden Sehnsüchte der von der Globalisierung Abgehängten, der Enttäuschten, der Wütenden, die bereits zum Brexit und zu Präsident Trump geführt hatten. Unter einer Präsidentin Le Pen wäre ein Frexit möglich – und damit droht dem europäischen Projekt endgültig das Ende.
Die andere Kraft ist ein unbeschriebenes Blatt ohne starke Partei im Rücken: In Macron und seiner Bewegung En Marche! sehen viele, vor allem überzeugte Europäer, eine erneuernde Strömung, die Frankreich einen kann – mit Macron als wirtschaftsliberaler, proeuropäischer Heilsfigur.
Andere sehen ihn als Kaviarlinken, als Blender, der mit Pseudoreformen von oben doch nur am alten System festhalten wird. Und damit einem Sieg Le Pens in fünf Jahren den Weg ebnet. Der bekannte französische Soziologe Didier Eribon (63) etwa sagte kurz vor der Wahl: «Wer Macron wählt, wählt Le Pen.»
Kampf der Outsider
So oder so bedeutet die Konstellation Macron gegen Le Pen das Ende einer Epoche: Bei den meisten Wahlen schafften es zwei gemässigte Kandidaten in die zweite Runde. Doch jetzt lösen sich nicht mehr länger die Vertreter der traditionellen Regierungsparteien, der Sozialisten und der Konservativen, an der Macht ab. Nun kommt es zum Kampf der Outsider.
Und damit zu einem passenden Finale angesichts dieses merkwürdigen Wahlkampfes voll irrer Wendungen. Erst starben die Favoriten weg: Ex-Präsident Nicolas Sarkozy und Noch-Präsident François Hollande, dann stürzte François Fillon über die Scheinbeschäftigung seiner Ehefrau auf Staatskosten. Aussenseiter wie Macron und der Linkspopulist Mélenchon nutzten dies zu ihren Gunsten. Für die Traditionsparteien ist die Niederlage historisch. Für sie geht es nun nur noch darum, Le Pen zu verhindern.
Ausgerechnet mit dem Profiteur Macron könnte dies gelingen: Fast alle bisherigen Umfragen sehen ihn am 7. Mai als Sieger über Le Pen.