Die Luzerner Polizei war am 9. März 2016 wegen einer Hanfplantage in eine Gebäude in einem Weiler bei Malters eingedrungen. In dem Haus hielt sich die psychisch kranke Mutter des Hanfanbauers auf. Sie erschoss sich während des Polizeieinsatzes.
Der Kommandant der Luzerner Polizei, Adi Achermann, und der damalige Chef der Kriminalpolizei, Daniel Bussmann, mussten sich deswegen im August 2018 in zweiter Instanz vor dem Kantonsgericht Luzern wegen fahrlässiger Tötung verantworten. In erster Instanz waren sie freigesprochen worden – nun wurden sie auch in zweiter Instanz freigesprochen.
Sohn wirft Unverhältnismässigkeit vor
Gegen den erstinstanzlichen Freispruch der beiden Polizeikader hatte der Sohn der Frau Berufung eingelegt. Der Hanfanbauer war während des Polizeieinsatzes in Untersuchungshaft gewesen. Er wirft der Polizei vor, unverhältnismässig gehandelt und damit den Suizid der Mutter provoziert zu haben.
Nach der ersten Berufungsverhandlung sahen sich die Richter jedoch nicht im Stande, ein Urteil zu fällen. Es liess in einem Gutachten abklären, ob das Opfer zum Zeitpunkt des Suizides urteilsfähig war oder nicht. Dieses liegt nun vor und geht mit grosser Wahrscheinlichkeit davon aus, dass die Frau an einer paranoiden Schizophrenie litt.
Suizid sei unter Druck erfolgt
Der Anwalt des Privatklägers, Oskar Gysler, betonte in seinem Plädoyer, dass die Frau den Entscheid zum Suizid nicht frei sondern unter Druck gefällt haben müsse. Der verstorbenen Frau fehlte es an Erkenntnisfähigkeit, es lag eine verzerrte Wahrnehmung der Realität vor. Sie glaubte, für längere Zeit in der Psychiatrie bleiben zu müssen. Und: «Sie erhielt nicht die von ihr geforderte Bedenkzeit», sagte er. Dies sei einer Verweigerung gleichzusetzen.
Die Tatsache, dass die Frau nicht Einlass in ihre Wohnung gewähren wollte, zeige, dass die Frau die Realität verkannte, sagte der ausserordentliche Staatsanwalt, der Aargauer Christoph Rüedi. Die Abwägung, dass sie den Suizid einem Klinikaufenthalt vorzog, mache keinen Sinn. «Dies ist kein Vernunftsentscheid», so der Staatsanwalt. Sie fühlte sich offenbar in eine Ecke gedrängt.
Frau sei «wach, bei Bewusstsein und orientiert» gewesen
Die Verteidigung der beiden Beschuldigten betonte, dass die Gutachter feststellten, die Frau sei während der Telefongespräche mit der Polizei «wach, bei Bewusstsein und orientiert» gewesen. «Die Frau konnte dominant ihre Absicht kundtun, sich nie mehr eine Psychiatrie einliefern zu lassen.» Die Frau habe zu jeder Zeit einen «intakten Realitätsbezug» gehabt.
An der zweiten Berufungsverhandlung fand zudem eine weitere Zeugenbefragung mit dem Chef der Intervention statt. Und zwar wegen eines Funkverkehrs kurz vor dem Zugriff.
An der ersten Verhandlung im August hatte der Anwalt des Privatklägers gesagt, ein Auszug aus dem Funkprotokoll zeige auf, dass für die Einsatzleitung schon früh klar war, dass der Zugriff vor dem Mittag stattfinden sollte - unabhängig von der Lageentwicklung.
Das Protokoll der Funkgespräche
Der befragte Zeuge sagte vor Gericht, er sei am zweiten Tag des Einsatz um 6 Uhr vor Ort gewesen. Es standen Lage-Rapport und Schichtwechsel bevor. «Dabei kam heraus, dass sich während der Nacht nichts verändert hatte», sagte er. Die Frau blieb nicht verhandlungsbereit. Er erhielt den Auftrag, Varianten auszuarbeiten, wie der Einsatz weitergehen könnte.
Um 9.12 Uhr funkte der Chef der Intervention mit dem Chef der Sicherungsschützen. Er habe ihm mitgeteilt, dass das Ziel sei, gegen 11 Uhr den Zugriff zu machen. Er fügte an, «auch wenn die Frau schlafen geht oder sich in einem Zimmer verschanzt».
Hier hakte der Gerichtsvorsitzende nach. Er wollte vom Zeugen genau wissen, welche Bedingungen dann erfüllt sein mussten, dass der Zugriff erfolgen konnte.
Das Einsatzteam an der Front müsse bereit sein, die Sicherungsschützen, die Ablenkungstruppe und der Notarzt ebenso, sagte der befragte Zeuge. Zudem müsse die Frau gesichtet werden können, und sie dürfe die Waffe weder in der Hand noch griffbereit haben. «Ist dies alles der Fall, könnten die Leute an der Front in Eigenregie den Zugriff auslösen», sagte er.
Kläger sieht Widersprüche
Nach 11 Uhr habe er vom Gesamteinsatzleiter Daniel Bussmann dann tatsächlich grünes Licht erhalten, die Zugriffsvariante mit dem Hund durchzuführen. Gegen 12 Uhr gab er dieses an die Front weiter. «Ab diesem Moment mussten alle Bedingungen erfüllt sein», sagte er. Erst dann erfolgte der Zugriff.
«Wäre die Frau bereit gewesen, Gespräche zu führen, wäre der Zugriff nie und nimmer dann erfolgt», beteuerte er. Der Anwalt des Privatklägers sah in diesem Vorgehen weiterhin Widersprüche. «Es deutet vieles darauf hin, dass die Intervention durchgeführt werden sollte, egal, was passierte», sagte er. (SDA)