Es ist Mittag am Bahnhof in Brugg AG. Rund um den Bahnhof sitzen ein halbes Dutzend Männer betont gelangweilt herum. Doch die Männer warten auf keinen Zug, sondern auf ihren nächsten Kunden. Es sind Drogendealer, wie ein Kenner der Szene dem BLICK bestätigt.
Das Territorium der jungen Männer mit Bart, Dächlikappen und Trottinett liegt nur wenige Meter neben dem Areal der Psychiatrischen Dienste des Kantons Aargau. Süchtige auf Entzug, die in der Klinik Königsfelden in Behandlung sind, müssen alle hier vorbei. Es ist ein Drogenmarkt direkt vor der Entzugsklinik.
Wie der Deal abläuft, wird gekonnt vertuscht. Immer wieder verschwindet einer der Männer ums Eck, nachdem er mit einem Kunden gesprochen hat. Kurz darauf erscheint er wieder. Die Positionierung der Truppe wechselt dauernd. Mindestens zwei der Dealer sind immer sichtbar.
Heroinabgabe gleich um die Ecke
Gleich im ersten Gebäude auf dem Areal der Psychiatrischen Dienste, etwa 100 Meter vom Bahnhof entfernt, befindet sich ein wichtiger Teil des Zentrums für Abhängigkeitserkrankungen. Hier ist die Abgabestelle für Methadon, Heroin und retardiertes Morphin. Über 700 Aargauerinnen und Aargauer sind im Substitutionsprogramm. Jeden Tag erhalten hier über hundert Süchtige den Stoff für ihre Therapie.
Nick* (37) ist einer von ihnen. Seit 20 Jahren ist er heroinabhängig. Er ist zum x-ten Mal in Behandlung. Dieses Mal scheint er auf gutem Weg zu sein. «Ich brauche nur noch wenig Methadon und eine Schlaftablette für die Nacht», sagt er stolz. Doch der Weg sei schwierig. Die Dealer, die sogar auf das öffentlich zugängliche Areal der Klinik kommen, gefährden seinen Entzug. «Uns werden täglich Drogen angeboten, das ist ein Riesenproblem. Dass die einfach so rumlaufen dürfen, macht mich wütend», sagt er zu BLICK.
Alles bekannte Gesichter
Die Dealer sind bekannt. Ein stationärer Patient kann auf Fotos alle Männer am Bahnhof identifizieren. Zwei der Männer sind sogar selber in der Klinik in einer Substitutionstherapie. Auch die restlichen Dealer waren früher einmal auf Entzug in der Klinik.
Bekannt sind sie auch bei der Polizei. Am Nachmittag kommen zwei Dreierteams der Kantonspolizei Aargau auf das Gelände. Sie kontrollieren sämtliche Dealer. Taschen werden durchsucht, Personalien abgeklärt. Doch die Drogen haben die Männer nicht bei sich, sondern irgendwo gebunkert. Die Beamten müssen die Männer ziehen lassen.
Das Problem mit den Drogenhändlern ist der Klinikleitung bekannt. «Wir arbeiten eng mit der Regionalpolizei Brugg und der Kantonspolizei Aargau zusammen», sagt Patrik Roser (43), Chefarzt und Leiter des Zentrums für Abhängigkeitserkrankungen. «Wir treffen uns mindestens zweimal im Jahr, tauschen uns über die Entwicklung der Drogenszene aus und beraten uns, wie wir die bestehenden Massnahmen optimieren können.»
Polizei: «Festnahmen sind schwierig»
«Wo es ein suchtmedizinisches Angebot gibt, zieht es Dealer an. Das ist ein bekanntes Problem», sagt Roser. Grundsätzlich werde aber jeder Handel mit Drogen angezeigt. «Wir wollen ja einen Schutzraum bieten, um den Umgang mit der Sucht zu lernen. Solche Vorfälle stören das System. Auf den Stationen gilt ein strenges Regime. Wer sich nicht dran hält, muss gehen.»
Die Polizei setzt vor allem auf Abschreckung mit uniformierten Patrouillen. «Durch die sichtbare Präsenz an bekannten Hotspots verunsichern wir die Dealer und schaffen Sicherheit», sagt Roland Pfister von der Kantonspolizei Aargau. «Festnahmen sind schwierig, es muss jedes Mal bewiesen werden, dass ein Verkauf stattfindet.»
Das beste Mittel gegen die Dealer haben aber die Patienten von der Entzugsklinik in der Hand. «Sie müssen lernen, den Reizen zu widerstehen, sagt Chefarzt Roser. «Die Therapie soll in den Alltag überführen. Draussen gibt es immer wieder Versuchungen.»
Augentropfen für Kiffer, Tropfen gegen Alkoholfahne
Zum Beispiel auch die Versuchung, die Exzesse zu vertuschen. So warten zwischen Bahnhof und Klinik nicht nur die Dealer auf die Entzugswilligen, sondern auch ein Selecta-Automat mit rezeptfreien Arzneimitteln der Onlineapotheke Zur Rose. Es gibt Augentropfen für Kiffer, Tropfen gegen Mundgeruch zur Überdeckung der Alkoholfahne, Schnelldrogentests um den Drogenpegel im Blut abzuchecken. Die Firma sieht keinen Zusammenhang mit dem Drogenhandel vor der Entzugsklinik. Pascale Ineichen, Sprecherin der Apotheke: «Das Produkt-Sortiment ist nicht standortspezifisch und in allen Apo-Boxen dasselbe.» Insgesamt gibt es zehn solche Automaten an Bahnhöfen in der Schweiz.
* Name geändert
Drogensumpf vor den Toren der Klinik. Das gleiche Problem wie in Windisch AG zeigt sich auch in Bern, wie die «Berner Zeitung» letzten Sommer schrieb. Vor den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern (UPD) floriert der illegale Drogenhandel. Heroin, Kokain, Amphetamine. Sogar in der Klinik seien Dealer unterwegs, sagte ein Süchtiger auf Entzug. Auch das Personal der Klinik bestätigte, dass es ein massives Drogenproblem auf der UPD gäbe. Die Klinikleitung verteidigte die laschen Kontrollen. Als Therapieeinrichtung hätten sie keine rechtliche Handhabe für obligatorische Kontrollen. Zudem würde stärkere Polizeipräsenz auch der Therapie schaden, die sich auf ein freundliches Umfeld stütze.
Drogensumpf vor den Toren der Klinik. Das gleiche Problem wie in Windisch AG zeigt sich auch in Bern, wie die «Berner Zeitung» letzten Sommer schrieb. Vor den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern (UPD) floriert der illegale Drogenhandel. Heroin, Kokain, Amphetamine. Sogar in der Klinik seien Dealer unterwegs, sagte ein Süchtiger auf Entzug. Auch das Personal der Klinik bestätigte, dass es ein massives Drogenproblem auf der UPD gäbe. Die Klinikleitung verteidigte die laschen Kontrollen. Als Therapieeinrichtung hätten sie keine rechtliche Handhabe für obligatorische Kontrollen. Zudem würde stärkere Polizeipräsenz auch der Therapie schaden, die sich auf ein freundliches Umfeld stütze.