Im Frühjahr 1965 war ich als Redaktor bei einer Zürcher Wochenzeitung beschäftigt und erhielt dort im Büro eines Tages Besuch von einem früheren Klassenkameraden. Er hiess Herbert Stark, genauer Dr. Herbert Stark, am genauesten Jack.
Er bat mich um einen Rat. Er habe während seines Jura-Studiums, das er mit dem Staatsexamen abschloss, freizeitlich ein wenig für Zeitungen gearbeitet und jetzt ein festes Angebot vom BLICK. Kann ich mir das leisten, fragte er, oder lande ich mit meinem Sozialprestige im dichten Unterholz?
Mit Bezug auf meine eigene, wenn auch sehr kurzfristige BLICK-Vergangenheit konnte ich es mir natürlich nicht gestatten, Jack ehrenhaft vor dem BLICK zu warnen.
Er wurde «Chasseur». Chasseur ist das französische Wort für Jäger, und Jack Stark machte sich als Chasseur auf Prominentenjagd.
Eigentlich währte seine Jagdsaison nur knappe drei Jahre. Aber in diesen drei Jahren veränderte BLICK für immer die Sicht auf die Promi-Szene. Stars und Sternchen waren vom Sockel selbstbestimmter Bedeutung heruntergeholt und nunmehr zum Anfassen.
Dazu bedurfte es eines willensstarken und trinkfesten Haudegens vom Schlage eines Herrn Dr. Stark, dem mit Aushändigung der Pressemappe nicht beizukommen war. Von Heidi Abel bis Sonja Ziemann mussten die Träger klingender Namen es lernen, dem Gesellschaftsreporter vom BLICK auf Augenhöhe zu begegnen.
Wer wusste, dass Romy Schneider einmal eine Kleinwohnung in Zürich-Höngg hatte? Chasseur wusste es. Ihm verriet Alfred Hitchcock, dass er «Shadow of a Doubt» für seinen besten Film hielt. Gegen Anthony Quinn spielte er Tennis und verlor 0:6, 0:6.
Er war dabei, als der Türsteher des Zürcher Nachtklubs «High Life» einem ungepflegt wirkenden Herrn den Einlass verweigerte: Mick Jagger, nach dem legendären Rolling-Stones-Konzert im Hallenstadion noch etwas abgekämpft.
Chasseur im Mai 1966 mit Yul Brynner, Sean Connery und Stephen Boyd in der Wiener «Eden»-Bar. Die Herren bestellten Wodka (Brynner), Scotch (Connery), Bourbon (Boyd), und der Kellner brachte die Gläser. Ein Aufschrei: «Not glasses – bottles!»
Chasseur in einem Münchner Lokal, in dem sich zwei örtliche Playboys um Uschi Glas prügelten, wobei dem einen die Hälfte eines Ohres abhanden kam.
Chasseur, dem Vico Torriani an der Berliner Funk- und Fernsehausstellung heimlich 100 Mark lieh, mit den Worten: «Meiner Frau habe ich gesagt, ich brauche sie dringend für den Coiffeur.»
Chasseur anlässlich der Aufnahmen zur 16. Folge der deutschen TV-Unterhaltungssendung «Der goldene Schuss» in Monte Carlo. Sagt der Produzent Werner Schmid, Schweiz: «Ich gehe jetzt in den Palast und hole die Fürstin vor die Kamera.» Was jeder für unmöglich hält, tritt ein: Gracia Patricia erscheint tatsächlich auf dem Set – und tags darauf im BLICK «auf ein Bier mit» Dr. Stark.
Es lässt sich nicht leugnen: Solche Vorfälle, im BLICK berichterstattet, übten auf die Weltläufe keinen merklichen Einfluss aus. Und doch wurde ein Rad bewegt. Die Schweiz begann sich für das Showbusiness hinter dem Showbusiness zu interessieren.
Regionalzeitungen glaubten nicht mehr, ihre Leser vom Tratsch aus der privaten Welt der grossen und zunehmend auch kleinen Protagonisten der Film-, Funk- und Fernsehwelt abschotten zu dürfen. Und richteten Randspalten ein.
Der Promi als täglicher Nahrungslieferant war geboren. Unter dem Begriff «Gesellschaft» wuchs sich die Feldstudie im Vergnügungspark zum Ressort aus. Aus einem Chasseur sind viele, viele Chasseurs geworden.