Die Superagenten der Armee

Publiziert: 06.06.2007 um 15:14 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2018 um 19:55 Uhr
Von Carl Just
Die Schweizer Armee baut eine Sondertruppe für besonders heikle Einsätze auf. SonntagsBlick Magazin war beim Training der Berufsmilitärs exklusiv dabei

Die Agenten sind eingetroffen. Auf dem Truppenübungsplatz in der Romandie wollen die Angehörigen des Militärpolizei-Spezialdetachements der Besonderen Dienste der Militärischen Sicherheit eine Übung durchführen. So unauffällig wie möglich parken die Berufsmilitärs den BMW-Geländewagen, den Audi-Offroader und den fabrikneuen Mercedes mit den abgedunkelten Fenstern. Die Agenten packen ihre schweren Schutzwesten aus, die Heckler-&-Koch-Maschinenpistolen, die finnischen Präzisionsgewehre, die Helme, Masken, Kabelbinder und Schachteln mit Knallpetarden.

Nebenan jagt ein junger Korporal seine Rekruten über den Hindernisparcours: «Go, go! Gopfertammi, lüpfed de Arsch!», brüllt der kahl geschorene Unteroffizier. Die Agenten der Besonderen Dienste wundern sich über den Kasernenhof-Ton bei den Anfängern, sie unterhalten sich ruhig und mit knappen Meldungen, Knopf im Ohr und Vollkontakt-Mikrofon unter der Maske. Bei den Profis wird geflüstert, nicht gebrüllt.

Neugierig nähern sich ein paar Rekruten den geheimnisvollen Neuankömmlingen, das Foto-Handy gezückt. «Leon», der Oberleutnant, der die Übung der Sondereinheit leitet, zieht sich die schwarze Maske übers Gesicht: «Ich habe keine Lust, morgen auf YouTube zu erscheinen», sagt er verärgert. Auch die Schweizer Militärs kämpfen mit den Problemen des digitalen Zeitalters, Soldaten oder Rekruten fotografieren Internas und stellen sie ins Internet.

Also müssen sich «Leon» und seine sieben Kameraden tarnen, auch vor den eigenen Leuten. Bei Training und Einsatz treten die Angehörigen des Spezialdetachements nur mit verhülltem Gesicht auf, sie nennen sich «Tarta», «Rocco» oder «Twix». Ihre wahren Namen verraten sie nicht, nur die engsten Angehörigen wissen, welch hochspezialisierten Dienst sie leisten. Das geheime, diskrete Tun macht durchaus Sinn: Im Ernstfall, bei einem Auslands- oder bei einem sicherheitspolizeilichen Einsatz bei erhöhter Gefährdung, müssten die Agenten und ihre Familien mit Racheakten rechnen. Selbst der Standort der Besonderen Dienste, eine Kaserne im Grossraum Bern, wird vertraulich behandelt, genauso wie der personelle Bestand der Einheit.

Es war auch ein der Öffentlichkeit diskret verschwiegener Einsatz, welcher die Militärische Sicherheit kürzlich in die Schlagzeilen brachte: Als im April bekannt wurde, dass 30 dieser Profis im vergangenen Herbst zum Schutz der bedrohten Schweizer Botschaft nach Teheran geflogen waren, protestierten Politiker gegen diese «Geheimoperation», die angeblich den «gesetzlichen Rahmen» sprengte. «Die Militärische Sicherheit versucht sich als international operierende Spezialtruppe», nörgelte die «Basler Zeitung».

«Das ist Unsinn», sagt Daniel Reist, Sprecher des Heers im VBS. «Unsere Berufssoldaten haben schon früher gefährdete Schweizer Vertretungen im Ausland geschützt, etwa in Algier oder in Moskau.» Auch einige der Agenten, die heute hier trainieren, waren in Algerien im Einsatz, damals noch als Festungswächter. Der eine oder andere von ihnen war jetzt auch in Teheran. Gezielte Fragen aber werden nicht wirklich beantwortet: «Dazu kann und will ich nichts sagen», erklärt der 30-jährige «Leon».

Wir sind in der fünften Woche des Sondertrainings für die acht Agenten des Spezialdetachements, die sich hier eingefunden haben. Und heute findet die erste gemischte Übung statt: Ein «Spezial-Beobachter-Trupp» wird den «Spezial-Einsatz-Trupp» absichern und im richtigen Moment zum «Zugriff» lotsen, zur Festnahme der bewaffneten «Täterschaft», die sich in dem alten Fabrikgebäude auf dem Übungsplatz verschanzt hat. «Twix» bringt seine feldgrünen Spezial-Beobachter in Stellung. Einer seiner Männer zieht sich den Tarnüberhang über Kopf und Schultern, bis er aussieht wie ein Fasnachtsmonster aus dem Lötschental. Mit seinem 25 000 Franken teuren Präzisionsgewehr legt er sich zwischen Büschen unsichtbar ins hohe Gras.

Die Spezial-Beobachter sind die Präzisionsschützen, die mit ihrer Waffe auch noch auf einen halben Kilometer ein Ziel von der Grösse einer Kaffeetasse treffen. Die Spezial-Einsatzleute sind die Nahkämpfer: Im praktischen Einsatz, etwa beim Schutz eines Staatsoberhauptes am Davoser WEF, sind sie die Bodyguards. Sie fahren den gepanzerten Wagen und eskortieren den VIP mit ihren Geländefahrzeugen und hochmotorisierten Audis – subsidiär unter den zivilen Einsatzkräften eingesetzt.
Auch die Einsatz-Agenten machen sich bereit: Über das bequeme, Feuer abweisende Kombi kommt die zwölf Kilo schwere Schutzweste, darüber das Gilet, im Halfter steckt die Pistole, an der Schulter hängt die MP – Helm auf und die Special Agents der Schweizer Armee sind einsatzbereit.

Später werden wir uns wundern, wie leise sich die Spezialisten in ihrer schweren Ausrüstung bewegen, katzengleich, langsam und geräuschlos schleichen sie sich an das Versteck des Feindes, keine Waffe klirrt, keine noch so morsche Stufe der Holztreppe knarrt, kein Befehl ist zu hören.

Das martialische Outfit täuscht: Hinter den Masken und unter den Splitterwesten verstecken sich keine Rambos, sondern ruhige und bescheidene Männer um die 30, ehemalige Festungswächter, ehemalige Heerespolizisten, möglichst mit «stabilem familiären Hintergrund». «Wir sind seriöse Handwerker im Militärpolizei-Bereich», sagt der Chef der Besonderen Dienste der Militärischen Sicherheit, Oberstleutnant Michel Rossier, der selber Auslandseinsätze hinter sich hat. Die Agenten sind zwar durchaus stolz darauf, dass sie dieser Elitetruppe angehören, fragt man die Berufsmilitärs aber, warum sie sich freiwillig für diesen, im Ernstfall hochgefährlichen Job gemeldet haben, antworten sie überraschend pragmatisch und zivil: «Ich liebe den Sport und hier habe ich die Bewegung und die körperlichen Herausforderungen, die ich brauche», sagt der 32-jährige «Rocco». Dies und nicht etwa eine besonders ausgeprägte Vaterlandsliebe habe ihn, den ehemaligen Elektriker und Festungswächter, bewogen, sich zu melden: «Ein guter Patriot könnte ich auch im Büro sein», sagt er.
Die Selektion für die neue Truppe ist hart, geprüft werden körperliche Fitness genauso wie psychische Eignung der Kandidaten: «Wir sind Team Player, Abenteurer und Rambos sind die ersten, die rausfliegen», sagt «Leon».

Schon bei der Auswahl zum ersten Jahrgang im Jahr 2004 schafften von 50 Anwärter gerade mal acht die viertägigen Eignungstests. «Wir waren uns von Anfang an bewusst, dass eine solche Einheit auch schräge Vögel anzieht, deshalb legen wir ein besonderes Augenmerk auf die charakterlichen Eigenschaften der Bewerber», sagt Sprecher Reist. Neonazis, Glatzköpfe und Rassisten, die sich vom bewaffneten Sicherheits-Business magisch angezogen fühlen, haben bei Sämis Eliteprofis keine Chance: «Menschen, die den Helden spielen wollen, brauchen wir genauso wenig wie Abenteurer vom Schlag Fremdenlegion», sagt «Leon». Man suche seriöse Leute, die bereit seien, die harte und lange Ausbildung auf sich zu nehmen – und den unregelmässigen Dienst. Wer sich beim Spezialdetachement meldet, verpflichtet sich schriftlich, jederzeit und «innert Stunden» für Einsätze im In- und Ausland zur Verfügung zu stehen.

VBS-Chef Samuel Schmid beklagte sich vergangene Woche über das schlechte Image, unter dem seine Berufsmilitärs leiden. Tatsächlich beäugen SVP-Traditionalisten genauso wie linke Pazifisten die «schleichende Professionalisierung» von Teilen der Armee argwöhnisch. Die Profis würden für zusätzliche Auslandseinsätze ausgebildet, sie würden sich zum Nachteil des Landes in fremde Händel einmischen, befürchten die Rechten. Die Berufsmilitärs würden sich unzulässig um Fragen der Inneren Sicherheit kümmern, die Polizeiarbeit militarisieren, glauben die Linken. Armeechef Christophe Keckeis übertreibe gar die Gefahr von terroristischen Anschlägen im Land, nur um die teuren Spezialeinheiten zu rechtfertigen. Doch Michel Rossier erklärt: «Wir brauchen diese Profis, mit Miliz-Soldaten kann man heute nicht mehr das ganze Spektrum abdecken, da diese auch nicht sofort verfügbar sind.»

So fungieren die Agenten des Spezialdetachements heute schon als Personenschützer von militärischen Staatsgästen, sie bewachen und begleiten heikle Transporte und sorgen in Zivil auf «Swiss»-Flügen in gefährdete Gebiete für Sicherheit. «Das Spezialdetachement der Militärpolizei ist das Element der Militärischen Sicherheit, welches bei besonderen Ereignissen und Einsätzen mit hohem Gefährdungsgrad zum Einsatz kommen kann, im In- wie im Ausland», definiert das VBS mögliche weitere Aufgaben. Sache der Militärischen Sicherheit ist ausserdem: die «präventive Sicherung der Armee vor Spionage, Sabotage und weiteren rechtswidrigen Handlungen».

In Sachen Ausrüstung, Training und Einsatzmöglichkeiten müssen die Schweizer Spezialisten den Vergleich mit ausländischen Anti-Terroreinheiten nicht scheuen. Doch wenn es derart konkret wird, üben sich die harten Profis in vornehmer Zurückhaltung. «Es ist heute ein Muss, über die speziellen Kompetenzen zu verfügen, die wir hier trainieren», sagt Michel Rossier. «Aber wo und wann man uns einsetzt, ist Sache der Politik.»

Mittlerweile haben die acht Agenten ihre beiden Trainingstage hinter sich. Müde und verschwitzt schälen sie sich aus der schweren Ausrüstung, der Fotograf packt seine Kameras weg, die Militärs ziehen die Maske aus. Übungsleiter «Leon» ist hochzufrieden, die gemeinsame Übung hat perfekt geklappt, der supponierte Feind wurde von den Einsatz-Agenten überrascht und blitzschnell entwaffnet, die Aktion verlief wie im Lehrbuch. Während sich die Parlamentarier am vergangenen Mittwoch im Nationalrat über den weiteren Umbau der Armee stritten, bereiteten sich die Agenten von Sämis Special Forces im Staub der alten Fabrik das Mittagessen zu – Pasta vom Spezial-Gaskocher, mit dem man auch in widrigster Umgebung ein heisses Mal zubereiten könnte.
Falls die Politik das will.

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