Momentan ärgern sich viele Menschen über die SBB – überfüllte Zugabteile, Verspätungen, ausfallende Züge. Ein Blick ins Ausland, etwa nach Deutschland oder, noch schlimmer, ins bahnprivatisierte England mit seiner maroden Infrastruktur, zeigt aber: Eigentlich haben wir hierzulande noch einigermassen akzeptable Zustände – auch wenn man zu Stosszeiten stehen oder am Boden sitzen muss, kommt man dennoch in den meisten Fällen einigermassen pünktlich von A nach B. Bedenkt man, dass die Schweizer Bevölkerung seit Mitte der 1990er-Jahre um mehr als eineinhalb Millionen gewachsen ist, ist das keine kleine Leistung.
Eine richtig grosse Leistung ist die identitätsstiftende Wirkung, welche die SBB in der Vergangenheit für die Schweiz hatten. Sie standen ein gutes Jahrhundert lang für Pünktlichkeit, Exaktheit, Zuverlässigkeit und Sauberkeit – Eigenschaften, die wir Schweizer gern für uns beanspruchen. Im Zürcher Museum für Gestaltung lässt sich jetzt sehen, weshalb die SBB so prägend für das schweizerische Verständnis waren: Es liegt neben der für lange Zeit hervorragenden Infrastruktur und der Pünktlichkeit nicht zuletzt am herausragenden Design.
Ein Stück Schweizer Designgeschichte
Am sich verändernden Design der SBB lässt sich ein Stück Handwerks- und Kunstgeschichte der Schweiz ablesen – nicht nur an den Lokomotiven und Waggons, die sich natürlich von postindustriellen Zeiten bis in die Moderne stark verändert haben, sondern auch an Inneneinrichtungen, Gegenständen und Plakaten.
Für einen Designklassiker, die ab 1944 überall einheitliche Bahnhofsuhr, ist der Ingenieur und Industriedesigner Hans Hilfiker verantwortlich – der Sekundenzeiger erinnert an die rote Kelle, mit der Zugwarte früher die Abfahrt des Zugs signalisierten. Erstklasssitze aus den 1950er-Jahren erinnern an James-Bond-Filme – hierzu passt, dass Roger Moore für die SBB Werbung machte, allerdings erst Mitte der 1990er-Jahre fürs Halbtax. Einen Schritt weiter sind die pastellfarbenen Quadrätli auf dunkelgrauem Grund, mit denen in dieser Zeit die Sitze bespannt wurden, wohl einigen noch bekannt. An den Plakaten zeigt sich wiederum der Aufstieg von Marketing- und Werbeagenturen ab den 1980er-Jahren – während die SBB ab der Jahrhundertwende lange einzelne, renommierte Künstler wie Hans Erni oder Max Gubler mit dem Entwurf ihrer Plakate beauftragten, rückte ab 1954 Text in den Vordergrund: Die SBB beschäftigten ab da einen sogenannten Publizitätsdienst. Der damalige Chef Werner Belmont schmiedet geniale Slogans, die vielen Menschen bis heute geläufig sind: Etwa: «Der Kluge reist im Zuge» oder «Gute Idee, SBB».
Innovative Köpfe sorgen jahrzehntelang für Qualität
Ab den frühen 1980er-Jahren sind mit der Einstellung des Werbechefs Markus Seger dann grosse Werbeagenturen wie Jung von Matt oder GGK am Zug – und sagen, Letzterer sei auch ein Tram oder ein Schiff. Mit dieser grandiosen Kampagne im Jahr 2000 machen sie auf das Einheitsbillett aufmerksam.
Seger bemüht sich zusätzlich um ein einheitliches Erscheinungsbild aller Belange der SBB – und engagiert weitere grosse Köpfe, die den Auftritt der Bahn prägen: etwa den weltberühmt gewordenen Grafiker Josef-Müller Brockmann. Er entwirft 1980 das bis heute benutzte Doppelpfeilsymbol aus einer Ableitung des Schweizerkreuzes. Es zeigt zum einen grafisch, dass die Schweiz sich bewegt, verbindet aber auf einer weiteren Ebene gleichzeitig die eigentlichen Widersprüche eines soliden Heimatgefühls mit dem des Aufbruchs, mit Bewegung und Mobilität – und ist deshalb eine geniale grafische Leistung. Und dass Brockmanns Bahnhof-Signaletik, also die eindeutigen und klaren blau-weissen Piktogramme, Weltklasse sind, weiss jeder, der sich einmal im Ausland auf einem grossen Bahnhof zurechtfinden musste.
Für die Bahnhofsarchitektur zeichnet ab 1957 bis 1989 Max Vogt verantwortlich. Er hat über 200 klare Betonbauten in der Schweiz entworfen, welche für einheitliche Solidität stehen.
Eine fatale Weichenstellung in den 1990er-Jahren
Wenige innovative Köpfe mit soliden Qualitäten, die jahrzehntelang an Vereinfachungen tüfteln – das macht sich bemerkbar: Ein gutes Jahrhundert lang kann die Schweiz stolz sein auf die wie geschmiert laufenden SBB. Nach den Zügen kann man die Uhr stellen.
Dass das heutzutage nicht mehr so ist, liegt wohl an falschen Weichenstellungen der späten 1990er-Jahre. Ab dann ist es vorbei mit der Einheit – die SBB teilen sich in verschiede Bereiche auf, mit jeweils eigenen Führungsetagen. So kochen heute die Infrastruktur-Verantwortlichen ein anderes Süppchen als die Immobilienabteilung, und die Personenverkehrler hätten nochmals andere Bedürfnisse. Und so bekommt diese Ausstellung im Grossen und Ganzen einen etwas bitteren Nachgeschmack: Statt «Gute Idee, SBB» denkt man beim Rauslaufen: «Ich hab Heimweh nach den guten alten SBB.»