Die Crypto-Affäre trifft die Partei ins Mark
Die FDP und ihr Swissair-Moment

Die Crypto-Affäre trifft den Freisinn ins Mark. Das hat viel mit der Geschichte der Schweiz zu tun. Die Partei hat in den Abwehrmodus geschaltet.
Publiziert: 16.02.2020 um 00:04 Uhr
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Aktualisiert: 17.02.2020 um 09:21 Uhr
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Nationalrätin Doris Fiala und Parteichefin Petra Goessi (r.).
Foto: Keystone
Reza Rafi

«Das ist keine Staatskrise», betont Christa Markwalder. Doris Fiala schreibt: «Wir haben es hier nicht mit ­einem Fischenskandal (sic!) zu tun.» Und Ruedi Noser meint: «Nur die historische Aufarbeitung einer unschönen Geschichte.»

Was die Berner Nationalrätin in der SRF-«Arena» sagte, ihre Zürcher Kollegin auf Facebook teilte und der Ständerat im SonntagsBlick-Interview von sich gibt, sind orches­trierte Signale einer Partei in Schildkrötenformation. Nur FDP-Chefin Petra Gössi wählte andere Töne. Und brachte zur Schadensminderung via «Tages-Anzeiger» eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) ins Spiel.

Die sogenannten Crypto-Leaks rücken eine Zuger Firma für die Herstellung von Chiffriergeräten ins Licht, die über Jahre fremde Staaten belieferte – und hinter welcher amerikanische und deutsche Geheimdienste standen.

Was wusste Kaspar Villiger?

Plötzlich fragt sich das ganze Land: Was wusste der ehemalige Verteidigungsminister Kaspar Villiger (FDP)? Was wusste der ehemalige VR-Präsident der Crypto AG, Georg Stucky (FDP)? Was wusste der langjährige Ständerat und Crypto-Verwaltungsrat Rolf Schweiger (FDP)? Was weiss Markus Seiler, ehemals Chef des Nachrichtendienstes, heute Generalsekretär im Aussendepartement? FDP-Mitglied auch er.

Immer wenn ein Stück Schweiz wegbricht, geht es auch um den Freisinn. Das war beim Fichen­skandal so, bei der Kopp-Affäre, beim Swissair-Grounding, beim Ende des Bankgeheimnisses. Und, wie jetzt, bei der schwindenden Glaubwürdigkeit des Schweizer Sicherheitsapparats.

In der FDP herrscht Nervosität. Abwiegeln und herunterspielen lautet die Devise.
Aber ist es tatsächlich nur «reiner Zufall», dass heute so viele Köpfe der liberalen Partei ins ­Visier geraten, wie Christa Markwalder sagt? Ist es wirklich «kein freisinniges Problem» (Noser), bloss eine «Skandalisierung» (Fiala)?

Balthasar Glättli prescht vor

Gewiss – wenn sich im Zeitalter des digitalisierten Journalismus sogenannte Leaks ereignen, erscheinen nicht bloss ein paar Zeitungsartikel. Heute wird das Thema kanalübergreifend inszeniert.

Zur medialen Schnappatmung gesellt sich eine beschleunigte Politik. Der ehrgeizige Grüne Balthasar Glättli preschte mit der Forderung nach einer PUK vor. Und Alfred Heer, SVP-Mann mit Langstrassenkolorit, tritt als entschlossener Präsident der Geschäftsprüfungsdelegation geradezu staatsmännisch auf. Welche Schmach für die altehrwürdige FDP, von den einstigen Parvenu-Parteien so vor ihnen hergetrieben zu werden!

Ein «Zufall» ist all das sicher nicht, im Gegenteil. Die Partei gerät wegen ihrer eigenen Geschichte in die Negativschlagzeilen. Weil sie historisch stärker mit dem Bundesstaat verflochten ist als jede andere. Es hat durchaus einen tieferen Grund, dass die Losung vom «Erfolgsmodell Schweiz» zu den häufigsten Ausdrücken in der FDP-Kommunikation gehört.

Kratzer am Freisinn

Über Jahrzehnte war sie die Heimat einer Elite aus Wirtschaft, Militär und Politik, der Granden einer Alpenrepublik ohne Bodenschätze, die im Schatten der Grossmächte zum ökonomischen Player avancierte. Kratzer am ­Erfolgsmodell sind deshalb immer auch Kratzer am Freisinn.

Das Sinnbild dieser FDP des 20. Jahrhunderts ist – ein Grab. Alfred Eschers letzte Ruhestätte auf dem Zürcher Friedhof Manegg wirkt protestantisch-bescheiden, ohne Statue, nur eine von Bodendeckern umwachsene Grab-platte. Tatsächlich ruht der Bankengründer und Nationalrat gleich links vom Haupteingang des Friedhofs an privilegierter Lage: Wer das Areal betritt, muss am Wegbereiter der modernen Schweiz vorbei. Unauffällig, aber mächtig: ganz wie die Partei, die Escher folgte.

«Unheilvolle Verfilzung»

Erst 2001 störte jemand die Andacht: In einem Gastbeitrag für den «Tages-Anzeiger» rechnete Christoph Blocher nach dem Swissair-Groun­ding mit der «unheilvollen Verfilzung» des Freisinns ab. Sein Text war der Startschuss für einen Grabenkampf im bürgerlichen Lager. Die aufsteigende SVP, noch vom EWR-Nein beflügelt, wetterte über die europa­freund­lichen «Weichsinnigen». Die Erosion eines in Jahrzehnten entstandenen Gefüges setzte ein.

Das Übrige trugen die Linken bei, die gegen den Schnüffelstaat mobilisierten, gegen Kalte Krieger wie Ernst Cin-cera oder Carlo Jagmetti und gegen die Armee.

Diese unheilige Allianz steht auch heute: Zur Häme von links gesellt sich der Spott von rechts. «FDP-Präsidentin Petra Gössi fordert wegen der Crypto AG eine PUK. Angesichts der Crypto-Verwaltungsratspräsidenten Georg Stucky (FDP) und Rolf Schweiger (FDP) sowie alt Bundesrat Kaspar Villiger (FDP) reicht eine Parteiversammlung», twitterte Blochers Intimus Christoph Mörgeli. Die frechen Zeilen könnten auch von einem Jung­sozialisten stammen.

Erneut ein Swissair-Moment

Mit den Crypto-Leaks hat die Partei erneut ein Swissair-Moment.

Wieder ertönt der Hinweis, dass die FDP doch die Partei des Firmenstandorts sei, der IT-Branche, der Innovation, des Crypto-Valleys.

Diese Woche hat Doris Fiala als Präsidentin durch einen grossen Anlass geführt: die Swiss Cyber Security Days. Die Verflechtung dauert an. Mit ihr aber auch das Risiko für neue Kratzer.

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