Die Grünen halten die Ankündigung des deutschen Innenministers Horst Seehofer (CSU), an Bahnhöfen mehr Polizei einzusetzen, für unrealistisch. «Die Personalsituation bei der Bundespolizei ist trotz höherer Einstellungszahlen sehr angespannt», sagte die innenpolitische Sprecherin Irene Mihalic den Zeitungen der Funke Mediengruppe vom Donnerstag. «Daher muss man sich schon fragen, wo das zusätzliche Personal für mehr Präsenz an den Bahnhöfen eigentlich herkommen soll.»
Kameras sind keine Lösung
Mihalic kritisierte Seehofers Ankündigung, die Videoüberwachung in Bahnhöfen auszuweiten: «Jetzt auf eine verstärkte Videoüberwachung an Bahnhöfen zu setzen, obwohl es kaum andere Orte gibt, an denen mehr Kameras hängen, geht am Thema vorbei.» Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) sagte Mihalic: «Wenn der Innenminister die Sicherheit im öffentlichen Raum erhöhen will, muss er konzeptionelle Vorschläge auf den Tisch legen, anstatt Nebelkerzen zu werfen.»
Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: «Millionen Menschen fahren in Deutschland Bahn. Für sie alle müssen wir für grösstmögliche Sicherheit sorgen. Dafür ist Polizeipräsenz besonders wichtig. Videoüberwachung gibt es bereits an vielen Bahnhöfen. Wir sollten jetzt über alle Schritte reden, die die Sicherheit wirklich erhöhen.»
Polizei soll für mehr Sicherheit sorgen
SPD-Vize-Fraktionschefin Eva Högl sagte dem RND: «Wir brauchen mehr Polizei vor Ort - nicht nur an Bahnhöfen, auch auf öffentlichen Plätzen, auf der Strasse, in der Nachbarschaft.» Deswegen sei der Pakt für den Rechtsstaat geschlossen worden. «Bis 2021 sollen 15'000 neue Stellen für die Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern geschaffen werden.» Ob weitere Stellen bei der Bundespolizei nötig seien, müsse sorgfältig geprüft werden. «Es geht jetzt nicht darum, hektisch mehr Stellen zu fordern, sondern die Sicherheitsbehörden insgesamt gut auszustatten und den Rechtsstaat zu stärken.»
Die Linken sperrten sich ebenfalls nicht gegen eine personelle Verstärkung der Polizei, sagte der Fraktionsvize André Hahn dem RND. «Allerdings finde ich es befremdlich, dass die Ankündigungen des Bundesinnenministers wieder einmal erst nach einem so tragischen Ereignis erfolgen.» Hahn warnte vor einer Konkurrenz der Behörden in Bund und Ländern. «Eine Stärkung der Bundespolizei ist richtig, sie muss aber auch realistisch umsetzbar sein und darf die Präsenz der Polizei in den Ländern nicht in Frage stellen.»
Was ist passiert?
Ein 40 Jahre alter dreifacher Vater sitzt seit Dienstag wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft. Der aus Eritrea stammende Mann soll am Montag eine ihm unbekannte Frau aus dem Hochtaunuskreis und ihren Sohn vor einen einfahrenden ICE gestossen haben. Die 40-Jährige konnte sich retten, ihr Sohn wurde vom Zug überrollt und getötet. Der Junge und seine Mutter wollten in den Urlaub fahren.
Der mutmassliche Täter lebte seit 2006 in der Schweiz - und wurde dort seit dem vergangenen Donnerstag von der Polizei gesucht. Der verheiratete Mann, der laut Kantonspolizei Zürich in diesem Jahr schon in psychiatrischer Behandlung war, habe seine Nachbarin mit einem Messer bedroht, eingesperrt und sei dann geflohen. Daraufhin sei er in der Schweiz zur Festnahme ausgeschrieben gewesen. Gegen den Tatverdächtigen wird wegen Mordes und Mordversuchs ermittelt.
Länderübergreifende Fahndungen gefordert
Aus der FDP kommt die Forderung, in Zukunft stärker auf europaweite Fahndungen zu setzen. «Eine frühzeitigere europäische Fahndung ist grundsätzlich begrüssenswert, denn weder Verbrechen noch Verbrecher machen an Landesgrenzen halt», sagte Konstantin Kuhle, innenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, der «Welt". «Es darf nicht sein, dass eine knapp vierstündige Zugfahrt von Zürich nach Frankfurt ausreicht, um sich aus dem Fokus der Strafverfolgungsbehörden zu befreien.» Die Einrichtung einer früheren europäischen Fahndung sei aber nur sinnvoll, wenn sich alle Mitglieder des Schengen-Raums daran beteiligten.
Unterstützung bekommt Kuhle vom Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek. «Das wäre eine Vereinfachung für die Praxis. Als Grenzpolizei brauchen wir im Verdachtsfall Erkenntnisse über den Reisenden», sagte Radek der «Welt». Die Daten von Personen, die Straftaten begangen haben oder zwecks Auslieferung gesucht werden, können auch in das Schengener Informationssystem (SIS) eingespeist werden. (SDA)