30 Jahre nach dem Mauerfall feiert im ostdeutschen Thüringen ausgerechnet die Linke einen historischen Wahlsieg. «Merkels Strategie», kommentiert die «Bild», «ist gescheitert.» Für die Partei von Helmut Kohl (†85) gebe es seit Jahren nur einen Trend: «Abwärts!»: «Die SPD sitzt auf der Rutsche in den Keller der politischen Bedeutungslosigkeit. Und die Union fährt hinterher.»
Es ist eine historische Klatsche für die früheren «Volksparteien». Zum ersten Mal in einer Wahl auf Landes- oder Bundesebene können die klassischen Parteien der politischen Mitte in Thüringen keine parlamentarische Mehrheit mehr beanspruchen. Die sich polar gegenüber gesetzten Linkspartei und Alternative für Deutschland (AfD) gewannen zusammen mehr als die Hälfte der Stimmen. Eine Regierungsbildung wird zum Kraftakt.
Die GroKo-Parteien kommen zusammen auf noch 30 Prozent der Stimmen. Noch nie waren die früheren Volksparteien zusammen so schlecht. Zum Vergleich: Vor rund 20 Jahren kamen CDU und SPD in Thüringen zusammen noch auf mehr als doppelt so viel: 69,5 Prozent!
Linke stärkste Kraft, AfD auf Platz zwei
Bevor der linke Bodo Ramelow (63) 2015 Ministerpräsident wurde, hatte die CDU in Thüringen fast ein Vierteljahrhundert ununterbrochen regiert. Jetzt kam die Linke unter Ramelow auf 31 Prozent und damit das beste Ergebnis bei einer Landtagswahl überhaupt.
Der zweite Sieger des Abends war Spitzenkandidat Björn Höcke (47) von der rechtsnationalistischen AfD, der im Wahlkampf bis in die eigenen Reihen polarisierte, doch am Wahltag den Anteil seiner Partei gegenüber 2014 auf 23,4 Prozent mehr als verdoppeln konnte.
Zu Statisten wurden die Grünen und FDP degradiert, die noch auf 5,2 bzw. fünf Prozent kamen. In Thüringen ist der Höhenflug der Grünen erstmal vorbei. Immerhin schaffte die FDP wieder den Einzug in den Landtag – während die einstmals stolze Partei der deutschen Einheit, die Thüringen so lange regierte, hinter die SED-Erben und Afd-Höcke abfiel.
Triumphierende AfD wohl dennoch ohne Regierungsmandat
«Das ist ein klares Zeichen der Thüringer: So geht es nicht weiter», sagte Höcke nach dem Wahlsieg. Die AfD sei auf dem Weg zur gesamtdeutschen Volkspartei. «Fakt ist, die Regierung Ramelow ist abgewählt, und das ist gut für Thüringen.»
Doch alle Parteien lehnen es ab, zusammen mit der AfD zu arbeiten. Da bleibt nur noch eine Minderheitsregierung unter Ramelow – oder aber die Linkspartei verbündet sich mit der CDU. Damit müsste die CDU zum ersten Mal mit der Nach-Nachfolgerin der DDR-Staatspartei SED zusammenarbeiten.
Sollte der gedemütigte Thüringer CDU-Chef Mike Mohring (47) das Prinzip seiner Partei aufgeben, mit der Linkspartei nicht zu koalieren? Zumindest wird er mit den Linken enger zusammenarbeiten müssen.
Schwierige Mehrheitssuche
Ramelow sagte am Sonntagabend im ZDF, alle Demokraten müssten in der Lage sein, miteinander zu sprechen. «Lasst uns doch auch mal ausloten, was es an gemeinsamer Kraft im Parlament gibt.» Dies sei noch jenseits der Frage, wer mit wem offiziell in Regierungsgespräche eintrete.
In Thüringen habe man es immer wieder geschafft, «über scheinbare parteipolitische Gräben hinweg» in entscheidenden Fragen an einem Strang zu ziehen, etwa nach Bekanntwerden der NSU-Terrorserie. Ramelow betonte, er habe natürlich die Absicht, sich «sehr schnell im Parlament zur Wahl zu stellen». (kes)