«Mit einer enormen kreativen Energie sucht die non-binäre Erzählfigur in Kim de l'Horizons Roman ‹Blutbuch› nach einer eigenen Sprache», urteilte die Buchpreis-Jury. «Welche Narrative gibt es für einen Körper, der sich den herkömmlichen Vorstellungen von Geschlecht entzieht?» Die Romanform sei in steter Bewegung: «Jeder Sprachversuch, von der plastischen Szene bis zum essayartigen Memoir, entfaltet eine Dringlichkeit und literarische Innovationskraft, von der sich die Jury provozieren und begeistern liess.»
Kim de l'Horizon selbst lässt die eigene Biografie bewusst im Vagen: Im Klappentext heisst es: «geboren 2666». Laut Börsenverein wurde Kim de l'Horizon 1992 bei Bern geboren, studierte Germanistik, Film- und Theaterwissenschaften in Zürich sowie literarisches Schreiben in Biel. «Blutbuch», ein Debüt, wurde zuvor bereits mit dem Literaturpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung ausgezeichnet.
Dank an die Mutter und ein Lied
Als der Name im vollbesetzten Kaisersaal genannt wird, springt Kim de l'Horizon auf, rennt ins Publikum und umarmt Freundinnen und Freunde. Auf der Bühne kommt zuerst nur ein «Wow!». Eine Rede habe man nicht vorbereitet. Dann folgt unter Tränen ein Dank an die Mutter und a cappella ein englischsprachiges Lied.
Schliesslich zückt Kim de l'Horizon einen Haarschneider und rasiert sich den Kopf – als Zeichen der Solidarität mit den Frauen im Iran. Die Jury habe den Text auch ausgewählt, «um ein Zeichen zu setzen gegen den Hass, für die Liebe, für den Kampf aller Menschen, die wegen ihres Körpers unterdrückt werden».
«Eine Einladung, die Grenzen der eigenen Wahrnehmung zu erweitern»
Sechs Finalisten hatten zuletzt auf der sogenannten Shortlist gestanden. Neben Kim de l'Horizon waren das Fatma Aydemir («Dschinns»), Kristine Bilkau («Nebenan»), Daniela Dröscher («Lügen über meine Mutter"), Jan Faktor («Trottel») und Eckhart Nickel («Spitzweg»). Die fünf Nominierten der Shortlist erhalten jeweils 2500 Euro. Die Jury hatte insgesamt 233 Titel gesichtet.
Der Deutsche Buchpreis möchte die Aufmerksamkeit «auf die Vielschichtigkeit der deutschsprachigen Literatur lenken», sagte Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, bei der Preisverleihung: «eine Einladung, die Grenzen der eigenen Wahrnehmung zu erweitern. Bestenfalls holen wir uns damit gegenseitig aus unseren Filterblasen heraus, bewegen uns und andere zum Nach-, Um- und Weiterdenken». (SDA/las)