Misstrauisch schaut der deutsche Grenzer am Zoll in Weil-Otterbach in den Wagen und fragt: «Warum wollen Sie nach Deutschland?» Wirklich locker fühlt sich das «gelockerte» Grenzregime zwischen der Schweiz, Deutschland und Österreich nicht an: Nur Paare, Verwandte, Wohnungsbesitzer, Schrebergärtler oder Tierhalter dürfen seit gestern Samstag die Übergänge zwischen den Ländern wieder passieren.
Wir nicht. Auf unsere Antwort «für ein Frühstück» reagiert der Deutsche wortlos. Seine zackige Handbewegung ist eindeutig: Umkehren!
Am Zoll in Weil am Rhein (D), wo sich an Samstagen die Autos der Einkaufstouristen so eindrücklich über die Rheinbrücke stauten wie die Panzer an Paraden in Peking, herrscht noch immer Corona-Stillstand. Entsprechend viel Zeit hat der deutsche Beamte: «Was für Freundinnen wollen sie besuchen, wo wohnen die Damen, haben Sie ein Formular dabei?» Die Deutschen nehmen es noch immer sehr genau. Wieder kein Durchkommen.
Grenzzaun wurde abgebaut
Dabei küssten und herzten sich am Abend zuvor Schweizer und Deutsche am Bodensee, weil dort der verhasste Grenzzaun endlich abgebaut wurde. Dass er weg ist – so viel wird in Basel deutlich –, bedeutet nicht, dass die Länder wieder offen sind. So weit ist es erst am 15. Juni.
Wir nähern uns abermals der unbezwingbaren deutschen Grenze, diesmal zu Fuss durch die Wälder bei den Basler Langen Erlen. Weit und breit kein Streifenwagen, kein Polizist, nur ein umgestürzter Baum. Ein Velofahrer wuchtet gerade sein Rad über dieses letzte Hindernis: Dahinter liegt Deutschland.
Dalle Nogare, so sein Name, wollte die Lage prüfen. «Mir geht es um die Freiheit, es war hier wie in einer Art Krieg», sagt er. Der Basler Künstler fand die Schliessung der Übergänge nicht gerechtfertigt. «Wenn mich jemand fragt, antworte ich einfach: Es war ja offen», sagt er und radelt los.
War das gerade einer dieser typisch weltgewandten Basler? In kaum einer anderen Gegend waren die Grenzen wie im Dreiländereck zwar immer da, aber doch unsichtbar. Die Gitterzäune und Schranken waren für viele ein Schock.
Schwanger und allein
Überall in der Schweiz finden sich Menschen, die plötzlich spürten, wie sich Europa verbarrikadierte. Trix Hammer (36) aus Zürich und ihr Partner Michael Schweizer (35) aus Stuttgart (D) zum Beispiel. Anfang März fragten sie sich im Scherz, ob die Ausbreitung der Pandemie und die Beschränkungen wohl noch im Mai ein Thema sein würden. Das unverheiratete Paar führt eine Fernbeziehung – über die Grenze hinweg.
Die Sportjournalistin und Moderatorin ist schwanger, Anfang Juli ist der Geburtstermin ihres Mädchens. Ihr Partner Michael wollte danach in die Schweiz einwandern. Nun wäre für sie die Zeit der letzten Zweisamkeit. Wäre! Als sie am Zoll anrief, meinten die Beamten nur, eine Schwangerschaft genüge nicht für einen Grenzübertritt ihres Partners. Die Regel laute: keine Einreise ohne Schweizer Job oder Visum.
«Am Anfang war ich schon verunsichert»
Trix Hammer: «Wir versuchten es nicht auf Biegen und Brechen. Ich wollte mich nicht mit meinem Bauch an die Grenze stellen und auf Mitleid machen.» Treffen am Zaun waren für beide keine Option. Seit Wochen haben sie sich nicht mehr gesehen. Erst als er kürzlich mit neuen Dokumenten ausgestattet war, durfte Michael erstmals und ausnahmsweise einreisen.«Am Anfang war ich schon verunsichert, traurig und auch einsam», sagt sie. Die Corona-Isolation kam hinzu. «Klar, die erste Schwangerschaft habe ich mir anders vorgestellt», sagt sie.
Gerade die schönen Momente, die Zeit des Nestbaus, konnte sie mit keinem nahen Menschen teilen. Dafür sei die Beziehung zum Baby umso intensiver geworden – und auch jene zum Partner.
Trix Hammer versteht die Massnahmen des Bundesrats: «Solidarität ist wichtig, darum hielten wir uns an die Regeln, aber es war heftig. Vieles lernte sie wieder neu zu schätzen. Vor zwei Wochen hatte sie vorzeitige Wehen. Nächste Woche will Michael zügeln, früher als ursprünglich geplant. «Ich rechne fest damit, dass er bei der Geburt dabei sein wird», sagt sie und lacht.
Das Leiden der Rösseler
Das neue Jahr hatte gerade begonnen, aber Claudine Clerici (38) spürte, dass etwas zu Ende ging. Zwanzig Minuten dauerte der Ausritt mit ihrer Norikerstute. Es war der bisher letzte. Seit drei Monaten ist die Frau aus dem Kanton Schaffhausen von ihrem Pferd getrennt, es steht in einem Stall in Süddeutschland. «Als die Grenze schloss, verweigerte die Stallchefin allen Pferdebesitzern den Zugang zum Hof», so Clerici.
Ihre 13-jährige Stute hat Rückenprobleme, sie leidet an Arthrose: «Das Pferd braucht gezielte Bewegung.» Clerici kaufte das Tier vor drei Jahren, um es aufzupäppeln. «Wir waren auf einem guten Weg.» Doch wenn das Training ausfällt, sei das gravierend. Die Frauen waren sich nicht einig geworden, wie oft das Pferd bewegt werden soll, und die Stallchefin wollte Clerici kein Papier ausstellen, das sie zum Grenzübertritt berechtigt hätte.
«Mir kamen die Tränen.»
Beim Übergang in Thayngen SH nahm das Drama seinen Lauf. «Die deutschen Bundespolizisten behandelten mich, als ob ich eine Schwerverbrecherin wäre», sagt sie. Ein Ross zu bewegen, sei sicher kein triftiger Grund für einen Grenzübertritt, so die strenge Ermahnung. Die Deutschen fanden schon die Idee frech, deshalb nach Deutschland einzureisen. «Ich bekam meinen Ausweis nicht zurück, sie übergaben ihn einem Schweizer Zöllner. Mir kamen die Tränen.»
Zwei Mal habe sie dem Bundesamt für Gesundheit geschrieben, bis heute kam keine Antwort. Clerici: «Wir Rösseler wurden vergessen.» Mit Folgen für die Stute. Sie habe so viele Muskeln abgebaut, dass ihr nur noch das Gnadenbrot auf einer Altersweide bleibe. «Ich habe mein Pferd verloren.» Eines habe sie aber gelernt: «Falls ich jemals wieder ein Pferd halte, dann in der Schweiz!»
Retour in Basel, wo man beim Übergang Lörrach überraschend ungestört über die Grenze schlendern kann. Auf dem Heimweg murmelt der Schweizer Grenzwächter etwas von «bundesrätlicher Verfügung» und «kein Freizeitspass», lässt uns aber wieder ins Land.
Italien sagte gestern, dass es die Einreise für Ausländer ab dem 3. Juni wieder zulassen wolle, wenn es die Situation erlaube. «Das ist ein einseitiger Entscheid Italiens, den ich zur Kenntnis nehme», sagte Bundesrätin Karin Keller-Sutter Radio SRF.
Italien sagte gestern, dass es die Einreise für Ausländer ab dem 3. Juni wieder zulassen wolle, wenn es die Situation erlaube. «Das ist ein einseitiger Entscheid Italiens, den ich zur Kenntnis nehme», sagte Bundesrätin Karin Keller-Sutter Radio SRF.
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
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