Dienstag, 31. März, 20.30 Uhr. Stephan L.* (20) läuft durch die Dunkelheit. Der Velomechaniker hat eine Pistole in der Tasche. Und sein Handy. Mit diesem wählt er die Nummer der Zürcher Kantonspolizei. Und sagt: «Ich habe meinen Vater getötet».
Ein Jahr ist seit dem Schock-Geständnis vergangen. Jetzt hat der Staatsanwalt im «Vatermord von Pfäffikon» Anklage erhoben. Die Einvernahme des Täters zeigt, wie die Tragödie ablief.
Dienstag, 31. März 2015, 7.30 Uhr. Der damals 19-Jährige schreibt seinem Lehrmeister eine SMS. Er habe Magenschmerzen, komme heute nicht zur Arbeit. Dann raucht er einen Joint, legt sich wieder ins Bett. Bis Vater Balts L. (†67) im Zimmer steht. Er rüttelt den Sohn wach, ohrfeigt ihn, schimpft. Wenn er krank sei, müsse er einen Arzt aufsuchen.
Streit wegen Magenschmerzen
Stephans Eltern hatten sich vor zehn Jahren getrennt. Er lebte fortan mit der Mutter in einem Block am Rande des Städtchens. Bis die Russin 2008 an den Folgen einer Alkoholsucht starb. Da zog der Vater in die Wohnung ein. Laut Einvernahme gab es oft Streit. «Sie waren der Auffassung, Ihr Vater sei für die Alkoholprobleme Ihrer Mutter und den auf diese zurückzuführenden Tod verantwortlich», fragt der Staatsanwalt.
«Ja», antwortet Stephan.
Dienstag, 31. März 2015, 15.15 Uhr. Der Sohn konsultiert seinen Hausarzt. Dieser führt die Magenschmerzen auf psychische Probleme zurück. Auf Stephans Angst, die Lehre nicht zu bestehen. Er soll mit seinem Vater darüber sprechen. Doch der hat kein Verständnis. «Der Geschädigte lachte Sie aus, nannte Sie ein Weichei», so der Staatsanwalt. «Und erklärte, Sie gingen ganz nach Ihrer Mutter, welche ebenso zu nichts fähig und nutzlos gewesen sei.»
«Ja», sagt Stephan.
Der junge Schweizer zeigte in seinem Lehrbetrieb gute praktische Leistungen. In der Schule jedoch hatte er Probleme. Die Abschlussprüfungen im Sommer 2015 standen in Gefahr. Statt zu büffeln, fehlte er immer öfters. Und kiffte jeden Tag.
Dienstag, 31. März 2015, 17.15 Uhr. Stephan verzieht sich in sein Zimmer, weint. Er ist verärgert und enttäuscht über die Reaktion des Vaters. «Sie entschlossen sich deshalb, Ihren Vater zu erschiessen», hält der Staatsanwalt fest.
«Ja, leider», gibt der Täter zu Protokoll.
«Stephan litt jahrelang»
Er schleicht sich zum Schrank des Vaters, holt dessen Pistole aus dem Kleiderschrank. Lädt die Waffe, verdeckt sie mit einer Wolldecke. Und geht zurück ins Wohnzimmer.
30 Jahre lang war Balts Redaktor bei der «NZZ» im Bereich Film und TV. 2007 wechselte er in eine PR-Agentur. «Mit seiner kollegialen Art, seinem Engagement und seinem profunden Wissen hinterlässt er bei uns menschlich und fachlich eine grosse Lücke», schrieben die Kollegen nach seinem Tod.
Bekannte des Sohnes zeichnen ein anderes Bild. «Stephan litt jahrelang unter seinem Vater», sagen zwei Freunde. Immer wieder habe er den Velomech erniedrigt. Sie sind überzeugt: «Er hat die Tat aus purer Verzweiflung begangen.»
Dienstag, 31. März 2015, nach 17.15 Uhr. Balts liegt auf dem Sessel vor dem Fernseher. Der Sohn tritt hinter ihn. Er gibt vor, etwas zu suchen. Stattdessen hebt er die Pistole, zielt aus nur einem Meter Entfernung auf den Hinterkopf des Vaters. Und drückt ab.
Der Staatsanwalt fordert einen Schuldspruch von 14 Jahren wegen Mordes. Er spricht in der Einvernahme von einem Streit, «wie er zwischen einem Vater und seinem heranwachsenden Sohn üblicherweise vorkommt.» Stephan hätte die Möglichkeit gehabt, seine Wut bei einem Gespräch herauszulassen. «Stattdessen haben Sie (...) dem Opfer einer Hinrichtung gleich hinterrücks in den Kopf geschossen.»
Die Verteidigung widerspricht, plädiert für vorsätzliche Tötung und eine Strafe unter zehn Jahren. Verteidiger Valentin Landmann: «Der Bursche geriet durch die ständigen Herabsetzungen in eine fatale Spirale. Die letzte Kränkung brachte das Fass zum überlaufen.»
Stephan selbst sagt in der Einvernahme: «Ich musste jahrelang alles mitmachen, wurde gedemütigt, beleidigt, erniedrigt, behandelt als ob ich ein Hund wäre.» In diesem Moment sei er «nahe des Wahnsinns» gewesen. Die Tat lasse sich nicht rechtfertigen.
«Ich vermisse ihn sogar»
Dienstag, 31. März, vor 20.30 Uhr. Stephan läuft durch Pfäffikon. Die Waffe hat er bei sich, um sich im Wald zu erschiessen. Doch er entscheidet sich um und läuft zum lokalen Polizeiposten. Der ist nicht besetzt – deshalb greift der Velomech zum Handy.
«Ich wünschte, ich wäre an diesem Tag aus der Wohnung gegangen und nie wider zurückgekehrt. Ich möchte aber dafür gerade stehen.»
Und dann steht über seinen Vater noch dieser denkwürdige Satz im Protokoll: «Trotz allem, wie er mich und meine Mutter behandelt hat, vermisse ich ihn sogar.»
Wann der Prozess gegen Stephan L. stattfindet, ist noch nicht bekannt.
* Namen der Redaktion bekannt