Der letzte Schweizer ist nur noch ein «Plampi»

Publiziert: 22.07.2006 um 22:30 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2018 um 19:25 Uhr
VON KLAUS ZAUGG
Die WM lebt. Aber die alte Seitenwagen-Eidgenossenschaft ist untergegangen. Erstmals seit 57 Jahren gibt es in der Gespann-WM keine Schweizer Piloten mehr.

Motorrad GP von Deutschland auf dem Sachsenring. Mehr als 90000 Fans. Es riecht nach verbranntem Gummi und Benzin, Öl und Grillparty. Kinder spielen im Fahrerlager. Wäsche hängt zum Trocknen.So wie in der guten alten Zeit.

Aber wir sind nicht dort, wo Valentino Rossi und Tom Lüthi ihre glitzernden Trucks und Motorhomes geparkt haben. Die Gespann-Haudegen haben ihr Fahrerlager ein paar hundert Meter vom richtigen Fahrerlager weg, im Fahrhof einer Möbelfabrik, zugewiesen bekommen. Der Zutritt zum richtigen GP-Fahrerlager wird ihnen verwehrt, die Benützung der dortigen Duschen und Toiletten auch. «Wir werden behandelt wie die Gefangenen von Guantanamo», enerviert sich der Thuner Garagist Adolf Hänni (51).

Von ihm wird noch die Rede sein. Die GP-Veranstalter in Assen und auf dem Sachsenring lassen die Seitenwagen im GP-Rahmenprogramm auftreten. Die restlichen WM-Läufe werden vor allem als Zugnummern bei nationalen Rennen ausgefahren. Welch ein Abstieg. Rolf Biland gehört in seinen besten Jahren zwischen 1980 und 1995 zu den bestverdienenden Männern im Töffbusiness und steht auf Augenhöhe mit den Helden der Soloklassen.

Kein Preisgeld mehr – die Fahrer zahlen für den Start

Aber es gibt keine Gespann-Stars aus Italien oder Spanien. In den 1990er-Jahren erwirbt der spanische TV-Gigant Dorna alle Rechte am GP-Zirkus und streicht 1998 die Seitenwagenrennen endgültig vom GP-Programm. Keine Industrie, kein grosses Geld und kein weltweites TV-Interesse stehen hinter der Seitenwagen-WM.

Abgeschnitten von den Geldströmen und der Publizität des GP-Zirkus kann der Gespann-Zirkus seine Artisten nicht mehr nähren. Bis in die 1990er-Jahre hinein schüttet der Weltsportverband FIM pro Rennen mehr als 100000 Franken Preisgeld aus. Heute gibt es keinen Rappen mehr. Vielmehr müssen alle Teams eine Nenngebühr zahlen.

Aber die Seitenwagen-Haudegen sind nicht ausgestorben. 24 Teams bestreiten die WM 2006. Warum haben die Dreirad-Cowboys trotz allem überlebt?

Weil sie gelernt haben, praktisch zum «Nulltarif» Motorsport zu betreiben. Sie finanzieren ihren Sport selber und mit Sponsoren, die ihre Freunde sind. Reichtum lockt nicht mehr. Nur noch das Abenteuer und der Kranz für den Sieger. Es ist Motorsport in seiner ureigensten Form. Deshalb spielt es keine Rolle, dass die Helden von heute ausserhalb der Gespann-Szene keiner mehr kennt. Sie heissen Tim Reeves (Gb), Pekka Päivärinta oder Tero Manninen (Fi).

Aber die alte Seitenwagen-Eidgenossenschaft ist untergegangen. Seit der ersten WM 1949 sind die Schweizer im Bestiarium des Dreirad-Zirkus Alphatiere. Von Hans Haldemann über Edgar Strub, Florian Camathias und Fritz Scheidegger bis zu Rolf Biland. Volkshelden, populär weit über den Motorrad-Rennsport hinaus.

Am 26. Oktober 1997 treten Rolf Biland und Kurt Waltisperg nach ihrem letzten Rennen zurück. Neun Jahre später gibt es erstmals in der 57-jährigen WM-Geschichte keinen Schweizer Piloten mehr.

Hänni ist heute mit seinem 22. Chauffeur auf Achse

Der Beifahrer Adolf Hänni (51) ist der letzte Dreirad-Eidgenosse von Bedeutung. Er ist der einzige Teambesitzer in der Rolle des Beifahrers. Hänni managt und finanziert das Rennteam und engagiert den Fahrer. Sein aktueller Pilot Mike Roscher (De, 41) ist bereits sein 22. Chauffeur seit 1984. Hänni hat schon über 200 Rennen bestritten. Mit Steve Webster und Klaus Klaffenböck kommt er in der WM zwischen 1994 und 2000 viermal auf den 2. Platz.

Auf Rang 12 liegt er im aktuellen Championnat nach vier von acht Veranstaltungen. Den Traum vom WM-Titel hat er aufgegeben. Aber an Rücktritt denkt er noch lange nicht. Der letzte Eidgenosse ergibt sich nicht.

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