Der Internationalrat Tim Guldimann zeigt sein Berlin
Mann im Umzug

Tim Guldimann ist ein Mann im Umzug, ja im Umbruch. Er ist aufgebrochen in ein neues Leben. Aber angekommen ist er noch nicht.
Publiziert: 27.11.2015 um 17:33 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 17:05 Uhr
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Tim Guldimann (65) zählt zu den schillerndsten Figuren der Schweizer Diplomatie der letzten Jahrzehnte.
Foto: Marcus Höhn
Von Christoph Lenz

Er stösst hastig die Tür auf, grüsst, bittet herein und ist schon wieder weg. «Berliner Handwerker!», hört man Tim Guldimann (65) stöhnen. Da befindet er sich bereits im oberen Stockwerk.

Während es dort rumort, sucht man sich einen Weg ins Wohnzimmer. Vorbei an Knäueln aus Umzugsfolie und herumstehenden Gemälden.

«Furchtbar», schimpft Guldimann, als er ins Wohnzimmer zurückkehrt, um Teewasser aufzusetzen. Er nickt. «Ich bin gleich da.» Verschwindet wieder.

Tim Guldimann ist ein Mann im Umzug, ja im Umbruch. Im Juni räumte der Top-Diplomat den Schweizer Botschafter­posten in Berlin. Aus Altersgründen. Im Juli verliessen er, seine Frau Christiane Hoffmann (48) sowie Clara und Martina, die beiden Töchter im Teenager­alter, die Botschafterresidenz und ­zogen an diese ruhige Ecke in Schöneberg. Neubau, fünf Zimmer, Maisonette. Spiel­plätze und Cafés in der Nachbarschaft. Im Oktober wählten ihn die Zürcher auf der SP-Liste in den Nationalrat. Als ersten Auslandschweizer überhaupt.

Er ist also aufgebrochen in ein neues Leben. Aber angekommen ist er noch nicht. Der Umzug und die Einrichtung der Wohnung ziehen sich hin, schon seit Monaten. Die Arbeit im Parlament geht erst am kommenden Montag richtig los.

Was ist er jetzt: Rentner? Politiker? Hausmann? Berliner? Zürcher? Alles zusammen?

«Ich muss noch meinen Rhythmus finden», sagt Guldimann. Grundsätzlich werde er sich, wenn er in Berlin sei, stärker um die Familie kümmern können. Das heisst: aufstehen vor halb sieben, Brote streichen, die Mädchen zur Schule schicken. Und für sie da sein, wenn sie am Nachmittag nach Hause kommen.

Bis dahin bleibt jetzt noch eine gute Stunde. Guldimann wartet in einem Café in der Nachbarschaft auf sein Mittagessen. Er hat das Bauernfrühstück bestellt, ein wuchtiges Omelett. Als es serviert wird, erschrickt er. So gross! Dann beugt er sich über den Teller wie ein Automechaniker über den Motorraum.

Neben der Familie bleibt ihm viel Zeit für die Politik und die Schweiz. Er wird sie benötigen. Früher, als Botschafter, erhielt er jeden Morgen ein 120-seitiges Pressedossier über das ak­tuelle Weltgeschehen. Heute muss er sich selbst ins Bild setzen. «Ich habe Schweizer Zeitungen als E-Paper abonniert.» Zudem lese er die internatio­nale Presse. «Mein Vorteil ist die Aussenper­spektive auf die Schweiz», sagt Guldimann.

Und seine Themen? Guldimann muss nicht lange überlegen. «Europa, Flüchtlinge, Terrorismus.» Bei allen drei bewirtschafte eine bestimmte Partei sehr erfolgreich Abgrenzungs­reflexe. Er wolle dem entgegentreten. Eine bestimmte Partei? «Die SVP», sagt Guldimann und blickt ertappt zum Fenster hinaus. Vielleicht hat er sich den Wandel vom Diplomaten zum Parteipolitiker doch ein­facher vorgestellt.

Dass auf dem neuen Spielfeld andere Regeln gelten, hat er bereits feststellen müssen. Guldimann hofft auf einen Sitz in der Aussenpolitischen Kommission (APK). Die nötige Qualifikation bringt er zweifellos mit: Wer sonst hat schon Frieden gestiftet in Tschetschenien oder im Iran die Interessen der Schweiz und der USA vertreten. Doch ob er in die APK darf, steht noch nicht fest. Die Fraktion entscheidet, da ist Qualifikation nicht das Einzige, was zählt. «Am Dienstag wissen wir mehr», so Guldimann.

Bereits am Donnerstag fliegt er dann fürs Wochenende zurück nach Berlin. Dort warten die Familie – und die Handwerker. «So viel fehlt nicht mehr, dann ist es hier schon ganz wohnlich», sagt Tim Guldimann. Und überhaupt: Schöneberg sei wunderbar. «Die Residenz war zwar zweckmässig, aber viel zu gross und unwirtlich. Hier ist es viel schöner.»

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