Der holländische Biochemiker Adriaan Tuiten hat für Frauen das Sex-Medikament Lybrido erfunden
Die Lustpille – ja, sie kommt!

Seit Jahren suchen Forscher vergeblich nach einer Arznei, welche die weibliche Unlust beseitigt. Ein holländischer Biochemiker ist überzeugt, das Rezept zu haben.
Publiziert: 26.05.2013 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 04:14 Uhr
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Damit es im Bett wieder Freude macht mit dem Partner: Lybrido fördert die Motivation für Sex.
Foto: Getty Images
Von Peter Hossli

Die kleinen weissen Pillen schmecken nach Pfefferminze. Regelmässig schlucken sie 420 Amerikanerinnen. Es sind Frauen, die Lybrido oder Lybridos testen – Tabletten, die Verheissungsvolles versprechen: Sie beseitigen bei Frauen die Unlust. Bisherige Befunde in den USA und Holland sind vielversprechend. Diesen Sommer entscheidet die US-Gesundheitsbehörde FDA über die Zulassung. Die holländische Behörde beschreibt die Pillen als sicher und wirksam.

Es wären die ersten Medikamente, die weibliche sexuelle Störungen beheben. Quasi Viagra für Frauen – aber doch anders. Viagra steuert einen physikalischen Prozess. Es belebt die Arterien, der Penis hebt sich. Lybrido und Lybridos beleben zusätzlich das Gehirn und somit die Psyche. Entwickelt hat sie der Biochemiker Adriaan Tuiten (58) in seinem Labor Emotional Brain in der Nähe von Amsterdam.

Er war Mitte zwanzig, als ihn seine grosse Liebe scheinbar aus dem Nichts verliess. Fortan beschäftigte er sich mit der Chemie, die das weibliche Gefühlsleben steuert.

SonntagsBlick: Dr. Tuiten, Sie haben eine Sexpille für Frauen entwickelt – weil Ihre Freundin Sie einst verlassen hatte?
Adriaan Tuiten:
Die Privatsphäre meiner damaligen Freundin bleibt privat. Als Forscher fasziniert mich jedoch die Gefühlswelt von Frauen.

Was bewog Sie, Lybrido und Lybridos zu entwickeln?
Mich interessierte, wie die Wirkstoffe männlicher Sexpillen wie Viagra sexuelle Funktionen von Frauen beeinflussen. Zuvor hatte ich untersucht, wie Testosteron bei Frauen wirkt. Dabei fiel mir auf, dass Frauen mit sexueller Dysfunktion oft nicht motiviert sind für Sex.

Im Gegensatz zu Männern?
Viagra funktioniert bei 80 Prozent der Männer, weil fast alle Männer sexuell motiviert sind. Frauen, die wenig Lust auf Sex haben, sprechen nicht auf Viagra-Wirkstoffe an. Es reicht nicht, ihre verborgene Se­xualität zu enthemmen. Es ist zusätzlich nötig, sie für Sex zu motivieren. Meine Pillen liefern eine Kombination. Sie erregen, und sie steigern die Motivation für Sex.

Wann leidet eine Frau denn an sexueller Dysfunktion?
Wenn Unlust zum emotionalen oder psychischen Problem wird.

Und was sind bei Frauen die Gründe dafür?
Es gibt Frauen, die nicht auf Sex ­reagieren, sexuelle Reize lassen sie kalt, sie können sich nicht für Sex begeistern. Dafür gibt es oft genetische Erklärungen. Zur zweiten Kategorie gehören Frauen, die zwar auf Reize reagieren, aber wegen ­eines oder mehrerer negativen Erlebnisse ihr Begehren unterdrücken. Sie wuchsen in Familien auf, in denen schlecht über Sex gesprochen wurde. Sie hatten als Kind negative Erlebnisse. Wer früh lernt, Sex und Lust seien schmutzig, bleibt verklemmt. Frauen mit sexueller Dysfunktion haben also physische und mentale Probleme. Bei Männern sind es oft nur physische.

Deshalb dauerte es länger, eine Sexpille für Frauen zu entwickeln?
Da rund 80 Prozent der Männer auf Viagra ansprechen, gingen Forscher bei Frauen ähnlich vor: Sie nahmen einen Wirkstoff, um eine Ursache für mangelndes sexuelles Begehren zu beheben. Dabei haben Frauen immer verschiedene Gründe für ihre Unlust. Deshalb schlugen viele Versuche bisher fehl. Ich habe zwei Pillen entwickelt, weil nicht alle Frauen gleich sind.

Worauf achten Forscher?
Die meisten Männer sind normal oder sehr motiviert, Sex zu haben. Frauen haben teilweise zu wenig Interesse an Sex, oder sie sind sexuell wenig erregbar. Diese Unterscheidung ist wichtig. Wieder andere sind erregbar, aber sie unterdrücken ihre Erregung. Das Symptom bleibt das gleiche: keine Lust.

Was passiert, wenn eine Frau Lybrido oder Lybridos schluckt?
Nach etwa drei Stunden steigen die sexuellen Gefühle an, das Begehren nimmt zu, ebenso sexuelle Reize im Hirn. Die Frau reagiert auf sexuelle Signale. Das erregt die Genitalien physisch. Lybridos löst zudem die Unterdrückung sexueller Wünsche. Es nimmt einer Frau die negative Einstellung zu Sex.

Wie entscheiden Sie, ob Lybrido oder Lybridos das Richtige ist?
Wir schauen bei jeder Frau individuell, wie reizbar ihr Hirn für Sex ist. Dabei berücksichtigen wir ihr Verhalten sowie genetische und hormonelle Merkmale. Lybrido ist für Frauen, die kaum reizbar sind. Lybridos sollten jene Frauen nehmen, die zwar sehr reizbar sind, die aber hemmende Mechanismen für Sex entwickelt haben.

Wie lange wirken Ihre Pillen?
Zwischen zwei bis drei Stunden.

Was sind die Nebeneffekte?
Lybrido verursacht bei knapp zehn Prozent ein bisschen Kopfweh, Lyb­ridos macht ein wenig schwindlig, wobei die Hälfte der getesteten Frauen dieses Gefühl sogar mögen.

Wie haben Frauen in der Testphase auf die Pillen reagiert?
Sie haben häufiger Sex mit ihren Partnern, und ihr Vergnügen daran ist grösser, als sie es zuvor erlebten. Die Resultate sind bedeutend besser als bei unserer Konkurrenz.

Wer soll Ihre Pillen schlucken?
Je nach Studie leiden 20 bis 50 Prozent der Frauen unter zu geringer Lust. Wer etwas dagegen tun will, sollte das Medikament nehmen.

Was wäre die Alternative dazu?
Das Ende der Monogamie.

Wie bitte?
Meine Pillen retten die Monogamie. Eine deutsche Studie belegt, dass Frauen, die im Alter von 20, 30 oder 40 eine feste Beziehung eingehen, die Lust an Sex nach ein paar Jahren verlieren – und zwar jeweils schneller als ihre Männer. Lassen sich Frauen auf eine neue Beziehung ein, kommt ihre Lust zurück.

Was bedeutet das?
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wir wandeln uns zu einer polygamen Gesellschaft – oder Frauen nehmen meine Pillen. Diese ermöglichen es, in liebenden, anhaltenden und monogamen Beziehungen sexuell befriedigt zu bleiben.

Männer tendieren dazu, die Sexualität von Frauen kontrollieren zu wollen. Sind wir denn bereit für sexuell hungrige Frauen?
Meine Pille produziert nicht Frauen, die ständig spitz sind, sondern solche mit einem gesunden und normalen Interesse an Sex. Sie haben mehr Freude an Sex und werden besser befriedigt. So stellten wir in der Testphase eine starke Zunahme der Orgasmus-Häufigkeit fest. Die Gesundheitsbehörden würden eine Pille nie zulassen, die einfach nur lüstern macht.

Wann sind die Pillen erhältlich?
Finden wir einen Pharmakonzern, der die dritte und letzte Testphase übernimmt, kommen wir 2016 auf den Markt. Ich würde das gerne mit Novartis machen. Lizenziert Novartis die Pillen, hätte sie bestimmt einen Bestseller in den Händen.

Wie gross ist der Markt?
Viagra, Cialis und Levitra bringen jährlich fünf Milliarden Euro. Der Markt für Frauen ist sicher noch grösser, da weibliche sexuelle Probleme verbreiteter sind.

Was tun Sie, damit unsere E-Mail-Konten nicht mit Werbung à la Viagra überquillen?
Dagegen kann ich nichts tun. Sind Lybrido und Lybridos erfolgreich, werden Sie Spam erhalten.

Das Geschäft mit Sex-Problemen bringt Milliarden

Der weltweite Markt für Lustpillen ist gigantisch. Viagra kam 1998 auf den Markt. Es behebt Erektionsprobleme. Bis heute haben weltweit 38 Millionen Männer rund 1,8 Mil­liarden Viagras geschluckt. Im Jahr 2012 erzielte Viagra-Hersteller Pfizer mit der blauen Pille einen Umsatz von knapp zwei Mil­liarden Franken. Im Juni läuft in Europa das Patent für Viagra aus. Pfizer hat bereits angekündigt, ein günstigeres Nachahmerprodukt auf den Markt zu bringen. Zudem sollen allein in Deutschland 28 verschiedene Firmen eine Zulassung für ein Generikum mit dem Viagra-Wirkstoff erhalten haben. Viag­ra hält einen Marktanteil von unter 50 Prozent. Den Rest teilen sich Levitra von Bayer sowie Cialis von Lilly. 

Der weltweite Markt für Lustpillen ist gigantisch. Viagra kam 1998 auf den Markt. Es behebt Erektionsprobleme. Bis heute haben weltweit 38 Millionen Männer rund 1,8 Mil­liarden Viagras geschluckt. Im Jahr 2012 erzielte Viagra-Hersteller Pfizer mit der blauen Pille einen Umsatz von knapp zwei Mil­liarden Franken. Im Juni läuft in Europa das Patent für Viagra aus. Pfizer hat bereits angekündigt, ein günstigeres Nachahmerprodukt auf den Markt zu bringen. Zudem sollen allein in Deutschland 28 verschiedene Firmen eine Zulassung für ein Generikum mit dem Viagra-Wirkstoff erhalten haben. Viag­ra hält einen Marktanteil von unter 50 Prozent. Den Rest teilen sich Levitra von Bayer sowie Cialis von Lilly. 

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