Das Coronavirus breitet sich in der Schweiz weiter aus
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Trotz strenger Massnahmen:Das Coronavirus breitet sich weiter aus

Der Faktor Zeit ist alles entscheidend, sagt der Virologe
«Wir müssen so schnell wie möglich impfen»

Christian Drosten gilt als der führende Experte Europas im Kampf gegen das Coronavirus. Jetzt, sagt der Direktor des Virologie-Instituts an der Berliner Charité im Gespräch mit SonntagsBlick, stünden wir vor der entscheidenden Phase des Seuchenverlaufs.
Publiziert: 22.03.2020 um 11:58 Uhr
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Aktualisiert: 23.03.2020 um 15:53 Uhr
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Christian Drosten, Direktor des Virologie-Instituts an der Berliner Charité.
Foto: Imago
Interview: Johannes von Dohnanyi

Professor Drosten, das neue Coronavirus brauchte drei Monate, um weltweit die ersten 100'000 Menschen zu infizieren. Für die nächsten 100'000 waren dann nur noch zwölf Tage nötig. Sind Sie überrascht?

Christian Drosten: Nein. Diese exponentielle Vermehrung haben uns die Epidemiologen schon vor Wochen vorgerechnet: Weltweit werden sich 50 Prozent der erwachsenen Bevölkerung infizieren. Zusammen mit den Kindern werden es am Ende 60 bis 70 Prozent der Weltbevölkerung sein.

Und immer noch ist kein Impfstoff oder eine medikamentöse Therapie in Sicht?

Man kann doch pharmazeutische Wirkstoffe nicht einfach auf gut Glück ausprobieren. Es gibt sicherlich vielversprechende Wirkstoffe in der Pipeline. Aber weil das nicht so schnell geht, müssen jetzt bestehende Medikamente sehr schnell auf ihre Wirksamkeit überprüft werden.

Und ein Impfstoff?

Schulschliessungen und ähnliche Massnahmen allein werden den exponentiellen Anstieg der Fälle und der Sterberate nicht aufhalten. Und deshalb müssen wir so schnell wie möglich impfen. In normalen Zeiten würde die Entwicklung eines Impfstoffs mindestens anderthalb Jahre dauern. Jetzt könnte man sich etwa überlegen, ob Risikogruppen nicht mit einem Impfstoff im Frühstadium versorgt werden können. Aber ich bin kein Experte in medizin-ethischen Fragen.

Insgesamt klingt das nicht sehr hoffnungsvoll.

Das habe ich nicht gesagt. Wir wissen ja noch nicht, wie hoch die Rate der sehr milden Infektionen ist. Und auch bei der Fallsterblichkeit gibt es erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Ländern.

Woran liegt das?

Es gibt wohl mehr als einen Grund. Deutschland hat sehr früh sehr viele Tests gemacht. Das gab uns einen Vorsprung von etwa zwei Wochen. Dann ist unsere Kerngruppe der Infizierten jünger als in anderen Ländern. Und in den südlichen Ländern könnte der soziale Zusammenhalt eine Rolle spielen: Bei uns leben, wie auch in der deutschsprachigen Schweiz, die verschiedenen Generationen nicht mehr in einem Haushalt zusammen.

Der Luzerner Gesundheitsdirektor Guido Graf rechnet innert fünf bis acht Tagen mit Zuständen wie in der Lombardei. Ist das denkbar?

Ich bin kein Experte für die Schweiz. Aber man kann natürlich auf der Basis von Fallzahlen berechnen, wie sich die Lage ohne Gegenmassnahmen entwickeln wird.

Der Bundesrat hat ein Versammlungsverbot für mehr als fünf Personen verfügt. Wäre eine Ausgangssperre nicht besser gewesen?

Ich finde solche Regelungen gar nicht so schlecht. Die Frage ist doch immer auch, was den Menschen zugemutet werden kann. Und es gibt keine belastbaren epidemiologischen Evidenzen dafür, dass Totalsperren wirkungsvoller sind als ein streng kontrolliertes Quarantäneregime.

Eine Ausgangssperre würde also kein Leben retten?

Selbst dann ginge die Zahl der täglichen Sterbefälle für etwa einen Monat wie unkontrolliert weiter. Keine solche Regelung ist zu 100 Prozent durchsetzbar. Und wenn man das weiss, dann weiss man auch, dass der Bevölkerung so extreme Vorgaben kaum vermittelbar sind.

Trotzdem gibt es immer mehr Länder, die genau diesen Weg beschreiten.

Auch wegen der Berichterstattung aus unseren Nachbarländern wie Italien entsteht ein Handlungsdruck. Und dann trifft die Politik weniger wissenschaftsbasierte als vor allem politisch getriebene Entscheidungen. Wir sehen das in diesen Tagen ja in Deutschland: Wenn ein Bundesland vorprescht, stehen sofort auch alle anderen unter Zugzwang. Ob das immer richtig war, werden wir erst hinterher wissen.

Sie rechnen also mit drastischen Entscheidungen der Politik in den kommenden Tagen?

Zumindest für Deutschland höre ich von solchen Plänen. Niemand kann sich den Eindruck leisten, nicht rechtzeitig gehandelt zu haben. Und dann müssen sich all die anpassen, die sich bisher nicht an die Regeln halten.

Also null Verständnis für Corona-Partys und heimliche Verabredungen in der Beiz?

Wenn denen klar wäre, wie viele Menschen aufgrund ihres Verhaltens sterben könnten – dann würden sie vermutlich zu Hause bleiben. Aber viele wollen sich nicht damit beschäftigen, dass sie das Leben ihrer Eltern und Grosseltern gefährden. Das ist eine Mischung aus Verdrängung, Ignoranz und anderen Prioritäten. Die machen das, was sie am liebsten machen – feiern und so.

Aber auf Dauer lässt sich keine demokratische Gesellschaft einsperren, oder?

Vermutlich haben Sie recht. Und deshalb hoffe ich zumindest für Deutschland, dass wir mit verschärften Regeln bis etwa zu den Osterferien eine Reduzierung der schweren Krankheitsfälle und der Sterberate feststellen und dann vielleicht eine schrittweise Lockerung der Vorschriften versuchen können.

Coronavirus

Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.

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