Bisher hatte die in Bedrängnis geratene Lam das Gesetz nur auf Eis gelegt. Das Auslieferungsgesetz hätte es Hongkongs Behörden erlaubt, von China beschuldigte Personen an die Volksrepublik auszuliefern.
Kritiker warnen, Chinas Justiz sei nicht unabhängig und diene der politischen Verfolgung. Auch drohten Folter und Misshandlungen. Das Projekt hatte die grössten Demonstrationen seit drei Jahrzehnten in der Finanzmetropole ausgelöst.
Demonstranten nehmen Parlament ein
Am Montag, dem 22. Jahrestag der Rückgabe Hongkongs an China, eskalierten die Proteste. Hunderte Menschen besetzten zeitweise das Parlament der Stadt, den Legislativrat. Zuvor hatten sie eine Glasfront und Teile eines Zauns an dem Regierungsgebäude zerstört. Einige Demonstranten besprühten Wände im Gebäude mit Protestparolen und zerstörten Teile der Einrichtung.
Bei den Ausschreitungen am Parlament hatte eine Gruppe von Demonstranten, die Helme, Masken und Schutzbrillen trugen, zunächst Teile eines Zauns und eine Glasfront am Legislativrat zerstört. Auch nutzten sie aufgespannte Regenschirme, um sich vor dem Pfefferspray der Polizei zu schützen. Regenschirme gelten als Symbol der Hongkonger Demokratiebewegung.
Die Polizei rückte in der Nacht vor und räumte das Areal. Am Dienstag begangen die Aufräumarbeiten im Regierungsviertel. Die Polizei gab an, dass 13 Einsatzkräfte am Montag verletzt wurden.
Lam stellt Aktivisten als gewalttätig dar
Lam verurteilte die Gewalt und warnte, die Täter würden zur Verantwortung gezogen. Zugleich äusserte sie die Hoffnung, dass die Ordnung bald wieder hergestellt werde.
Am Tag nach der zeitweisen Besetzung des Hongkonger Parlaments kritisierte Lam das Verhalten einiger Demonstranten scharf und drohte ihnen Konsequenzen an. «Ich bin sehr empört und verzweifelt und verurteile es aufs Schärfste», sagte Lam in einer Pressekonferenz am frühen Dienstagmorgen.
Der extreme Einsatz von Gewalt und der Vandalismus durch Protestler hätte viele Menschen traurig gemacht und schockiert. Die Regierung werde «das gesetzeswidrige Verhalten bis zum Ende verfolgen».
Gleichzeitig nahmen am Abend Hunderttausende Menschen an einem friedlichen Protestmarsch teil gegen die Regierung und das Auslieferungsgesetz teil.
Regierung macht Versprechungen
Lam wies am Dienstag Anschuldigungen zurück, nicht auf die Forderungen der Demonstranten eingegangen zu sein. Wie schon zuvor wiederholte sie, dass der geplante Gesetzesentwurf bis 2020 ablaufen werde. «Das Gesetz wird auslaufen oder es wird sterben», sagte Lam, die auch Verständnis für den Grossteil der Demonstranten zeigte. Der grosse Protestmarsch am Dienstag sei «friedlich und im Allgemeinen ordentlich» abgelaufen.
China verurteilt Demonstrationen in Hongkong
China hat die regierungskritischen Demonstrationen und Ausschreitungen in Hongkong scharf kritisiert. Die Hongkong-Behörde verurteile das gewaltsame Verhalten mancher Kundgebungsteilnehmer in aller Schärfe, berichteten staatliche Medien am Dienstag.
Die Behörde unterstütze die Hongkonger Regierung dabei, die Kriminellen zur Verantwortung zu ziehen. Die Gewalttaten mancher Individuen seien eine unverhohlene Herausforderung für das besondere Verhältnis von Hongkong zu China. Die ehemalige britische Kronkolonie gehört zwar formal zu China, hat aber eine Reihe von Sonderrechten und Freiheiten. So hat es eine unabhängige Justiz und eine eigene Regionalverwaltung.
22 Jahre seit Rückgabe an China
Am 1. Juli 1997 hatte Grossbritannien seine Kronkolonie Hongkong an China zurückgegeben. Eigentlich stehen den Hongkongern laut Rückgabevertrag bis 2047 mehr Freiheiten zu als den Chinesen in der Volksrepublik. Doch immer mehr Hongkonger fühlen, dass Peking schon jetzt ihre Rechte beschneidet. (SDA)