Demokraten gegen Demokraten
Bidens Kampf um sein Vermächtnis

Es läuft nicht so recht bei Joe Biden. Nach den aussenpolitischen Krisen der vergangenen Wochen steht nun das Kernstück seiner innenpolitischen Agenda auf der Kippe.
Publiziert: 03.10.2021 um 17:09 Uhr
Joe Biden, Präsident der USA, spricht mit Journalisten, bevor er an Bord der Marine One auf dem Südrasen des Weißen Hauses geht. Biden verbringt das Wochenende in seinem Haus in Delaware. Foto: Patrick Semansky/AP/dpa
Foto: Patrick Semansky

Der Demokrat kämpft um die Durchsetzung der beiden wichtigsten Vorhaben seiner Präsidentschaft - quasi um sein politisches Vermächtnis. Und hier machen ihm nicht die Republikaner das Leben schwer, sondern ausgerechnet seine eigenen Parteikollegen. Das erbitterte und langatmige Gezerre birgt grosse Risiken für Biden und die Demokraten.

Der Präsident klingt leicht genervt, als er am Samstag zu einem Wochenendtrip in seine Heimat Delaware aufbricht. Mit Blick auf die wachsende Ungeduld mancher Parteikollegen bei den Verhandlungen sagt er: «Jeder ist frustriert», das gehöre zum Regieren eben dazu. Er werde «wie der Teufel» für seine Pläne kämpfen. Angekommen in Delaware aber geht er erst mal golfen. Der Mann braucht eine Pause.

In der vergangenen Woche war der Präsident fast ausschliesslich mit den parteiinternen Verhandlungen beschäftigt. Einen Trip nach Chicago in anderer Sache sagte er kurzfristig ab. Statt dessen verbrachte er Tage hinter verschlossenen Türen im Weissen Haus, empfing in unterschiedlichen Konstellationen diverse Parteikollegen. Dass der Präsident kaum zu sehen ist und derart monothematisch beschäftigt ist, kommt selten vor. Für Biden steht viel auf dem Spiel.

Es geht um zwei gewaltige Billionen-Dollar-Investitionspakete. Mit dem einen will der Demokrat in den kommenden Jahren Strassen, Brücken, Wasserleitungen und Internetnetze modernisieren. Mit dem anderen will er die Sozialsysteme im Land deutlich ausbauen und etwa im grossen Stil in Bildung und Familienleistungen investieren. Das klassische Infrastrukturpaket ist im Senat bereits beschlossen und wartet nur noch auf das finale Votum im Repräsentantenhaus. Doch das ist vorerst aufgehalten - wegen schwerer Auseinandersetzung um das zweite Paket.

Dahinter stecken schwere Flügelkämpfe: Moderate sträuben sich gegen die grossen Ausgaben beim zweiten Paket und wollen Biden dazu zwingen, dieses radikal zusammenzustreichen. Progressive wollen die gewaltigen Investitionen ins Soziale dagegen mit aller Macht durchsetzen - und drohen damit, das Infrastrukturpaket im Kongress durchfallen zu lassen, sofern das zweite Paket nicht gesichert ist.

Das Gezerre zeigt Bidens Grundsatzproblem: In beiden Kongresskammern haben seine Demokraten nur knappe Mehrheiten, im Senat eine hauchdünne. In einem Moment wie diesem, in dem die Demokraten im Senat jede Stimme brauchen, kann also ein einzelner Senator die ganze Partei in Geiselhaft nehmen und dem Präsidenten den Takt vorgeben. Genau das tun derzeit die Senatoren Joe Manchin und Kyrsten Sinema.

Die beiden sperren sich gegen die hohen Ausgaben für Bidens Sozialpaket und verweigern bislang ihre Zustimmung dazu. Mit ihrer Blockade bestimmen die sonst nicht übermässig prominenten Demokraten plötzlich über Tage die Schlagzeilen in den USA und gehen im Weissen Haus ein und aus. Es gebe kaum etwas Kostbareres als die Zeit des Präsidenten der Vereinigten Staaten, sagte die Sprecherin des Weissen Hauses, Jen Psaki, vor wenigen Tagen. Manchin und Sinema nehmen derzeit einen substanziellen Teil dieser Kostbarkeit in Anspruch. Ähnliches gilt für progressive Demokraten im Repräsentantenhaus.

Biden stattete der Fraktion dort am Freitag einen symbolträchtigen Besuch ab. Dass der Präsident den kurzen Weg vom Weissen Haus zum Kapitol auf sich nimmt, kommt selten vor. Vor allem nicht für eine Fraktionssitzung. Biden umgarnt seine Parteikollegen, wo er kann. Ein hochrangiger Regierungsbeamter aus dem Umfeld des Präsidenten stellte bei der Nachrichtenseite Axios aber klar: «Er wird nicht betteln.»

Es ist kaum vorstellbar, dass die Demokraten Bidens Pläne tatsächlich scheitern lassen. Der Präsident wäre damit irreparabel beschädigt, ebenso die Führung der Demokraten im Kongress. Ausserdem will die Partei die populären Investitionen. Die Frage ist eher, was am Ende von Bidens Plänen übrig bleiben wird.

Der Präsident wird wohl grosse Abstriche an seinem zweiten Paket machen müssen, um eine Mehrheit dafür zu organisieren. Es kursieren mögliche Grössenordnungen zwischen 1,5 und 2 Billionen Dollar, statt der 3,5 Billionen Dollar, die er will. Auch sein Infrastrukturpaket wurde schon radikal zusammengestrichen: Ursprünglich hatte Biden hier 2 Billionen Dollar angepeilt. Heraus kamen am Ende rund 550 Milliarden Dollar an neuen Investitionen, und mehr als eine Billion Dollar, wenn vorher verplante Mittel mitgerechnet werden.

Das Weisse Haus müht sich bereits, PR-technisch den Boden zu bereiten für ein deutlich kleineres Paket. Es gehe in jedem Fall um ein grosses Vorhaben historischer Dimension, betonte Psaki.

Tatsächlich wäre das, was Biden vorhat, eine Art Paradigmenwechsel in den USA: mehr finanzielle Unterstützung für Familien, eine Deckelung der teils horrenden Kosten für Kinderbetreuung, bezahlte Eltern- oder Pflegezeit, ein Ausbau der Gesundheitsleistungen, kostenloser Besuch von Community Colleges. Solche Dinge wären in einem Land, das nicht viel von Sozialstaat hält, sondern in dem sich tendenziell jeder um sich selbst zu kümmern hat, eine echte Neuausrichtung. Ebenso die Tatsache, dass für all das Grosskonzerne und Spitzenverdiener mit höheren Steuern zahlen sollen. Der linke Senator Bernie Sanders nennt das Vorhaben das «bedeutendste Gesetz seit 70 Jahren».

Es geht also eigentlich um grossen Aufbruch. Doch das geht in den lähmenden Verhandlungen unter. Je länger das Gezerre andauert, umso grösser ist das Risiko, dass die positive Botschaft verpufft.

In der öffentlichen Debatte dreht sich alles um Zahlen, Summen, Lagerkämpfe. Biden hat in den vergangenen Wochen vernachlässigt, der Bevölkerung zu vermitteln, was die geplanten Investitionen für sie konkret bringen sollen. Das will er nun nachholen und in der kommenden Woche bei Veranstaltungen im Land für seine Pläne werben.

Die Zeit drängt. Im nächsten Jahr stehen in den USA Kongresswahlen an - zu Bidens Halbzeit im Amt. Mindestens im Senat droht den Demokraten dann der Verlust ihrer hauchdünnen Mehrheit. Der Präsident muss also, was immer ihm wichtig ist, vorher durchsetzen.

Die aktuellen Flügelkämpfe machen sich, auch mit Blick auf den anstehenden Wahlkampf, nach aussen hin nicht gut. Das Weisse Haus versucht zwar die parteiinternen Streitigkeiten als Inbegriff gesunder Demokratie zu verkaufen. Doch die Auseinandersetzungen zeigen vor allem ein tiefsitzendes Misstrauen zwischen verschiedenen Lagern der Partei. Das hat noch selten in einem Wahlkampf geholfen. (SDA)

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