Hin und wieder musste die Praxishilfe von David M.* seine Patienten vertrösten: «Der Herr Doktor ist gerade in Nigeria.» Der Mediziner aus dem Raum Bern wurde letzte Woche von Journalisten der deutschen ARD und des Onlinemagazins «Republik» bei der Doping-Übergabe an einen Lockvogel gefilmt; die Berner Staatsanwaltschaft ermittelt.
Doch M. hat nicht nur mit Leuten zu tun, die sich freiwillig in seine Obhut geben. M. verdiente sein Geld nämlich auch beim Bund, und zwar in einem äusserst sensiblen Bereich: Er hatte mehrfach Sonderflüge für Zwangsausschaffungen begleitet – obwohl schon seit Jahren Gerüchte und Vorwürfe gegen den Sportarzt wegen widerrechtlichen Umgangs mit Substanzen kursieren.
Bei den Flügen handelt es sich um die strengste Form der Rückführungen in das Herkunftsland, im Beamtenjargon Level 4 genannt: Weil vom abgewiesenen Asylsuchenden grösster Widerstand erwartet wird, erlaubt das Gesetz ausdrücklich «Handfesseln und andere Fesselungsmittel sowie körperliche Gewalt».
Medizinische Begleitung für elf Sonderflüge
Ein Sprecher des Staatssekretariats für Migration (SEM) bestätigt die SonntagsBlick-Recherchen: «Dr. M. hat seit dem 01.06.2016 insgesamt elf Sonderflüge medizinisch begleitet, letztmals im Oktober 2017. Er wurde als Facharzt für Innere Medizin eingesetzt.» Nach Informationen des SonntagsBlicks war M. bereits vor dem genannten Zeitraum als Ausschaffungsarzt tätig.
Im Einsatz war M. bei den genannten elf Flügen als freier Mitarbeiter der Ärztefirma Oseara, die vom Bund für die Durchführung von Ausschaffungen mandatiert ist. In der Vergangenheit stand Oseara wiederholt in der Kritik, zuletzt wegen der Ausweisung einer hochschwangeren Eritreerin.
Asylsuchende wurden zwangsweise sediert
Nun hat das Unternehmen auf die Vorwürfe gegen den mutmasslichen Doping-Arzt reagiert: M. werde von Oseara «per sofort nicht mehr eingesetzt, bis die Schuldfrage geklärt ist», teilt das SEM mit. Stellt sich die Frage der Medikamentenabgabe auf den Flügen. In der Vergangenheit kam es mehrmals zu aufsehenerregenden Fällen. 2014 berichtete die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) von vier Ausschaffungsflügen, auf denen Asylsuchende zwangsweise sediert wurden. Seit dem letzten Fall hat die Behörde den Oseara-Ärzten den zwangsweisen Einsatz von Beruhigungsmitteln verboten. «Alle Sonderflüge werden immer von Mitgliedern der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter begleitet», beteuert man beim Bund.
Dass M. nicht nur im Umgang mit Amateursportlern, sondern auch mit renitenten Ausschaffungshäftlingen auf die Hilfe von Substanzen setzt, ist nach den jüngsten Enthüllungen ein naheliegender Gedanke. Doch beim SEM wiegelt man ab. Missstände seien seit dem letzten publik gewordenen Fall von chemischer Keule keine mehr gemeldet worden: «Auf keinem der elf Sonderflüge kam es zu einer zwangsweisen Verabreichung von Medikamenten.»
Keine Auffälligkeiten in den Akten
Weshalb aber wird ein mutmasslicher Dopingsünder in einem so heiklen Terrain eingesetzt, wofür er charakterlich nicht geeignet scheint? Aus den Akten habe man schlicht nichts Verdächtiges herauslesen können, heisst es beim Bundesamt: «Oseara reichte dem SEM im Rahmen der Ausschreibung des laufenden Mandats Personaldossiers inkl. Strafregisterauszüge der eingesetzten Personen ein.» SonntagsBlick hätte von M., für den die Unschuldsvermutung gilt, gerne seine Sicht zu den Vorwürfen erfahren. Doch der Arzt liess die Anfragen unbeantwortet.