Der Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 war mein Erweckungserlebnis. Atomenergie als unfassbare Bedrohung – sprichwörtlich. Pilze und Haselnüsse essen war verboten. Kontaminiert. Die Erinnerung kam mit Fukushima 2011 zurück. Und wie nach Drehbuch bebte die Erde in Japan in der Nacht auf Montag, eine Woche vor der Abstimmung über den vorzeitigen Atomausstieg, gleich nochmals. Was hilft den Ausstiegsgegnern eine Wahrscheinlichkeit eines radioaktiven Unfalls auf 100’000 Reaktorstunden, wenn doch alle die Bilder des Fukushima-Tsunamis im Kopf haben?
Gegner der Atomenergie haben es einfach: Sie haben Unmengen emotionaler Argumente und Geschichten auf Lager, bessere als die AKW-Fans. Staudämme in der Schweiz brechen nicht, kein Mensch ist bisher von einem Solarpanel erschlagen worden. Die Endlagerung radioaktiver Abfälle ist aber nach Jahren der Suche noch immer nicht gelöst; wenn die Schweiz Erdöl und Uran importiert, kann sie das auch mit Strom tun.
Der langfristige Ausstieg aus der Atomenergie, die Energiestrategie 2050, ist auch für den BLICK eine klare Sache. Zwischen 2019 und 2035 sollen die fünf Kernreaktoren in der Schweiz abgeschaltet werden. Angesichts der neuen Marktbedingungen in Europa und der miserablen Rentabilität der AKW ist das nur logisch.
Es gilt aber nicht für den kurzfristigen Ausstieg, über den wir am Sonntag abstimmen. Die Gegner argumentieren richtig, dass die AKW-Betreiber Planungssicherheit brauchen. Ein vorzeitiger Ausstieg kostet uns Steuerzahler Hunderte Millionen. Die 40 Prozent Bandenergie der AKW liefern die Grundlast für die stabile Versorgung. Man kann nicht gegen AKW sein und gleichzeitig jede Erhöhung von Staumauern und jeden Windpark zu verhindern versuchen. Europa braucht noch Jahre, bis saubere alternative Energie die dreckige Energie aus Kohle ersetzen kann. Bis die Wende vollzogen ist, müssen wir wohl oder übel auf Atomstrom setzen.
Uns allen nützt es aber, wenn die Initiative der Grünen nicht allzu deutlich abgelehnt wird. Der Druck auf jene, die den Ausstieg aus der Atomenergie langfristig möglich machen müssen, muss hoch bleiben.
Also: Energiewende bis 2050 ja, sofortiger Ausstieg nein.