Das grosse Interview
Die Ärzte: «Wir sind Reimfaschisten»

ZÜRICH – Sprechstunde bei den Ärzten: 30 Minuten Therapie mit Bela B. (44), Farin Urlaub (44) und Rodrigo González (39) machen schlau. Nur akute Lachmuskelschmerzen sind zu beklagen.
Publiziert: 02.11.2007 um 01:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 16:41 Uhr
Von Nora Hesse (heute) und Gabriel Brönnimann (BLICK)

Gabriel Brönniman, BLICK: «Ihr habt uns ja damals aufgeklärt wie das so geht mit dem Schäferhund und den Frauen, als wir noch jünger waren. Jetzt kriegen wir mal wieder richtigen Punk von euch geliefert. War das eure Absicht?
Rod: «Nö, das ist einfach Resultat von dem unserem Output.»
Bela: «Also songwritermässig hat sich da nicht viel geändert, ich glaube, was die Leute mehr als Punkrock oder als härter empfinden, ist, dass wir uns halt reduziert haben. Zum Beispiel, dass wir einfach mal ein paar Gitarren weniger aufnehmen, was uns nicht bei allen Songs gelungen ist, aber bei sehr vielen. Und dass wir schon nach zehn Tagen beschlossen haben, keine additionalen Gastmusiker, Streicher, Bläser, Frauengesänge, so Dinge halt, Sachen halt, die wir nicht selber bedienen können, die haben wir komplett gecancelt, was bei den meisten Songs nicht so schlimm war. Bei ‹Pflegeleicht› zum Beispiel waren Bläser definitiv vorgesehen, aber da musste der Herr Urlaub dann leider darauf verzichten.»
Farin: «Nö, sehr gerne.»
Bela: «Wir wollten uns einfach mal auf uns selber besinnen.»
Farin: «Also, die Aerzte naked. Lets face it.»
Bela: «Die klingt dann natürlich auch etwas aufgeräumter und deshalb ein bisschen rauer.»

Nora Hesse (heute): «Was war der Grund, dass ihr euch gesagt habt, ihr wollt reduzierter klingen?»
Bela: Wir haben selber produziert, und das ist ganz organisch entstanden in der ersten Woche.»
Farin: Wir haben uns als Band gefühlt und nicht als Leute, die der Welt zeigen wollen, was für tolle Songs sie schreiben und arrangieren können. Weil bisher wars oft so, wenn wir beispielsweise ein Salsa-Stück aufgenommen haben, dann sollte das verdammt noch mal auch wie ein Salsa-Stück klingen – Alles Gehupe, und das Klavier noch, etc. Und diesmal ging es eher um die Reduzierung. Also was macht die Dreierband so stark. Wir gehen ja auch nicht mit Musikern auf Tour, sind ja meistens zu dritt und haben gedacht, jetzt machen wir das auch mal wieder im Studio. Wir haben das aber nicht so geplant, sondern das entstand so durch die Zusammenarbeit. So ‹Hey, was sind eigentlich unsere Stärken›.»
Bela: «‹Heulerei› zum Beispiel war so ein Salsa-Stück. Hört man aber heute nicht mehr. Haben wir dann umarrangiert.»

NH: «In den Texten steckt ein starker Zweifel, auch eine Provokation. Bei ‹Junge› scheint es um einen Dialog mit der Jugend zu gehen.»
Bela: «Dialog mit der Jugend, ja.»
Farin: «Ist eigentlich ein Monolog, oder? (alle lachen) Ein Monolog einer verzweifelten Mutter, die keinen Zugang mehr findet zu ihrem Sohn. Und wir sind ja jetzt in einem Alter, in dem wir selber Mütter sein könnten. Es ist ein Angebot an die Jugend zum Dialog.»
Bela: «Ja, so eine Round-Table-Einladung.»

GB: «Wenn ich mir das Video ansehe, dann seid ihr aber nicht unbedingt die Mutter…»
Bela: «Ne, wir sind die Jugendlichen.»
Farin: «Jo! (alle lachen) Merkt ihr? Wir arbeiten mit Irritationen. Da muss ich jetzt mal sagen, vielleicht kriegt das Video jetzt so viel Aufmerksamkeit, weil es die erste Single ist seit langer Zeit. Aber wir haben da mal so ein Stück gehabt, um eines von wirklich vielen zu nennen, das hiess ‹Deine Schuld›, und das handelt davon, dass man selber die Welt ändern muss und sich nicht immer auf andere verlassen kann. Das Video dazu: Ich sass an einem Teich und habe geangelt, und die beiden sassen in einem Boot und haben geangelt. Und am Ende ging die Welt unter. Also nicht unbedingt eine 1:1-Umsetzung des Textes. Wir haben da Reviews gekriegt – ‹Ja, die Ärzte sind grün, malen radikale Parolen an die Wand› – und wir nur ‹Oh Gott›. Wir machen das unheimlich ungern, einen Text im Video 1:1 umzusetzen, weil dafür gibt’s das Lied ja schon. Das Video ist dazu da, eine neue Dimension, oder in diesem Fall, eine völlig unabhängige Dimension durchzubringen.»
Bela: «Es gibt da drei Arten, und die langweiligste ist wirklich, den Text 1:1 umzusetzen.»

NH: «Auf ‹Geräusch› sagtet ihr noch, jeder kann die Welt verändern, wenn er will, jetzt sagt ihr: Spiel einfach mit.»
Farin: «Spiel einfach mit? In welchem Lied hast Du das rausgehört?»

NH: «Ich weiss nicht wie der Song heisst ich hab keine Tracklist.»
Rod: «Spiel mit?»
Bela: «Spiel mit mach mit.»

NH: «Ja also hör den Leuten zu und kämpf nicht, so in dem Sinne.» GB: «Wart mal schnell, ich hab…»
Farin: «‹Lasse reden›! Das ist ein Stück über üble Nachrede, das ist gar nicht so! ‹Steh einfach drüber›, heisst das, also da hast du das glaub ich etwas in den falschen Hals gekriegt. »

NH: «Aber das ist doch irgendwie neu, wenn ihr noch vor ein paar Jahren…»
Farin: «Es sind zwei unterschiedliche Dinge.»
Rod: «Unterschiedlich.»

NH: «Was ist da der Unterschied?»
Farin: «Das Eine ist etwas Kleines: Üble Nachrede. Und das Andere ist die Welt.»

GB: «Okay. Aber es kommt ja doch vor: Angst, und Hass, und Rassismus der Menschen – mit der BILD-Zeitung im selben Lied. Und das ist dann schon auch die Gesellschaft, die Welt…»
Farin: «Na, der Teil der Gesellschaft, der BILD liest, oder?»
Bela: «Der grosse Teil der Gesellschaft.» (lacht)
Farin: «Die Millionen (lacht). Kommt doch, kommt doch!»

GB: «Nein, wir kamen deshalb drauf, weil es eben ein grosser Teil der Gesellschaft ist. Und dann höre ich nur: ‹Steh drüber›. Ist das jetzt die Botschaft der Ärzte?»
Farin. «Nein. Es gibt ja auch nicht die eine Botschaft der Ärzte, sonst hätten wir ein Album gemacht und uns danach aufgelöst. Das war ja tatsächlich das Problem von «Rage Against The Machine», die haben ein Album gemacht da war alles drin, und beim zweiten war das Problem, nun, wogegen singen wir denn jetzt?»
Bela: «Ja, eine Hitsingle drauf und das wars.»
Farin: «Es geht ja auch darum als Künstler, dass man etwas Neues macht. Also der perfekte Lovesong ändert sich ja auch über die Jahre. Zum Beispiel ein Ansatz ist dieses ‹Zu spät›: ‹Du wirst schon sehen, aus mir wird noch ein Star›. Das können wir ja jetzt nicht mehr singen, weil die Frauen die wir jetzt kennen lernen, die sagen: ‹Ja, ich weiss schon wer du bist!› (lacht). Darum singen wir jetzt andere Liebeslieder: ‹Du wolltest also wirklich nur meine Kohle, blöde Schlampe…› (lacht). Das ändert sich einfach, aber das heisst nicht, dass sich unsere Einstellung zum Leben so gedreht hat. Man wird halt weiser und älter, aber das heisst jetzt nicht, dass ich jetzt sage, die Ideale von früher interessieren mich nicht mehr. Man kann immer noch neue Facetten entdecken.»

NH: «Was sind so die Hauptfacetten, die ihr neu entdeckt habt?»
Farin: «Bela riecht erstaunlich gut, auch nach stundenlangem Schlagzeugspiel. (alle lachen). Das ist so eine Facette, die kannte ich an ihm noch nicht.»
Bela: «Weil du auch noch nie so dicht dran warst.»
Farin: «Ja eben!»
Bela: «Ich glaube, das hat damit zu tun, was wir bereit sind, an uns selber preiszugeben, oder, wozu wir in der Lage sind, kompositorisch und textlich herzustellen. Und da eine Qualität in der Band festgestellt haben und das ist die Gemeinschaft, dass wir das immer noch sind, stärker sind, und das tatsächlich noch können, und Stücke so machen können, dass alle drei dahinter stehen können und Fans sind. Darum klingt diese Platte so kompakt. Aus einem Guss. Und dass wir textlich dann auch bereit sind, Andere mit reinreden zu lassen, grade wenn es um Aussagen geht.»
Farin: «Also, ‹Andere› heisst die anderen beiden Bandmitglieder. Es gab in den Anfangszeiten, in den Achtzigerjahren schon den Wunsch, originell zu sein, und sich in möglichst jedem Text zu unterscheiden. Ganz am Anfang der Band, als alle unsere Mit-Punker über und gegen den Staat und die Polizei gesungen haben, haben wir Lieder wie Pro-Pickel gesungen. Wir sind halt extra einen anderen Weg gegangen, weil wir das halt doof fanden.»
Bela: «Auf der ersten Veröffentlichung, auf diesem ‹Vollrausch-Sampler›, waren drei Lieder über Nicht-alkoholische-Lebensmittel: Vollmilch, Zitronen-Eis und Brötchen.» (alle lachen)
Farin: «Genau! Und alle anderen sangen über Bier!»
Bela: «Ist das jetzt ne Masche?»
Farin: «Die Lebensmittel-Band! » (alle lachen)
Bela: «17 Songs über Alkohol, drei Songs gingen um andere Dinge, und die waren von uns.»
Farin: «Nach dem nicht enden wollenden Erfolg ist das ganze mittlerweile einer Entspanntheit gewichen. Ich persönlich hab gar keine Angst mehr vor einem Pop-Song, wo man nicht mehr sagen kann: Okay, aber wo ist denn jetzt die Aussage? Es ist okay!»
Bela: «Genau: Lets Pop!»
Farin: «Es ist ein entspanntes Älterwerden, ganz sicher ist es ein entspanntes Geldverdienen.» (lacht)

NH: «Rod, das Älterwerden, wie siehst Du das?»
Rod: «Was ich vor allen Dingen, es gibt da so einen Spruch von unserem Toningenieur Mirko Schiffer, einer der drei Toningenieure die wir hatten, und mit dem hab ich mich Abends beim Bier unterhalten wie sichs so anfühlt im Studio und so…»
Farin: (lacht) «…wenn man den Fuss auf seinem Rücken hat, wie das so ist…»
Rod: «…genau, jedenfalls meinte er, was ganz interessant ist, es wäre seit Jahren eine Plattenproduktion, wo man respektvoll miteinander umgeht. Und dass sie das eigentlich total vergessen und verlernt hatten, und das hat einfach total gut getan. Wir hatten das auch festgestellt, wo wir ins Studio gingen und für das Silvesterkonzert in Köln – in Anführungsstrichen – geprobt haben, und das war eine ganz tolle Erfahrung, es hat sehr viel Spass gemacht, wir haben uns zugehört und auch ausreden lassen, und das ist etwas was uns irgendwie abhanden gekommen war in den letzten Jahren.»

GB: «Nochmal zurück zum Jugendthema. Spannend finde ich im Video zu ‹Junge› auch diese Anspielungen auf ‹Shaun auf the Dead›, und das ganze mit der Gesellschaft, die da gezeigt wird, mit den Zombies…»
Farin: «Das bietet natürlich unheimlich viel Raum für Interpretation. Aber erstens wärs total langweilig, wenn wir das jetzt bestätigen würden, und zweitens – sometimes a cigar is just a cigar. Es ist ein Video und wir sind nun mal Zombie-Film-Fans. Und du kannst dann schon…»
Bela: « …Aaarntss…» (grunzt)

GB: «Braiinnnsss…» (Gelächter)
Farin: «…und natürlich kannst Du dann diesen Schritt machen dass Leute die jeden Tag zur Arbeit gehen ja schon irgendwie Zombie-mässig, aber komm, das ist schon sehr 80er. Also wirklich, auch wenn ich jetzt einen Mythos selber zerstöre, es ging darum, einfach wieder mal ein geiles Video zu drehen. Weisst du, wo du sagst, okay.»
Bela: «Also nein, der Bus, auf dem wir stehen, der soll ein Symbol sein für die Vereinten Nationen.»
Rod: «Genau.»
Farin: «Und der Briefträger ist Saddam Hussein…»
Bela: «…und wir drei sind da abwechselnd die OPEC-Länder (alle lachen)… ja…»
Farin: «Ich weiss nicht, obs euch auch so geht, aber für mich ist das ne super-interessante Erfahrung: Wir quatschen ja einfach mal gerne drauflos. Also in den Texten geben wir uns ja Mühe und wägen auch ab, aber in Interviews. Und da lese ich dann manchmal auf unserer Website, also, man ist ja auch eitel, man will das ja sehen, wie kommt das jetzt an, und dann lese ich da manchmal detaillierte Analysen von dem Schwachsinn den man da rauslässt. Wo Leute sich da total damit auseinandersetzen: ‹Das kann doch nicht euer Ernst sein, das kann der nicht einfach so gesagt haben, da steckt was dahinter› – und dann denkst du dir dann auch ‹oops, was hab ich getan›.» (lacht)
Bela: «Dann setz ich mir eine Pyramide auf den Kopf. Dann kann ich besser denken.»

NH: «Ihr habt vorher das Geld angesprochen. Ist das der Grund, warum ihr weitermacht? Jetzt überspitzt gesagt?»
Farin: «Auf gar keinen Fall. So können wir gar nicht denken.»
Bela: «Folgendes Beispiel. Es gibt so einen Spruch, den Fans gerne sagen: ‹ohne uns seid ihr gar nichts. Und das stimmt natürlich nicht. Es stimmt in dem Sinne, dass wir durch die Fans erfolgreich sind. Aber das was wir machen, das machen wir ja sowieso, das machen wir für uns. Wenn ich einen Song komponiere, dann gibt es genau zwei Kontrollinstanzen, denen ich den Song vorspiele und mit ihnen drüber rede. Und das war früher bis vor dieser Platte irgendwann noch der Produzent, der dann auch noch was dazu gesagt hat, aber wir arbeiten da nicht nach Plan oder so. Fakt ist aber, dass die Ärzte entstanden sind, aus einem Wunsch und einem Talent heraus, eine bestimmte Art von Songs und eine bestimmte Art von Texten zu schreiben. Ganz klar, dass sind die Ärzte jetzt, das ist ein Trademark. Und wir haben uns eine Freiheit erkämpft über die Jahrzehnte, leider muss man sagen über die Jahrzehnte (lacht), dass wir von bierernst bis total vollidiotisch alles abdecken können und das ist trotzdem Ärzte. Die beste Band der Welt halt.»
Farin: «Und eine Sache, die viele Leute völlig falsch rum verstehen, ist die Tatsache, dass wir so viel verkauft haben, die macht es noch viel freiwilliger, weiterzumachen. Wir müssen schon lange nicht mehr. Andere müssen Musik machen, weil sie sonst verhungern. Oder müssen halt richtig arbeiten gehen. Aber das haben wir schon seit vielen Jahren hinter uns gelassen und machen das wirklich aus Spass.»
Bela: «Wirklich Fakt: Wenn uns nichts mehr einfallen würde, keine Songs mehr, oder wenn uns so eine Platte wie ‹Jazz ist anders nicht mehr einfällt, dann wüssten wir schon, dass es Zeit ist, Schluss zu machen. Und es gab schon Beispiele, eine Band ist da auf deinem T-Shirt (The Police, Anm. v. GB), die haben relativ früh gewusst, dass es Zeit ist, aufzuhören, auch weil sich die nicht mehr verstanden haben. Und dann hat Sting, als der so alt war wie wir jetzt, Jazz gemacht, und jetzt macht er wieder den alten Scheiss.» (lacht)
Farin: «Wir haben das ausgelassen, quasi. Wir machen den alten Scheiss immer noch.»

NH: «Was macht ihr eigentlich mit dem Geld?»
Bela: «Komplett: Ich spende alles!»

NH: Wohin? Sollen wir das jetzt wirklich glauben?»
Farin: «Ich füttere ihn durch.» (Gelächter)
Bela: «Ich unterstütze eine blutrünstige Diktatur in Afrika und wohne so lange bei Rod.»
Farin: «Du bist quasi das Schattenkabinett. Kann man nicht noch mehr Todesstrafe verhängen für Einatmen?» (Gelächter)

NH: «Und du, Rod? Was machst Du mit dem Geld?»
Rod: «Ich hab mein ganzes Geld ausgegeben hier in Zürich, fürs Taxifahren.»
Farin: (lacht) «Und das ging wirklich schneller als wir dachten!»
Rod: «Ich bin eingestiegen und da war der Vorschuss schon weg.»
Bela: «Das ist ne echt komplizierte Frage, was soll man mit dem Geld machen. Fakt ist, dass ja unsere Ferrari-Sammlungen irgendwie finanziert werden müssen.»

GB: «Wir beide hatten beim Durchhören des Albums das Gefühl, die Ärzte sind ernster geworden, durchs Band.»
Bela: «Das hören wir jedes Jahr. Jedes Mal, bei jeder Platte.»
Farin: «Wir waren halt schon immer ernst UND albern. Schon auf dem allerersten Album Debil. Davor nicht.»

GB: «Total einverstanden. Aber ich hör dann so Sachen wie etwa das Drogenlied, was für mich nicht Pro-Drogen ist, im Gegenteil…»
Farin: «…Hey, gut hingehört…»
Rod: «…Drogen sind gut…»

GB: «…jaja, (Gelächter) ich höre Meinungsverschiedenheiten…»
Bela: «…Scheisse…»

GB: «Oder dann das Lied mit dem Text ‹Alles, was du erreicht hast, ist so zu sein, wie du als Kind nie werden wolltest›. Also das sind ja wirklich Messages von Euch als mittlerweile um die 43 Jahre alt, an die Jugend, im Sinn von: ‹hey, hört auf eure Herzen…›»
Farin: «…NNN…Das ist falsch! Das ist keine Message an die Jugend! Wir haben nie ein Publikum vor Augen wenn wir ein Album machen.»
Rod: «Ja. Haben wir eigentlich ja grade festgestellt.»
Farin: «Aber es ist ja offensichtlich noch nicht richtig angekommen. Klar, wenn du zum Ärzte-Konzert kommst, die ersten fünf Reihen sind jung. Deutlich jünger als wir. Aber dahinten stehen auch noch welche. Und die sind nicht so jung. Und hinter denen stehen sogar noch Leute, die sind älter als du. Die waren 18, als wir angefangen haben. Also wenn man überhaupt für ein Publikum schreiben würde dann würde man sagen ‹ihr könnt alle zuhören, aber eigentlich richten wir uns nur an die 16-Jährigen.› Das wäre ja total bescheuert, weil wir uns jedes Jahr mehr verrenken müssten. Es geht wirklich um unsere eigenen Songs, um unsere eigenen Gedanken. Und tatsächlich ist niemand überraschter als wir, dass so ein grosser Teil auch bei so jungen Leuten ankommt. Stücke, die die total Scheisse finden, wo dann der Beifall von hinten kommt, die gibts durchaus.»

NH: «Welche Stücke sind das?»
Rod: «‹Stirb jung›.» (grosses Gelächter)
Farin: «Zum Beispiel, ja.»
Bela: «Aber Texte entstehen ja auch nicht nur für eine Message, damit wir da drum ein Stück drum rum basteln. Das stimmt ja so nicht. Sondern, du hast auch einen Slogan, also wir benutzen auch Texte und Reime als Instrument, also das ist ja die Kunst, die wir viel mehr beherrschen als viele andere, weil wir ziemliche Reimfaschisten sind.»
Rod: «Boff…»
Bela: «Na, kann man ruhig so sagen…»
Farin: «Reimbolschewisten…»
Bela: «Also das ist ja egal, jedenfalls Diktatur, Diktatur! Und eine ähnliche Botschaft wie in dem Lied ist zum Beispiel schon im Ärzte-Lied ‹Rennen, nicht laufen› vom Album ‹Im Schatten der Ärzte› von 1985 drin. Das ist fast die gleiche Botschaft. Da waren wir deutlich jünger, deutlich grüner, aber das ist dieselbe Botschaft, dasselbe Anliegen im Grunde.»
Farin: «Natürlich ändert sich manchmal mit dem Alter, mit unserem Alter, die Sicht auf die Dinge. Gewisse Sachen, also Pickel- und Busfahr-Songs, kann ich nicht mehr schreiben, weil ich habe keine Pickel mehr, und ich fahre nicht mehr Bus, also das wäre jetzt total aufgesetzt, und jetzt geht es halt um andere Sachen.»

NH: «Wie seht ihr denn die deutsche Jugend, also wenn ihr das jetzt von einer anderen Perspektive betrachtet?»
Farin: «Vermögend, gutaussehend, intelligent, wortgewandt…»
Rod: «…also denen gehört mal ordentlich eine Tracht Prügel verpasst.» (Gelächter)
Farin: «Alle anderen: Hoffnungslos.»
Bela: «Flach hinter die Ohren. Drückeberger.»
Farin: «Die gibt es nicht. Es ist keine homogene Masse.»
Bela: Zuerst sollte Kriegsdienstverweigern nicht mehr möglich sein. Da fängts mal an.» (Gelächter)
Farin: «Du weisst, wie sich das dann im Druck liest.»
Bela: «Ja, das liest sich dann unsympathisch. Man könnte jetzt noch den unsympathischen markieren. Muss auch besetzt sein. Ja, deutsche Jugend, das ist halt, Pffffft…. (Gelächter) Also wir sind ja nicht so Zyniker wie Plattenfirmen, dass wir irgendwelche Zielgruppen sehen oder so.»
Farin: «Der grosse Unterschied ist, dass als wir in die Schule gingen, dass wenn wir die Schule fertig haben und uns nicht komplett blöd anstellen, dass wir dann irgendeinen Job kriegen, oder jedenfalls der grössere Teil. Mittlerweile: Nicht mehr so.»
Bela: «Noch ne Lehrstelle beim Pfandverleih.»
Farin: «Mittlerweile ist das so, wenn du noch ein bisschen Zeitung liest: Wieso bin ich überhaupt in der Schule? Welche Vorteile bringt mir das, wenn wir uns dann alle um dieselben fünf Arbeitsplätze streiten? Also in der Situation, in der sich einige Jugendliche heute befinden, würde ich nicht so zur Schule gegangen wollen sein.»
Bela: «Es ist ja auch so, dass wir in einer so medialen Zeit leben, in einer solchen Komplettberieselung, Fernsehen, Mobiltelefon, ich steh in ständigem Kontakt mit meinem 13-jährigen Neffen, der sich ständig nur darüber beklagt, was er alles nicht hat. Und wo ich nur sagen kann, das ist doch einfach irre, und wo ich mich echt wundere, was muss der alles haben, um mithalten zu können. Und wo ich mich dann frage, okay, sollte der jetzt in ein paar Jahren von der Schule abgehen und arbeitslos sein – wie soll er sich das alles leisten, was er braucht, um irgendwie zu existieren? Dass es immer mehr gibt, die Leute immer mehr haben wollen, aber gleichzeitig immer weniger Geld da ist.»

NH: «Und wie erklärt ihr euch so als Punker die eher stärkere Neonazi-Bewegung? Beschäftigt euch das?»
Bela: «Die ist nur anders, die ist nicht stärker. Ich meine, was war damals 1993 in Deutschland los, in Rostock, mit den Molotow-Cocktails, vollbesetzte Wohnungen mit Asylanten… das sah aus wie Bürgerkrieg. Ich find das auch richtig, dass das im Moment im Fokus steht, dass die rechtsradikalen Taten ans Licht kommen und dass das nicht totgeschwiegen wird. Oder, auch wenn das viel zu spät ist, dass das deutschlandweit verurteilt wird, da bin ich froh darüber.»

GB: «Die Wähleranteile der Parteien am rechten Rand steigen aber.»
Rod: «Die NPD hat aber nach wie vor nicht so viele Sitze in den Landräten. Was ich viel problematischer finde ist, dass viele Volksparteien oder bürgerliche Parteien die Rhetorik der Nazis oder der Altfaschisten annehmen. Dass ein Kardinal Meisner wieder von ‹entarteter Kunst› sprechen kann, dass für alle Parteien, selbst Teile der Sozialdemokraten, selbstverständlich von ‹Fremdarbeitern› die Rede ist, also Slogans benutzt werden, die von Faschisten und Nazis benutzt wurden, das finde ich schon sehr bedenklich, wenn das immer mehr in die Mitte rückt der Gesellschaft, dieses rechte Gedankengut.»
Bela: «Da gibt es eben das Problem, dass die Volksparteien erkennen, dass es da ein Wählerpotential gibt. Und da wollen sie dann ohne Reue fischen. Und das ist wirklich übel.»
Rod: «Wie in Österreich die Haider-Nummer. Einen Haufen Leute, die gar nicht mehr wählen gehen, aber dann legst du diese ganz stumpfen Stereotypen Themen auf den Tisch – ‹Du bist arbeitslos, weil wir hier viele Ausländer haben› – und die denken dann: ‹ja toll, endlich kämpft eine Partei für mich…›»

NH: «Und da gibts jetzt nicht den Anspruch als Musiker das zu verändern?»
Rod: «Na klar. Statements gibts ohne Ende.»
Farin: Aber auf jedem Album wieder das Anti-Nazi-Lied wird dann auch irgendwann wieder nur eine Masche.»
Bela: «An Konzerten gibt es dann schon entsprechende Ansagen und wir haben auch Info-Stände. Da haben dann etliche von tausend Leuten die Möglichkeit, sich zu informieren. Wir supporten nicht nur Ärzte ohne Grenzen sondern auch ATTAC und die Antifa. Wir tun unseren Beitrag, und wir sind ja auch nur Künstler. Die Verantwortung tragen andere, die tragen die Politiker.»
Farin: «Es gibt eine gute Sache, die wir machen können, weil auch wenn sie die ganze Medienaufmerksamkeit kriegen: In letzter Instanz sind es immer noch wenige Neonazis. Und wenn wir dann vor 17000 Leuten spielen, dann kannst du sagen: ‹Hey, seht euch mal um. Ihr seid VIEL MEHR. Also macht was draus. Geht zu den Demos und zeigt Flagge. Weil die Neonazis sind ja mittlerweile so dreist zu behaupten, sie seien in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Weil die Volksparteien eben so ein bisschen auf Schmusekurs gehen. Aber im Volk sind sie weit davon entfernt, auch nur in Ansätzen eine Mehrheit zu sein. Da sie soviel Aufmerksamkeit bekommen, drängt sich manchmal dieser Trugschluss auf. Wenn die Tour fertig ist – keine Ahnung, vor einer halben Million Leuten, die NICHT rechtem Gedankengut gegenüber offen sind. Und das sind ja nur die Ärzte-Fans. Das schafft hoffentlich schon Bewusstsein.»
Bela: «In dem Moment, wo wir wenigstens, ich sage wenigstens, ich bin kein Utopist, ich glaube nicht, dass die Leute nach dem Konzert gegen Nazis demonstrieren, das machen die nicht, aber die werden auf jedem Fall bestärkt in ihrem Gefühl, Neonazis abzulehnen und dem negativ gegenüber zu stehen. Das heisst, wir bewahren die womöglich davor, in die Richtung weiterzudenken. Und wenn ein Neonazi in einer Mietsgemeinschaft wohnt, dann soll er auch jeden Tag spüren, dass er da nicht willkommen ist.»
Farin: «Das ist jetzt aber was anderes, was da reinspielt. Neonazis sind ja Anlaufpunkt für Leute, die sonst keine Gruppe haben, und die sich dort zugehörig fühlen können. Die müssen ja auch keine Eigenleistung bringen ausser in Deutschland geboren worden zu sein – ‹ah, super, ich hab nichts getan dafür, und kann mich hochziehen daran›. Dann haben sie in dieser Gruppe die Stärke. Und Ärzte-Fans sind halt eben viel mehr, und können daher auch mehr Stärke beziehen. Das muss man ihnen halt auch bewusst machen: Ihr seid mehr.»

NH: «Wenn ihr ab morgen die Welt regieren könntet, was würdet ihr tun?»
Rod: «Kriegsdienstverweigern verbieten.» (lacht)
Bela: «Naja, ich würde mir erst mein Kabinett aufbauen und dann diesen afrikanischen Diktator, den ich jetzt namentlich nicht nennen möchte, der ja mein gesamtes Geld schon hat, als Ratgeber dazuzuholen.»
Farin: «Also ich, ganz ehrlich, ich hab einen ganz konkreten Plan.»

NH: «Sag.»
Farin: «Schlecht sein verbieten. Das gilt auch für mich.»
Bela: «Ja. Das heisst, wenn die Leute vom Rummelplatz aus der Achterbahn kommen, und die sind so gelblich-grün – dann sag ich: nee.»
Farin: «So nicht, mein Freund.»
Bela: «Dir ist nicht schlecht, das ist verboten.»

NH: «Was wär aus euch geworden, wenn nicht Die Ärzte?»
Bela: «Ehrlich gesagt: Afrikanischer Diktator.»
Rod: «Work with children.»
Farin: «Wenn ich ehrlich bin, dann wäre ich schon längst in irgendeiner Wüste verdurstet. Auf der Suche nach einem Fussweg von sowieso nach sowieso.»
Bela: «Aber nicht in meiner Wüste. In meiner Wüste würdest Du auf den Feldern arbeiten!»

«Die beste Band der Welt» Live!
Die Ärzte spielen am 5. Dezember 2007 im Hellenstadion Zürich. Es gibt noch Tickets.
Die Ärzte spielen am 5. Dezember 2007 im Hellenstadion Zürich. Es gibt noch Tickets.
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