Laufenburg AG am Hochrhein: Nur ein Steinwurf trennt das schmucke Städtchen von seiner gleichnamigen deutschen Schwester ennet der Grenze. Es ist noch nicht lange her, da sorgten 13 Restaurants für Leben in der Altstadt.
Heute wirken die Gassen und Plätze wie ausgestorben. An den «Roten Löwen» und die «Meerjungfrau» erinnern nur noch Schilder mit den historischen Namen.
Gerade mal zwei Beizen sind übrig geblieben: Der «Engel» ist wegen Ferien geschlossen, nur die «Probstei» ist derzeit geöffnet. Herzlich begrüsst Chefin Manuela Imhof (51) ihre Gäste. Doch das Restaurant ist nur spärlich besetzt. «Viele Gäste von früher nutzen den starken Franken aus und essen heute auf der deutschen Seite des Rheins.»
Der Gastro-Tourismus boomt nicht nur im Aargau. Mehr als zwei Drittel aller Schweizer gehen regelmässig im Ausland essen. Das zeigt eine Umfrage des Branchenverbands GastroSuisse bei einer repräsentativen Auswahl von 1200 Personen: Im Schnitt gaben sie pro Kopf Fr. 42.30 aus. In der Hochrechnung ergibt dies rund vier Milliarden Franken, die den Schweizer Beizern allein 2014 entgangen sind.
Dunkle Wolken über dem Gastro-Himmel
Die Prognose für das laufende Jahr ist noch düsterer. «Der starke Franken hat die Situation extrem verschärft», sagt Casimir Platzer (53), Präsident von GastroSuisse. «2015 werden den Gastgebern mindestens fünf Milliarden Franken entgehen.»
Seit dem Frankenschock vom Januar schmeckt Schweizern das deutsche Essen besonders gut. Auf einen Schlag war es zwölf Prozent billiger geworden; Gastro-Touristen reisen scharenweise ins Ausland. Im Schnitt nehmen sechs Personen an einem Ausflug teil. «Vermehrt werden ganze Bankette, Geschäftsessen und Familienfeiern ins Ausland verlegt», sagt Platzer.
«Dieser Kaufkraftabfluss schadet unserem Gastgewerbe enorm.» Für viele Schweizer Restaurants ist der Schaden total. Landesweite Statistiken gibt es nicht. Aber der Wirtschaftsinformationsdienst Bisnode D&B hat im ersten Halbjahr 2015 Konkurse in fünf Grenzkantonen untersucht. Allein dort mussten 44 Beizen schliessen. In St. Gallen waren es 15, in Basel-Stadt zehn.
«Die Zahl der Firmenpleiten im Gastgewerbe stieg gegenüber der Vorjahresperiode um 16 Prozent», sagt D&B-Sprecher Christian Wanner (40) zu SonntagsBlick. Doch das dicke Ende kommt erst noch: «Wir gehen davon aus, dass sich die Situation weiter verschärft und die Konkurse zunehmen.»
25'000 Jobs futsch
Die Zeche zahlen die Angestellten: Seit Beginn der Frankenaufwertung vor fünf Jahren gingen im Gastgewerbe rund 25 000 Stellen verloren, zehn Prozent aller Gastro-Jobs. Nun stehen erneut Hunderte Restaurants, Cafés und Bars vor dem Aus. Denn der Gastro-Tourismus beschränkt sich nicht nur auf die Grenzregionen.
«Die Schweiz ist klein und mit dem Auto ist man schnell im Ausland. Bei den momentanen Preisunterschieden nehmen auch immer mehr Innerschweizer und Zürcher den Weg unter die Räder», sagt Platzer.
Gute Schweizer Beizen haben nichts zu befürchten, heisst es oft. «Ein Trugschluss», sagt Platzer. Auch Tophäuser kämpfen ums Überleben: «Viele Traditionsbetriebe und hochstehende Restaurants stehen vor dem Aus. Sie haben in den letzten Jahren viel investiert. Und jetzt kommt kein Geld mehr rein, um diese Ausgaben zu decken.»
«Restauranttester» Daniel Bumann (57) wurde durchs Fernsehen zu einem der bekanntesten Köche des Landes. Mit 18 GaultMillau-Punkten ist er auch einer der besten. Er will die Krise nicht schönreden: «Die Situation in den Grenzstädten ist schlimm – die Gefahr, dass Beizen durch den Gastro-Tourismus aussterben, wird unterschätzt.»
Bumann, der im Engadin kocht, fordert Anpassungen auf Gesetzesebene: «Unsere Politiker reden immer davon, dass man mit Innovationen die Frankenstärke kompensieren kann. Das ist mir zu wenig. Sie müssen endlich griffige Massnahmen gegen die überhöhten Preise beschliessen.»
Bumann: «Unsere Tiere werden besser gehalten als die im Ausland»
Vor allem aber sei die Bevölkerung gefordert: «Natürlich kann ich verstehen, wenn eine finanzschwache Familie nach Deutschland geht.» Trotzdem sollte man sich überlegen, warum die Wirte im Ausland ihre Produkte so billig anbieten können, sagt Bumann. «Jedes Schnitzel hatte mal einen Kopf und vier Beine. Unsere Tiere werden besser gehalten als die im Ausland.»
Vielen Gastro-Touristen ist das wurscht. Von der Altstadt in Laufenburg sind es nur wenige Meter bis ins badische Laufenburg – in eine komplett andere Beizenwelt.
Im Restaurant Athen ist jeder Stuhl besetzt, die Stimmung heiter und gelöst. Auch im «Rebstock» sitzen Gäste dicht gedrängt auf der Terrasse und langen tüchtig zu. Die Wirtin kann nicht klagen. «Bei uns sind die Betriebe seit Monaten bumsvoll», freut sich Martina Brutsche. «Vor allem dank der vielen Gäste aus der Schweiz.»
Lesen Sie dazu auch das Interview mit GastroSuisse-Präsident Casimir Platzer: Er packt das Problem auf politischer Ebene an und plant eine Initiative gegen «Schweizer-Zuschläge».