unbeliebteste Politiker der Schweiz. Eine Rolle, in der er sich gefällt.
Wer sich aufmacht, die Welt von Prof. Dr. phil. Christoph Mörgeli zu ergründen, der sollte zuerst dessen Gruselkabinett besuchen. Als Konservator des Medizinhistorischen Museums in Zürich hat Mörgeli eine skurrile Sammlung angelegt. Das geht vom «Elektromagnet zum Herausziehen von Metallsplittern aus dem Augapfel» bis hin zum «Skelett eines Kleinkindes mit gebrochenem linken Schlüsselbein». Aber der Publikumsrenner, sagt die nette Studentin am Empfang des Museums, sind die «Bandagen zur Verhinderung der Onanie» – eine Art Keuschheitsgürtel für masturbierende Knaben.
Das Museum sei «ein kulturhistorischer Lehrpfad», sagt Mörgeli und fügt ungefragt hinzu: «Ob man es aufrechterhalten soll oder nicht, habe nicht ich zu entscheiden.» Er habe jedenfalls «mehr Gelder durch Drittmittel reingeholt», als sein Job den Staat koste.
So wird schon nach einer Minute und bei der ersten Antwort aus dem Professor der Politiker. Bevor der Reporter die Frage stellt, glaubt Mörgeli dessen Absicht zu durchschauen und bietet präventiv schon mal Paroli, nach dem Motto: Man kann durchaus ständig gegen den Staat wettern und trotzdem dort sein Geld verdienen. Bei Titularprofessor Mörgeli, der nie im Ausland lehrte, sind es bei einem 80-Prozent-Pensum monatlich knapp 6000 Franken netto.
«Ein Wasser?», fragt er freundlich und bittet den Besucher zur Sitzgruppe seines engen und penibel aufgeräumten Büros. Erster Eindruck: Hier arbeitet jemand, der die Ordnung liebt. «Dä Mörgeli», wie ihn die Leute landauf, landab nennen, gibt sich betont locker und ist es nicht. Er wirkt angespannt. Es ist die Woche, in der er den Bericht der Geschäftsprüfungskommission in der Affäre Blocher/Roschacher als «politisch motivierten Bullshit» kommentiert hat. Der Oberstleutnant der Radschützenpanzer ist weiterhin mitten im Krieg: «Wir befinden uns nach dem eigentlichen Gefecht, doch der Pulverdampf hat sich noch nicht verzogen.»
Christoph Mörgeli, geboren am 16. Juli 1960, zwei Kinder, ein sechsjähriges Mädchen und ein neunjähriger Bub, seit kurzem von Ehefrau Yvonne getrennt, einer Primarlehrerin. Das wird das Einzige bleiben, worüber er an diesem Nachmittag nicht reden will.
Wer ist dieser Mann, der die Nation spaltet? Volkes Stimme spricht:
«Zu den Brandstiftern, die von sich glauben, noch zu den letzten echten Schweizern zu gehören, zählen: Der Führer, Christoph Blocher. Der Propagandaminister: Christoph Mörgeli (...)», meint Markus Fürholz aus Langendorf SO in einem Leserbrief an die «Solothurner Zeitung».
«Ich erwarte gerne – wie viele andere Leser – weitere Kolumnen des klar sehenden Rufers in der Wüste (...)», so Robert Favre aus Roggwil BE in der «Berner Zeitung».
Herr Mörgeli, raten Sie mal: Welches ist das häufigste Wort, das in Porträts von Ihnen auftaucht?
Scharfmacher? Chefideologe? Vordenker?
Nein, das Wort «böse».
Aha. Seltsam!
Sind Sie ein böser Mensch?
Nein, ich bin kein böser Mensch. Ich denke einfach bürgerlich, wie es die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer bis vor zwanzig Jahren tat. Ich bin auf dieser Linie geblieben, viele andere sind leider davon abgewichen.
Die anderen. In Mörgelis Weltbild liegen sie falsch und haben nicht Recht. Es fehlt ihnen wahlweise an geistigem Potenzial oder an Charakter. Sie agieren aus seiner Sicht «hinterhältig» oder «dilettantisch» und spielen sich auf als «Widerstandskämpfer im Dschungel». Viele Spalten liessen sich mit seinen Zitaten gegen «die anderen» füllen. Er scheine seine Gegner «richtig zu hassen», sagt Cécile Bühlmann, ehemalige Luzerner Nationalrätin der Grünen: «Anders lässt sich seine Verachtung anders Denkenden gegenüber wohl kaum erklären.»
Mörgeli, ein Misanthrop? Einer, der die Menschen nicht liebt? Der Aargauer Ulrich Siegrist sass mit ihm in der SVP-Fraktion, bis er sie aus Protest, auch gegen den von Mörgeli mitgeprägten Politstil, verliess. Er sagt, dass Mörgeli die Grenzen «eigentlich immer überschreitet, wenn er sich in Szene setzt». Seine Leidenschaft gelte «mehr der Wirkung im Kampf als der Wahrheit in der Sache». CVP-Präsident Christophe Darbellay bezeichnete Mörgeli in der «Tagesschau» vom 15. September als «Hassprediger».
Wie lebt es sich, wenn man nicht beliebt ist?
Wenn man in der Politik etwas bewegen will, ist es gar nicht möglich, bei allen beliebt zu sein. Ich bin nicht aus Zufriedenheit in die Politik gegangen, sondern aus Unzufriedenheit.
Kann man aus Unzufriedenheit lustvoll politisieren?
Ich glaube nicht, dass ich lustvoll politisiere. Ich halte auch nicht viel davon, «Spass» an der Arbeit zu haben.
Für Mörgeli ist alles «än Chrampf». Und so sitzt er einem auch gegenüber. Er bewegt sich kaum, schlägt jede halbe Stunde das eine Bein über das andere. Mörgeli unverkrampft – das gibt es öffentlich nicht. Nur einmal ereignet sich Seltsames: Als er 2005 im Cabriolet vor laufender Kamera der TV-Sendung «Quer» einen deutschen Schlager trällert («Liebeskummer lohnt sich nicht ...»). 1997 in den Zürcher Kantonsrat und zwei Jahre später in den Nationalrat gewählt, gibt Mörgeli seither den «Mann fürs Grobe» («Mittelland Zeitung»), ist «Blochers Denkorgan («Facts») oder er tritt in Erscheinung als «Heckenschütze der Konkordanz» («SonntagsBlick»). Sein Fraktionskollege Oskar Freysinger sagt über ihn: «Er denkt schnell, sieht die Schläge kommen und entwirft unerwartete Strategien.»
Als Elfjähriger hängt Mörgeli zusammen mit einem Schulkollegen für den damaligen SVP-Regierungsratskandidaten Jakob Stucki Plakate auf. Er nennt es heute stolz «meine erste Polit-Aktion». Bei Mörgelis in Stäfa am rechten Zürichsee-Ufer wird oft auch über das diskutiert, was er heute genauso oft verbal an die Wand klatscht: das Sozialwesen. Die Mutter war Kindergärtnerin, der Vater Schulleiter eines Stadtzürcher Kinderheims. «Er war eines von sieben Kindern von Kleinbauern, später Oberturner, Schweizermeister im Mannschafts-OL, Bataillonskommandant usw.». Mörgeli junior zählt in dieser Reihenfolge auf.
War Ihr Vater stolz auf Sie?
Zum Teil sicher. Er hat aber auch mitgelitten und fand, ich solle nicht alle Angriffe auf mich ziehen. Man könne ja auch mal dem Gegner Recht geben.
Sie haben sich nicht daran gehalten.
Nein, ich kann nicht gegen meine Überzeugung handeln.
Sie verfolgen die «Dopplet oder nüt»-Strategie: Wenn Sie mal dreinhauen und es passiert nichts, hauen Sie gleich nochmals drein.
Ich nenne das eine gradlinige Strategie. Es gab noch keinen Fall, bei dem ich mich politisch voll ins Zeug gelegt und hinterher Unrecht bekommen habe. Ich war immer einer, der gegen den Strich gebürstet hat. Schon als Schüler einer eher linken Kantonsschule und später unter linken Mitstudenten. Ich möchte an der Universität auch keine blinden Nachbeter ausbilden.
Wenn der Lateinlehrer Paul Brändli den Politiker Mörgeli hört, sieht er den Schüler Christoph vor sich: «Er provozierte schon damals gerne, war stur und rhetorisch stark.» Brändli war von 1973 bis 1979 sein Klassenlehrer an der Kantonsschule Wetzikon im Zürcher Oberland. «Er hat nur das gemacht, was ihm gepasst hat und was er wollte. Er hätte ein besserer Schüler sein können.» Eigentlich, sagt Lehrer Brändli, hätte er erwartet, dass sich Mörgeli «im Laufe der Zeit mässigt». Eingetreten ist das Gegenteil. Davon kann er sich immer wieder selbst überzeugen. Bei Besuchen im Bundeshaus geht Brändli mit seinen Klassen auch bei Mörgeli vorbei. Und der erzählt dann den Schülern seines ehemaligen Klassenlehrers, wie das so ist, er und Blocher.
Erstaunlich: Noch als 16-Jähriger haben Sie in einem Leserbrief gegen Blocher angekämpft. Was hat Ihnen an ihm nicht gepasst?
Ich hatte damals das Gefühl, ein Manager mit Chauffeur passe nicht zu einer bodenständigen Mittelstandspartei. Ich habe ihm politisch nicht über den Weg getraut. Er sagt heute noch, ich hätte ihm damals vorgeworfen, er sei einfach zu links für die SVP.
Wie hat er Sie auf seine Seite gezogen?
Wir führten ein ausführliches Gespräch. Er hat mir seine politische Haltung erklärt und mich rasch überzeugt.
Wann hat er sich bei Ihnen zuletzt für Ihre Loyalität bedankt?
Er muss mir nie danken. Ich mache das nicht, weil ich ihm einen Dienst erweisen oder mich für ihn aufopfern will. Wir sind uns gegenseitig nichts schuldig. Aber er hat mich menschlich und politisch in dreissig Jahren niemals enttäuscht. Ich lasse nicht zu, dass man ihm kriminelle Machenschaften unterstellt.
Wenn es um seinen politischen Ziehvater geht, verliert Mörgeli mitunter die Contenance – wie kürzlich in einer Talkshow bei Tele Züri, als er im Rededuell mit dem Zürcher SP-Nationalrat Mario Fehr mehrmals höchst erregt Wert darauf legte, «keinen Dreck am Stecken zu haben». Wer sich diese Szene ohne Ton anschaut, begreift vieles: was in diesen Tagen in der Schweizer Politik passiert, wie verbissen die Parteiexponenten miteiander umgehen und was sie voneinander halten – nichts.
Kriegsführung ist eine Spezialität von Mörgeli und so steht in seinem Bücherregal auch der Wälzer «Treue und Ehre» von Paul de Vallière über die Geschichte der Schweizer in fremden Diensten. Mit dem Krieg kommt der Tod und auch darin ist Mörgeli ein Experte: Er ist Vizepräsident der Europäischen Totentanz-Vereinigung.
Auf deren Internetseite, die einen mit leicht makabrer Musik begrüsst, ist zu lesen: «Der Verein bemüht sich um die Förderung von Wissenschaft und Forschung, von Kunst und Gestaltung im Zusammenhang mit Totentänzen und verwandten Themen.» Dazu gehört auch das monatlich erscheinende Mitteilungsblatt «Totentanz aktuell», Umfang: zwölf Seiten.
Woher kommt Ihre Freude am Morbiden?
Sie meinen den Totentanz? Leben und Tod liegen nahe beieinander. Jeder kann zu jedem Zeitpunkt vom Tod weggeführt werden – egal, welche Stellung er hat, sei er Papst oder Prostituierte. Als Medizinhistoriker interessiere ich mich auch für frühere Darstellungen des Knochenmannes.
Mörgeli springt aus seinem Sessel, läuft rasch zu seinem Schreibtisch und bringt zwei seiner Werke zurück: «Europas Medizin im Biedermeier» und «Über dem Grabe geboren – Kindesnöte in Medizin und Kunst», beide zusammen über eintausend Seiten lang. Ob wissenschaftliche Arbeiten oder politische Pamphlete: Der Mann schreibt und schreibt und schreibt. Sein erstes Podium gab ihm Ueli Haldimann im Jahr 2000, damals Chefredaktor der inzwischen eingegangenen Gratiszeitung «Metropol», heute beim Schweizer Fernsehen: «Ich habe Mörgeli damals angefragt, weil er in der SVP als Vordenker und Intellektueller galt. An Letzterem bekam ich dann gewisse Zweifel, als seine ersten, damals noch ziemlich holprigen Texte eintrafen. Ich muss anerkennen, dass er seither, was die Schreibe betrifft, stark zugelegt hat.»
Ein wahrhaft grosser Schreiber war Niklaus Meienberg. Ausgerechnet ihn, den Linksaussen, der Blocher einen «Rattenfänger» nannte, bewundert Mörgeli: «Meienberg war im Grunde Schweizer Patriot und ein grosser Freund unseres Kleinstaates.» Dann redet Mörgeli, wie wenn er sich selber beschreiben wollte: «Er hat als Historiker interessante Fragen aufgeworfen, konnte formulieren und war ein politischer Berserker.»
Tote können sich nicht wehren, aber sie hinterlassen Artikel mit Sätzen wie diesem: «Die Angst vor Deutschland wird nirgends so gepflegt wie im Milieu des Chauvinisten Christoph Blocher und seiner Konsorten, obwohl ihre Fremdenfeindlichkeit der neudeutschen Variante aufs Haar gleicht. Das merken sie aber leider nicht.» (Niklaus Meienberg, 14. 12. 1992, «Der Spiegel»).
Am Ende dieses Nachmittags bei Mörgeli erlaubt sich der Reporter zu sagen, dass er die Wilhelm-Tell-Statue im Büro ein wenig klischeehaft finde. «Der Tell ist für mich der Inbegriff des Einzelgängers, der unbeirrt seinen Weg geht», sagt Mörgeli. «Er trifft, wenn er zielt.»