Coronavirus - Schweiz
Parlamentarier weinen der Bernexpo kaum Tränen nach

Die grosse Mehrheit der Volksvertreterinnen und -vertreter weint der Bernexpo keine Träne nach. Die meisten sind froh, geht es für die Herbstsession zurück in die gewohnte Umgebung im Bundeshaus. Bedenken gibt es höchstens zum Corona-Setting dort.
Publiziert: 18.06.2020 um 14:02 Uhr
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Techno- und Corona-Chic in der Bernexpo: Ob Ratsweibel Peter Truffer und Kollegin Andrea Hänni im Herbst auch im Bundeshaus noch so auftreten müssen, wenn sie Stimmen einsammeln, ist noch offen.
Foto: PETER KLAUNZER

«Die Ausweichmöglichkeit in der Bernexpo fand ich exzellent.» Mit dieser Feststellung steht der Aargauer SP-Nationalrat Cédric Wermuth ziemlich alleine da. Die allermeisten der rund ein Dutzend von Keystone-SDA befragten Parlamentarierinnen und Parlamentarier empfanden mehr Nach- als Vorteile am Exil-Standort.

«Unpersönlich, keine Fenster, künstliches Licht, am Abend ist einem 'halb schturm'» - der Zürcher SVP-Nationalrat Thomas Matter lässt kein gutes Haar an der Messehalle. Er hoffe, es gebe nach den illegalen Demos keine zweite Welle, «damit wir nicht noch einmal in diesen Betonbunker müssen».

In der Tat kam man auch als neutraler Beobachter nicht um den Eindruck herum, dass die Exerzitien der Demokratie in der Bernexpo eine sehr industrielle Färbung aufwiesen. Inhaltlich dazu passte die Fliessband-Kadenz des Krisenmodus, in der die Räte namentlich in der ersten, ausserordentlichen Session die Milliarden-Kredite zur Bewältigung der Corona-Krise berieten und durchwinkten.

«Hier ist es doch sehr schmucklos und asketisch», schildert der Walliser SP-Nationalrat Mathias Reynard die Ambiance. Er sei sehr glücklich, ins Bundeshaus zurückzukehren. Dort gehe es herzlicher und geselliger zu und her. Aber die Bernexpo werde immer der Ort sein, wo die Räte «unglaublich wichtige Entscheide wie das CO2-Gesetz» gefällt hätten.

Die weiten Distanzen und die dadurch erschwerte Kommunikation wird durchwegs als auffälligstes Negativmerkmal der Ersatzumgebung genannt. Eine gute Politik der Kompromisse brauche jedoch Nähe. «Hier ist es viel schwieriger, schnell Kontakte zu knüpfen», sagt der Solothurner CVP-Ständerat Pirmin Bischof.

«Zuviel Distanz ist der Lösungsfindung abträglich», stellt auch Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP/BL) fest. Spontane Absprachen und kurze Wege hinter den Kulissen seien für die «intélligence collective», also die Schwarmintelligenz, unabdingbar, formuliert es die Waadtländer GLP-Frau Isabelle Chevalley.

Besonders gross war die Herausforderung für Nationalratspräsidentin Isabelle Moret (FDP/VD), die die Sitzungen leitete. Die Parlamentarier seien sehr weit weg. Sie könne nicht spüren, was sie denken. Sie erkenne die Mimik nicht und sehe kaum, wenn jemand zum Beispiel eine kleine Anfrage stellen wolle. «Es war schwierig, aber wir haben es geschafft.»

Die Medaille hatte aber auch ihre Kehrseite. «Es sind keine Lobbyisten da. Man hat unglaublich viel mehr Zeit, es ist viel ruhiger», sagte der Zürcher SP-Nationalrat Fabian Molina. Neben ihm nickt Parteikollegin Jacqueline Badran: «Hier essen wir gemeinsam Zmittag, dafür haben wir sonst nie Zeit, weil im Bundeshaus immer irgendein Termin ist.»

Weniger Lobbyisten und mehr Platz schätzte auch BDP-Präsident Martin Landolt: «Das war ungewohnt, hatte aber durchaus seine positiven Seiten», räumt er ein. Um dann aber gleich nachzuschieben: «Grundsätzlich fehlt ein Grundrauschen, das in der Bienenhausatmosphäre des Bundeshauses herrscht und das man schon vermisst».

Auch Molina fehlt gewissermassen etwas der metaphysische Schauer: «Die staatspolitische Verantwortung, die man im Bundeshaus fühlt, ist schon eine andere als in diesen komischen Expohallen.» Auch Matter pflichtet dem bei. Er habe immer einen gewissen Stolz und eine Ehrfurcht, ins Bundeshaus zu gehen. «Das habe ich hier überhaupt nicht.» Auch Wermuth spricht vom Bundeshaus als «sakraler Ort mit einer grossen Geschichte».

Allem Stalldrang zum Trotz gibt es da und dort auch Vorbehalte zur Rückkehr ins Bundeshaus. Landolt, der keinen Hehl daraus macht, dass man gar nie hätte zügeln sollen, geht mit gemischten Gefühlen zurück. «Die Aussicht, wie dann das Setting ist im Bundeshaus, ist nicht anmächelig. Es wird dort offenbar nicht weniger kompliziert als hier.»

Noch ist nämlich nicht klar, ob und wie die Vorgaben des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) eingehalten werden können. Ob es zum Beispiel Trennscheiben zwischen den Sitzplätzen oder ein Maskenobligatorium geben wird. Matter würde eine Maskenpflicht erstaunen. «Das BAG sagt ja immer, die bringen nichts.»

Auch Badran und Schneider-Schneiter sind der Meinung, man müsste im Herbst im Bundeshaus «ganz normal weiterfahren» respektive solle jetzt «nicht übertreiben». Es gebe ja auch noch die Möglichkeit zu testen, fügt Molina an.

Bleibt die Frage, was bei den Volksvertretern vor allem hängen bleibt nach einer ausserordentlichen und einer ordentlichen Session in der Bernexpo. «Der gigantisch grosse Saal, der eine gewaltige Anonymität auslöst», sagt Landolt. «Man brauchte fast einen Feldstecher, das war schon krass anders.»

«Mir ist der totale Respekt der Parlamentarier vor der neuen Krisensituation eingefahren, als wir am ersten Tag der ausserordentlichen Session in diesem Saal sassen», erinnert sich Schneider-Schneiter. Es habe ein «unglaubliche Ruhe» geherrscht. Unterdessen habe das parteipolitische Gezänk aber wieder Oberwasser, bedauert Badran.

Etwas von der zitierten Ruhe ins Bundeshaus mitnehmen zu können, hofft die Genfer SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz. Aber ihr, die immer mit Stöckelschuhen unterwegs ist, blieben vor allem die grossen Distanzen in Erinnerung: «Ich hätte ein paar Turnschuhe gebraucht.» Bischof schätzte die grosszügigen Platzverhältnisse: «Ich musste weniger aufräumen als im Bundeshaus.»

(SDA)

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