Zwei Jahre und zwei Monate ist es her. Doch der Schrecken sitzt Pier Paolo Piccaluga (43) noch tief in den Knochen. Beklommen verfolgte der Arzt aus Bologna (I) gestern den Prozessauftakt gegen den Flugzeug-Entführer Hailemedhin Abera Tegegn (32) am Bundesstrafgericht in Bellinzona.
Die Tat des äthiopischen Co-Piloten veränderte das Leben des Italieners: «Seit jener Nacht auf den 17. Februar bin ich traumatisiert. Trotz vieler Flüge und einer Therapie habe ich heute Flugangst.» Piccaluga sass in der Business Class des Ethiopian-Airlines-Fluges ET702 von Addis Abeba nach Rom. Um 22.45 Uhr begann der Albtraum: Tegegn nutzte die Toilettenpause von Pilot Patrizio Barberi und verbarrikadierte sich im Cockpit. Er drohte, das Flugzeug abstürzen zu lassen, sollte sich jemand nähern.
«Es war schrecklich», sagt Piccaluga, «er ging zweimal in einen steilen Sinkflug und liess die Sauerstoffmasken auswerfen. Wir alle dachten, jetzt ist es vorbei.» Piccaluga schreibt einen Abschiedsbrief an seine Familie und legt ihn in den Pass. Doch Tegegn will in der Schweiz Asyl beantragen. Mit dem letzten Tropfen Kerosin landet er die Boeing 767-300 mit 202 Passagieren um fünf Uhr morgens in Genf und seilt sich aus dem Fenster des Cockpits ab. Er wird verhaftet.
Kaltblütige Flucht oder Verzweiflungstat? Der Psychiater Philippe Vuille, Gutachter der Anklage, hält den Entführer für gestört. «Er leidet an paranoider Schizophrenie und ist stark suizidgefährdet. Er war während des Flugs im Delirium, fühlte sich von Landsleuten verfolgt.» Darum habe er ein Land gewählt, das die Ethiopian Airlines nicht anfliegen. Vuille hält Tegegn für nicht schuldfähig.
Vor Gericht bedauerte der Entführer mit gebrochener Stimme seine Tat. Die Erklärung, warum er die Passagiere bewusst in Panik versetzte: «Ich wollte nur, dass sie sitzen bleiben und nicht versuchen, ins Cockpit einzudringen.»
Das Urteil folgt am 9. Mai. In Äthiopien wurde Hailemedhin Abera Tegegn in Abwesenheit zu 19 Jahren und vier Monaten Knast verurteilt.