Ueli Steck hat Anfang April alle Interviews geführt, im Training Abertausende von Höhenmetern zurückgelegt, Karten und Videos zu seiner waghalsigen Rekord-Route über das Hornbein-Couloir auf den Everest (8848 m ü. M.) und den Lhotse (8511 m ü. M.) auf seine Website hochgeladen. «Es ist schwierig, aber wenn es einfach wäre, hätte das sicher schon jemand vor mir gemacht», sagt Ueli Steck kurz vor seiner Abreise zu BLICK.
Am 8. April fliegt er nach Kathmandu, die Hauptstadt Nepals. Rund zehn Tage später ist Steck im Basislager auf dem Khumbu-Gletscher. Mindestens 500 Menschen wollen in diesem Frühling den Everest besteigen.
Steck und sein Kletterpartner Tenji Sherpa (27) braucht der Massenauflauf nicht zu stören: Sie wollen Ende Mai auf ihrer Expedition die Staus am Dach der Welt umgehen. Um ihr Ziel zu erreichen, setzen sie auf aktive Akklimatisation – auf schnelle, anstrengende Aufstiege in höher gelegene Camps und in die umliegenden Hänge.
Steck und sein Team richten sich im Basecamp ein. Am 20. April veröffentlicht er auf Facebook Bilder. Der gelernte Zimmermann installiert vor den Zelten eine Reckstange, er will topfit bleiben. Sogar der Teamkoch Kaji soll sich am Gerät austoben. Ein Video zeigt Steck einen Tag später beim Work-out. Die Klimmzüge sehen spielend leicht aus.
Viel Zeit im Basecamp verbringt der berühmte Kletterer allerdings nicht. Schon am 24. April schreibt Steck, dass er eben zwei Nächte im Camp zwei verbracht hat. Das Wetter ist am Montag vor einer Woche so schön und warm, dass er auf einer Trainingstour Richtung eines Vorgipfels des Everest aufsteigt. Einziger Wermutstropfen: Tanji Sherpa kann nicht dabei sein. Er hat eine Frostbeule an der Hand und muss aus dem Basiscamp vorübergehend abreisen. Steck zieht sein Programm alleine durch. «Freude ist das Wesen des Erfolgs», schreibt er auf Facebook. Die Bilder sehen aus wie von einer Frühlingswanderung im Sulzschnee.
Zwei Tage später, am 26. April, stellt der Schweizer erneut ein Bild ins Netz: «Bin heute rasch vom Basecamp auf 7000 Meter aufgestiegen.» Das Foto zeigt ihn im Sonnenschein mit leichtem Gepäck vor Séracs, Türmen aus Gletschereis.
Der Facebook-Post vom letzten Mittwoch sollte sein letzter sein. Doch es gibt Berichte von anderen Bergsteigern, die mit ihren berühmten Kollegen seit dem letzten Mittwoch in Kontakt waren.
Zum Beispiel Melissa Arnot (33). Die Bergsteigerin hatte sich 2013 schützend vor Steck gestellt, als dieser von hundert wütenden Sherpas am Everest fast gesteinigt worden wäre.
Melissa Arnot und Ueli Steck hatten sich seither mehrmals getroffen – unter anderem auch zum Röstiessen. Sie habe ihn gerne gefoppt. So habe sie ihn wegen seines Rekordaufstiegs auf den Eiger den «Eiger Tiger» genannt und ihn geneckt, «wie schnell er doch sei für einen alten Burschen». «Wir hatten uns gegenseitig SMS geschrieben. Er bat mich, am Sonntag auf ihn zu warten», sagt die Amerikanerin im Magazin «Outside».
Ang Tshering Lama, ein erfahrener Sherpa, hat mit seinem Freund Steck am Freitag, 28. April, im Camp zwei einen heissen Orangensaft getrunken. Er habe versucht, das neue Satellitentelefon des Schweizers zu konfigurieren, das eingehende Anrufe nicht richtig empfangen konnte. «Wir sprachen über das Leben. Es war ein gutes Gespräch», schreibt Lama im Netz.
Als Ueli Steck das Basislager verlässt, trifft er den Bergsteiger Szilárd Suhajda. «Wie üblich, habe ich ihn zu einer scharfen Csabai-Wurst eingeladen», schreibt Suhajda auf Facebook. Doch Steck ist in Eile. Der Schweizer fragt den Ungarn, ob er ihn nicht ein Stück begleiten wollte. Suhajda will nicht, mit der «Schweizer Maschine» kann er nicht Schritt halten. Die Wurst will er Steck dann bei seiner Rückkehr geben.
Steck steigt Samstag, am 29. April, bis Camp eins auf. Dann entscheidet er sich für eine Trainingstour am nahen Siebentausender Nuptse. Alleine, ohne Seil stürzt er am Sonntagmorgen um 8.30 Uhr auf einer Höhe von 6600 Metern rund 1000 Meter ab.
«Sherpas haben ihn dabei beobachtet. Sie waren in einer halben Stunde bei ihm, da war er aber schon tot», sagt Mingma Sherpa, der Stecks Expedition mitorganisierte, zu BLICK.
An den Steuerknüppeln des Rettungshelis, der Stecks Leichnam birgt, sitzt ausgerechnet ein Schweizer: Maurizio Folini, der bei schwierigen Einsätzen in Nepal mithilft. Er kannte Steck gut, fliegt seinen Leichnam ins Universitätsspital Maharajganj-Tribhuvan nach Kathmandu. Witwe Nicole Steck traf dort gestern ein. Seine Brüder und seine Eltern werden heute in der nepalesischen Hauptstadt erwartet. Ueli Steck wird aber wohl bald in seine geliebten Berge zurückkehren. Seine Angehörigen planen, im berühmten Tengboche-Kloster, auf halbem Weg zum Everest, von ihm Abschied zu nehmen.