Sie ist Metzgerin aus Leidenschaft
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Hoffnung der Fleischbranche:Sie ist Metzgerin aus Leidenschaft

Céline Schüpbach aus dem Emmental
Sie ist Metzgerin aus Leidenschaft

Skandale und fehlender Nachwuchs: Die Fleischbranche hat Probleme. Wir haben Céline Schüpbach besucht. Die 22-Jährige ist die beste Nachwuchsmetzgerin der Schweiz und macht einer ganzen Branche Hoffnung.
Publiziert: 11.07.2020 um 12:40 Uhr
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Aktualisiert: 12.07.2020 um 12:10 Uhr
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«Ich wollte gar nie Metzgerin werden», erzählt Céline Schüpbach an ihrem Arbeitsplatz in der Metzgerei Jaun in Neuenegg BE. Heute, sagt sie, habe sie einen «weltstollen» Job.
Foto: Thomas Meier
Alexandra Fitz

Céline Schüpbach (22) öffnet die Tür zum Kühlraum. Darin ist ein Muni. 320 Kilogramm in vier grosse Fleischstücke zerteilt, hängt er an Haken. Leber, Luftröhre, Zunge und Schwanz liegen daneben in einer Plastikkiste.

Sie schiebt ein Rinderviertel in den Verarbeitungsraum. Das Stück Fleisch ist riesig, rot und zugleich weiss vom vielen Fett. Sie holt eine Schürze, einen Handschuh, Messer in verschiedenen Grössen und legt los.

Schüpbach ist jung, weiblich und Metzgerin mit Leidenschaft. Die 22-Jährige gewann letztes Jahr im September die Schweizer Meisterschaften in der Fleischverarbeitung. Sie ist die beste Nachwuchsmetzgerin der Schweiz. Damit gibt sie einer ganzen Branche, was ihr im Moment schmerzlich fehlt: Hoffnung!

Auch wenn das Gefühl oft ein anderes ist: In der Schweiz wird nach wie vor viel Fleisch konsumiert. Jährlich rund 52 Kilogramm pro Kopf. Doch immer weniger möchten die jährlich 490'000 Tonnen Fleisch schlachten, verarbeiten und verkaufen.

Der Fall Tönnies wirft ein schlechtes Licht auf die Branche

Veränderte Ernährungsgewohnheiten. Klimawandel, Einkaufstourismus und Fleischskandale überall auf der Welt. Aktuell zeigt der Fall Tönnies, der grösste Schlachtbetrieb Deutschlands, was in dieser Branche alles schieflaufen kann. Eine solche Massenproduktion – im Hauptwerk werden pro Tag bis zu 30000 Schweine geschlachtet und zerlegt – reicht nicht für einen Aufschrei. Es musste Corona kommen, um auf die Arbeitsbedingungen in solchen Betrieben aufmerksam zu machen. Ein Knochenjob. Arbeiter neben Arbeiter. Die meisten aus Rumänien, von einem Subunternehmen angestellt und nur für ein paar Monate in Deutschland. Sie schlafen in armseligen Unterkünften. Mehrere Personen in einem Raum. Das Resultat: 1400 Ansteckungen und ein Lockdown für die ganze Region.

Das ist halt Deutschland, sagen viele. Aber das ist falsch. Erstens kauft der Schweizer auch ennet der Grenze. Zweitens ist die inländische Schweineproduktion rückläufig. Schweinefleisch wird deshalb auch aus Deutschland importiert. Und drittens: Auch in manchen Schweizer Betrieben gab es schon Fleischskandale.

Das Gegenteil von Tönnies ist Jaun. Die Metzgerei, in der Céline Schüpbach arbeitet. Sie steht in Neuenegg im Kanton Bern, direkt am Dorfkreisel, vis-à-vis der Bäckerei. Mit Kreide geschrieben stehen das Angebot und die Botschaft «Merci viu mau für öie Ichouf» auf schwarzen Tafeln.

Kleine profitieren von Skandalen

Chef Kurt Jaun (56) sitzt im Pausenraum seines Betriebs. Hinter ihm hängt ein Bild, auf dem sich zwei Bauern um eine Kuh streiten. Einer zieht an ihrem Schwanz, der andere an ihren Hörnern. Währenddessen melkt sie ein dritter. An der anderen Wand ist ein Poster von Francine Jordi. Handsigniert. Jaun lehnt sich zurück und schiebt seine Brille in sein kurzes, graues Haar. Er trägt ein silbriges Edelweiss als Ohrstecker. Sein Vater war schon Metzger, seit 27 Jahren hat er eine eigene Metzg. «Jeder Skandal, egal ob in der Schweiz oder im Ausland, stärkt das Vertrauen in uns kleinere Betriebe.»

Die Kleinen wie er seien die Gewinner. Traditionsmetzgereien wie seine, wo das Tier nicht bloss ein Nutzmittel sei. Wo es auch um ethische Aspekte gehe. «Um einen emotionalen Wert», ergänzt seine Tochter Claudia Jaun, die auch im Betrieb arbeitet. Daher sagt sich Jaun immer wieder: Mach keinen Fehler! Halte dich an die Vorschriften! «Wir veredeln das Fleisch. Wir produzieren kein Massenprodukt.»

Im Verarbeitungsraum ist es laut. Maschinen laufen, in denen Brät gemischt und Würste gesotten werden. Insgesamt hat Jaun 18 Mitarbeiter. Mehr als die Hälfte sind Frauen.

Céline stemmt sich gegen das Rinderviertel und schneidet mir der linken Hand die untere Hälfte ab. Ihre rot gefärbten Haare, zusammengeflochten zu einem Zopf, fallen ihr dabei über die Schulter. Kaum hat sie das Stück durchtrennt, hievt sie es auf den Tisch. «Das Ausbeineln ist körperlich sehr anstrengend», sagt Céline. Dann schaut sie auf und sagt: «Ich muss mich jetzt konzentrieren, wenn ich das Filet aus dem Rindsnierstück herauslöse. Das kostet ganz schön viel.» Am Ende hält sie einen grossen Knochen in der Hand. Er erinnert an einen Dinosaurier. Es sind aber die Rippen eines Munis und die Hälfte seiner Wirbelsäule. Dann löst sie kleine Fleischstücke vom Knochen. Schliesslich wolle man so viel Fleisch wie möglich verwenden.

Das Hauptproblem: zu wenig Nachwuchs

Das Ziel von Philipp Sax vom Schweizer Fleisch-Fachverband ist es, dem Metzgerberuf ein positives Image zu verpassen. Ein schwieriger Job. «Jedes negative Thema im Fleischbereich torpediert unsere Bestrebungen eines modernen Berufsbilds.» Egal, ob das die Missachtung des Tierschutzes ist, Verstösse gegen die Gesetzgebung oder schlimme Arbeitsbedingungen wie aktuell bei Tönnies. Der gelernte Fleischfachmann und Lebensmittelingenieur erwähnt gleich selbst den Fall Carna Grischa aus dem Jahr 2014, die Firma, die Pferde- als Rindfleisch, ungarisches als schweizerisches und bereits gefrorenes als Frischfleisch verkaufte. Sax betont, dass die Firma kein Verbandsmitglied war. Dennoch wurde die ganze Branche in Sippenhaft genommen. Sax' grösstes Problem ist allerdings: Der Nachwuchs fehlt. 200 junge Menschen wählen jährlich diese Lehre. Mindestens das Doppelte wäre nötig.

Betriebe gibt es zwar immer weniger. 1948 waren es gegen 4000, letztes Jahr noch 940. Der Trend geht auch hier zu mehr Filialen pro Betrieb und grösseren Betrieben. Denn der Mitarbeiterbedarf in der Branche liegt konstant bei rund 24000 Personen.

Sax sagt, handwerkliche Berufe hätten es generell schwer. Viel Arbeit, auch am Wochenende. Doch Hauptgrund beim Fleischmetier ist das Image. Seit Jahren ist Branche unter Beschuss. «Es herrscht ein völlig falsches Bild unseres Berufs, ohne dessen Chancen und Vielseitigkeit auch nur ansatzweise zu erkennen.» Gerade bei den Jungen sei das problematisch. Oft denken sie bloss an den Schlächter mit der blutigen Schürze. Dabei ist die Fleischgewinnung, das positive Wort für Schlachtung, nur ein Teil der Ausbildung und eine von drei Fachrichtungen des Berufes. Die kleinste Gruppe spezialisiert sich auf die Gewinnung. Die Schlacht. Denn während früher noch viele Metzgereien selbst schlachteten, auch die Jauns, wird dieser Prozess immer öfter ausgelagert.

In der Mittagspause erzählt Céline in der Dorfbeiz von Corona und davon, dass dieses Virus ihrer Metzgerei neue Kunden brachte. «Manche Leute standen eine Stunde an. Denn viele fühlten sich in den grossen Geschäften nicht wohl und bevorzugten plötzlich lokale Produkte», sagt sie. Noch mehr als sonst fragten die Kunden, woher das Fleisch stamme. Auch wenn all die Caterings, Musikfeste und Chilbis ins Wasser fielen, der Laden der Jauns lief gut.

«Sie sollen froh sein, dass ich das Fleisch parat mache»

«Die Gesellschaft hat ein falsches Bild von meinem Beruf», sagt Céline. Ihr Job sei «weltstoll», kreativ und abwechslungsreich. Sie verschweigt aber auch nicht, dass sie lange und viel arbeiten muss, dass ihr Freund manchmal abends, wenn sie nach rund zehn Stunden in der Metzgerei heimkommt, sagt: «Du stinkst!» Es sind ihre Kleider, die nach Rauch und ihre Hände, die nach Marinade riechen. Céline hat sich längst daran gewöhnt. In den letzten Wochen hatte sie offene Hände, vom vielen Waschen und Desinfizieren. Aber auch Fleischsaft, gerade der vom Poulet, sei sehr aggressiv.

Die meisten in Célines Umfeld finden ihre Berufswahl positiv. Viele ihrer Freunde seien auch Bauernkinder. Es gebe halt schon noch mal einen Unterschied zwischen Land und Stadt. Leute, die sie neu kennenlernt, sind überrascht und fragen sie: «Wie kannst du das mit dir vereinbaren? Du tötest Tiere.» Viele sagen auch gar nichts. Doch Céline merkt ihnen an, dass sie geschockt sind.

Céline versteht nicht recht, warum. Die meisten würden ja Fleisch essen. Sie sollen doch froh sein, wenn sie es für sie parat mache. Anstatt es bloss zu essen und sich keine Gedanken darüber zu machen, wo es herkommt.

Woher es kommt, weiss Céline, seit sie klein ist. Sie wuchs auf einem Bauernhof im Emmental auf. Die Eltern haben einen Schweinezuchtbetrieb. Früher hatten sie sogar noch Milchkühe. Für den Eigenbedarf wurden Sauen bei Schüpbachs zu Hause vom sogenannten Störmetzger geschlachtet. Sie erinnert sich noch an den Mann, der von Hof zu Hof wanderte und gegen Entgelt Tiere – vor allem Schweine – schlachtete. «Ich war grosser Fan von ihm», erzählt Céline. Sie war jedes Mal dabei. Aber nur «ein einziges Mal und nie mehr» schaute sie beim Töten zu.

Céline war zehn, und die Sauen wurden noch mit dem Bolzen erschossen. «Ich weiss noch, wie die Sau am Boden gezappelt hat. Ich dachte, sie habe so starke Schmerzen, aber es waren bloss die Nerven, die noch weiterzuckten.» Wie die Schweine zur Schlachtbank gebracht wurden, bekam sie als Kind gar nicht wirklich mit. Denn die Sauen mussten erst noch zum Mäster und wurden nicht direkt gemetzget.

Von der Kita in die Metzg

Dennoch wollte Céline nie Metzgerin werden. Wie sie es doch wurde, kam so: Mit 16 begann sie eine Ausbildung als Bäckerin, aus gesundheitlichen Gründen brach sie die Lehre ab. Als Zwischenlösung arbeitete sie ein Jahr in einer Kita. Als es darum ging, eine neue Lehrstelle zu finden, erinnerte sie sich an die Schnupperwoche in einer Metzgerei und wie es ihr wider Erwarten gefallen hatte. So kam sie von der Kita in die Metzg. Sie muss lachen, als sie das erzählt.

Céline hat als Beste vom Fach abgeschlossen (Note 5,7). Und auch ein bisschen als Exotin. Unter 16 Lernenden gab es gerade mal zwei Frauen. Und sie war stets dem Klischee ausgesetzt: Wenn Frau, dann arbeitet sie sicher vorn im Verkauf und zerlegt nicht Tiere. Céline nervt es, dass die Arbeit der Fleischverarbeitung Frauen nicht zugetraut wird. Sie sagt: «Frauen können das.»

Und sie nervt noch etwas: eine Kollegin, die sagt, wie froh sie sei, dass die Grenzen wieder offen sind und sie endlich in Deutschland einkaufen kann. Leute in ihrem Alter, wirft Céline auf, würden doch mehr auf solche Dinge achten. Sich bewusster ernähren, lokale Produkte wollen. Aber am Ende gehe es eben doch allen wieder nur ums Geld. Sie sagt: «Jeder muss es für sich verantworten können, über der Grenze Billigfleisch zu kaufen, nachdem man von solchen Skandalen gehört hat.» Und dann nimmt sich die 22-Jährige an der eigenen Nase: «Ich fahre auch nach Kroatien in die Ferien und werde mir dort billige Kleider kaufen – ohne zu hinterfragen, woher sie sind.»

Der Muni, den Céline zerlegte, ist vom Bauern Benedikt Isenschmid aus Biberen. Geschlachtet wurde das Tier ein paar Hundert Meter weiter in der Metzgerei Schmid. Knapp zwölf Kilometer entfernt von der Metzgerei Jaun, sagt Céline und isst den letzten Bissen ihrer vegetarischen Spätzlipfanne.

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