Ikarus fliegt, ihn tragen Vogelfedern, von Wachs zusammengehalten. Er steigt höher, der Sonne entgegen. «Wenn du zu hoch fliegst, wird die Hitze deine Flügel schmelzen», hatte der Vater gewarnt. Ikarus vergisst es im Übermut.
Michael Lauber (54) lacht: jugendlich, braungebrannt, gebleckte weisse Zähne. «Attorney General of Switzerland», steht auf dem Schild vor ihm. Ein grosser Titel, den es so gar nicht gibt; eigentlich ist er Bundesanwalt. Höher aufsteigen kann ein Beamter in der Schweiz nicht. Es sei denn, er wird Bundesrat.
Neben ihm sitzt Loretta Lynch (60) – sie war damals wirklich «Attorney General», US-Justizministerin.
Die beiden hatten an jenem Tag 2015 wenige News, dafür grosse Ambitionen, sich in Szene zu setzen. Ihre Botschaft: Wir legen den Fifa-Sumpf trocken. Und alle freuten sich.
Lauber als Vorzeige-Beamter
Michael Lauber hat die Bundesanwaltschaft verändert. Ein Chefbeamter, der smart war, geschmeidig, jovial. Einen, den man vorzeigen konnte. Und er zeigte sich gerne.
Vier Jahre später ist das Lachen weg, Loretta Lynch auch. Laubers Gesicht wirkt wächsern. Die Medien spekulieren bereits über seinen Rücktritt. Doch der Mann hat andere Pläne. Er ist wütend auf Hanspeter Uster (62), seinen neuen Aufseher, der ihm mit einer Untersuchung das Leben schwer macht. Zwar wird Lauber Ende des Jahres wiedergewählt, doch der Lack ist ab. Lauber sieht es nicht. Oder will es nicht wahrhaben.
Sein «Sommermärchen»-Prozess um die Fussball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland: wegen Verjährung gestoppt. Ein Teil des Verfahrens um Ex-Fifa-Präsident Sepp Blatter (84): eingestellt. An die Treffen mit dem neuen Fifa-Präsidenten Gianni Infantino (50) erinnert er sich nicht. Entweder war da kein Sumpf, oder – und viel wahrscheinlicher – er ist noch nicht trocken.
Berühmter Schweizer bei deutschen Medien
Besonders die Deutschen nehmen ihm dies übel, weil am Ende niemand fürs Besudeln ihres «Sommermärchens» bestraft wurde. Ihre Medien machen Lauber gerade zu einem berühmten Schweizer, sie beschreiben kein Ruhmesblatt.
Die Nähe zur Sonne erweicht das Wachs, die Federn lösen sich ab. Ikarus ist im freien Fall.
Und der Kommunikator ist verstummt. «Keine Interviews», heisst es auf Anfrage von SonntagsBlick. Auch Michael Laubers Gefährten wurden wortkarg. Claude Janiak (71), ehemaliger Ständerat und sein prominentester Fürsprecher, äussert sich nicht mehr.
Emanuel Lauber – ebenfalls Jurist, ebenfalls mit beachtlicher Karriere in Bern – ringt am Telefon um Worte. Er würde gern eine Lanze für seinen Bruder brechen, sagt am Ende aber nichts. Freunde aus Studienzeiten gehen nicht auf Gesprächsangebote ein. Es ist einsam geworden um Michael Lauber.
«Fairer Partner»
«Er ist kein Mensch, der schnell umfällt», sagt Jana Riedmüller. Die Kommunikationsberaterin malte in Liechtenstein an dem Bild mit, das die Öffentlichkeit von Lauber hatte. Im Ländle war er unter anderem oberster Aufseher über den Finanzmarkt. Die Beraterin attestiert ihm Anstand, Stil und fröhliches Gemüt: «Er war immer ein fairer Partner. Michael Lauber ist besser, als er dargestellt wird.» Auch früher, sagt sie, habe er schwierige Situationen erlebt: «Es gibt genug Leute, die abhauen oder umfallen, er steht seinen Mann.» Heute erlebe er sicher seine grösste Krise, weil man auf die Person ziele. Dabei sei es ihm nie um sich selbst gegangen, obwohl man dies zunehmend kolportiere: «Die Medien haben die Person zur Institution gemacht. Die Personalisierung geschah nicht wegen seines Verhaltens.»
In Bern sehen das manche anders. «Laubers überdimensioniertes Ego» führe leider dazu, dass die Reform der Bundesanwaltschaft «um seine eigene Person herum gebaut wird anstatt um die Institution», ätzte Carlo Sommaruga (60) schon 2016 in der «Aargauer Zeitung». Laubers Bastion, die FDP, hat sich abgewendet, wie auch SP und CVP. Im Sommer droht Lauber die Amtsenthebung. Manche raten ihm bereits gönnerhaft, er solle doch von sich aus gehen.
«Schatten über positives Bild»
David Zollinger, ein Anwalt und Ex-Staatsanwalt aus Zürich, war bis 2016 einer von Laubers Aufsehern in der Aufsichtsbehörde. Ein beruflicher Kontakt, sie seien sich aber freundschaftlich verbunden: «Ich finde es erstaunlich, dass jemand, der intern, bei Politikern, Medien und Partnerbehörden so beliebt war, derart schnell fallen gelassen wird.» Ab 2019 habe sich etwas verändert. «Ein Schatten legte sich auf das positive Bild der ersten acht Jahre», sagt Zollinger.
Das Sommermärchen-Urteil habe sicher einen Einfluss gehabt. Ansonsten seien heute nicht mehr Fakten bekannt als zur Zeit von Laubers Wiederwahl. Die Stimmung aber kippte. «Wer von Politikern mit einer politischen Absicht gewählt wurde, der kann von diesen auch wieder abgesetzt werden, da sind politische Motive dann stärker als juristische Gründe», sagt Zollinger.
Öffentlichkeit sei manchmal besser
Er kennt diesen Druck aus eigenem Erleben. 2012 forderten Journalisten und Politiker seinen Rücktritt aus der Aufsichtsbehörde. Zollinger war damals Banker bei Wegelin. Die Bank war in den USA wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung angeklagt worden. Mancher sah wegen seiner Doppelrolle die Unabhängigkeit der Behörde gefährdet. Zollinger trat nicht aus, wurde später sogar wuchtig wiedergewählt. Seitdem ist er für das Thema sensibilisiert: «Vermutlich fühlt man sich in so einer Lage ungerecht behandelt», sagt er. Manchmal sei es aber besser, an die Öffentlichkeit zu treten. Vielleicht auch dann, wenn diese von einem erwarte, dass man sich entschuldigt.
Auch Thomas Fingerhuth, ebenfalls ein Anwalt aus Zürich, kennt Lauber von der Aufsicht her. Jahre später bezeichnete er ihn in der «NZZ» als «Rattenfänger». Seither sprachen sie nicht miteinander. Fingerhuth beobachtet Lauber weiterhin: «Er steht gerne in der Sonne und präsentiert sich.»
Keine andere Lösung
Seine Situation sei nun so verfahren, dass es fast keine andere Lösung gebe als einen Abgang, wenn er sich und dem Amt nicht noch mehr schaden wolle, so Fingerhuth: «Er ist auch selber schuld, er hat Fehler gemacht.»
Lauber sehe seine Lage wohl anders. Demonstrativ signalisiere er, dass man ihm nichts anhaben könne: «Dass er sich mit einem Staranwalt umgibt und alles anfechtet, zeigt aber seine Verzweiflung.» Die Unterstellung, er habe gelogen, störe Lauber natürlich immens, so Fingerhuth weiter. «Das ist eine elende Situation – wie will der Bundesanwalt so einem Beschuldigten noch in die Augen schauen können?»
Schreiend versinkt Ikarus in den Wellen des Meeres.
Und Michael Lauber? Der kämpft vor Gericht um seine Ehre. Und bereits am Mittwoch beratschlagt in Bern ein Kommission über sein Amtsenthebungsverfahren. Das gab es noch nie.
Aber es gab auch noch nie einen wie Michael Lauber.