Blogger-Star Sascha Lobo über Digitalisierung
«Ich versuche verzweifelt, Optimist zu bleiben»

Die Digitalisierung hat die Welt rasend schnell verändert – und viele überrascht. Sascha Lobo (44), der berühmteste deutschsprachige Internetexperte und Blogger, rät, sich diesen neuen Realitäten zu stellen.
Publiziert: 16.09.2019 um 09:14 Uhr
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Aktualisiert: 16.09.2019 um 11:41 Uhr
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In seinem neuen Buch «Realitätsschock» (Kiepenheuer & Witsch) zieht Sascha Lobo, der berühmteste Blogger und Internetexperte im deutschsprachigen Raum, «zehn Lehren aus der Gegenwart».
Foto: Marcus Höhn
Daniel Arnet

Sascha Lobo, wenn Sie morgens aufstehen, schauen Sie zuerst ­ auf Ihr Handy oder in den Spiegel, um Ihren Irokesenschnitt zu richten?
Ich betrachte es als riesigen Vorteil, die Frisur, die ich mittlerweile 13 Jahre trage, nicht jeden Tag anschauen zu müssen. Inzwischen stelle ich die Haare nicht mal ­immer auf, wenn ich nach draussen gehe, sondern nur noch zu halbwegs offiziellen Anlässen wie Fototerminen und dergleichen.

Wollten Sie sich mit Ihrem ­Irokesenschnitt zum Bürgerschreck stilisieren?
Einen leichten Hang zu provoka­tiven Elementen zu leugnen, wäre unverschämt – auch wenn man mit dieser Frisur kaum noch jemanden provozieren kann.

Womit schockiert man heute?
In der sozialmedialen Sphäre, die ich sehr intensiv beobachte, schockiert man mit Grenzüberschreitungen hin zur Menschenfeindlichkeit.

«Realitätsschock» heisst Ihr neues Buch, womit Sie den gesellschaftlichen Zustand im digitalen Zeit­alter seit Trumps Wahl umschreiben. Sind Sie vom Optimisten zum Pessimisten geworden?Ich würde es nicht so drastisch ­ausdrücken. Der Spruch, der eher zutrifft: Ich versuche verzweifelt, Optimist zu bleiben.

Rotkämmchen und der Wolf

Sascha Lobo kommt 1975 in West-Berlin als Sohn einer Deutschen und eines Argentiniers zur Welt – deshalb der spanische Nachname Lobo, was zu Deutsch Wolf heisst. Er studiert Gesellschafts- und Wirtschafts­kommunikation, gründet eine Werbe­agentur für New Economy und beginnt 2005 mit dem Blog «Riesenmaschine». Seit 2006 hat er aus «Marketinggründen» (Eigenaussage) einen roten Irokesenschnitt. Seitdem tingelt Lobo wie ein bunter Hund durch den deutschsprachigen Raum und erklärt das Internet. Seit 2011 publiziert er auf «Spiegel Online» jeden Mittwoch «Die Mensch-Maschine»-Kolumne. Lobo ist verheiratet und lebt in Berlin.

Sascha Lobo kommt 1975 in West-Berlin als Sohn einer Deutschen und eines Argentiniers zur Welt – deshalb der spanische Nachname Lobo, was zu Deutsch Wolf heisst. Er studiert Gesellschafts- und Wirtschafts­kommunikation, gründet eine Werbe­agentur für New Economy und beginnt 2005 mit dem Blog «Riesenmaschine». Seit 2006 hat er aus «Marketinggründen» (Eigenaussage) einen roten Irokesenschnitt. Seitdem tingelt Lobo wie ein bunter Hund durch den deutschsprachigen Raum und erklärt das Internet. Seit 2011 publiziert er auf «Spiegel Online» jeden Mittwoch «Die Mensch-Maschine»-Kolumne. Lobo ist verheiratet und lebt in Berlin.

 

Wie machen Sie das?
Wenn man sich Optimismus bewahren möchte, führt ab einem bestimmten Moment nichts daran vorbei, sich gewisse Realitäten einzugestehen und sie zu benennen. Sonst kommt man vom Optimismus in Schönrednerei – eine beliebte Falle, gerade auch bei Linken.

«Ewige Gewissheiten moderner Gesellschaften brechen weg», schreiben Sie im Buch. Auch für Sie?
Niemand hätte damit gerechnet, dass Trump gewählt wird, dass der Brexit passiert oder dass ein derartiger Rechtsruck quer durch ­Europa geht. Der erste Schritt zu ­einer positiven Weltsicht ist, das zu akzeptieren.

Aber als liberal denkender Mensch kann man gewisse Veränderungen nie akzeptieren!
Hinter meinem Buch steht auch ­ ein Bewältigungsprozess, der mich zeitweise in depressive Verstimmung versetzt hat. Es gab ein weltweites Stakkato von Hiobs-Botschaften, wobei ich dachte: «Um Gottes willen, das passiert auch noch, und hier entgleitet auch noch die Kontrolle.»

Gerade von Trump kommen täglich neue, unglaubliche Nachrichten.
Atombomben auf Wirbelstürme: Wahnsinn! Aber Trump will damit von anderen Themen ablenken – etwa davon, dass er kleine Kinder an der Grenze zu Mexiko in Käfige sperren lässt. Und da muss man sagen: Die Öffentlichkeit und die Medien sind auf diese Taktik reingefallen.

Gewiss, aber man muss doch darüber berichten, um eine Gegenbewegung zu lancieren.
Ja, aber das ist viel schwieriger, als man zuvor dachte, weil sich viele Grundannahmen über die liberale Demokratie als wenig tragfähig ­erwiesen haben – und das ist ein Realitätsschock. Trump hat faktisch die Pressegespräche im Weissen Haus abgeschafft. Wenn das ­jemand vor zehn, zwanzig Jahren gemacht hätte, der wäre in Grund und Boden geschrieben worden.

Vom Klimakollaps über Migra­tion bis zur Weltmacht China ­reichen die zehn Kapitel Ihres Buchs. Ist denn kein Stein mehr auf dem anderen?
Es ist nicht so, dass die Welt komplett anders ist als vor 20 Jahren. Sehr viele Oberflächen fühlen sich genauso an wie 1999. Aber die ­politischen und gesellschaftlichen Prozesse, die dahinter ablaufen, haben sich sehr stark verändert.

Wie sieht das zum Beispiel bei der Migration aus?
Migration ist ein extrem digitales Phänomen geworden – weit über das Navigationsgerät hinaus. Ich zitiere im Buch die britische Soziologie­professorin Marie Gillespie, die sagt: Wenn ein Migrant aufbreche, dann habe er eine Prioritätenrangliste. Die lautet: Wasser, Smartphone, Essen – in dieser Reihenfolge.

Weshalb?
Der denkt: Essen kann man sich mit einem Smartphone besorgen.

Durch alle Kapitel ziehen sich ­Digitalisierung und Globalisierung wie ein roter Faden. Haben sich die beiden Themenfelder gegenseitig hochgeschaukelt?
Unbedingt. Man kann heute das eine ohne das andere gar nicht mehr denken. Es wäre sogar fahrlässig, würde man so tun, das habe nichts miteinander zu tun.

Wo zeigt sich die Wechselwirkung?
Eine durchschnittliche Google-­Anfrage beschäftigt beispielsweise 2000 Server, die in mindestens drei Ländern stehen – das hängt mit der Struktur von Google zusammen. Man schaut in ein kleines Gerät, doch was dahinter abgeht, ist digitaler und globaler, als man es sich vorstellen könnte.

Ist es nicht eine Ironie der Geschichte, dass sich ausgerechnet der twitternde rechtskonserva­tive Trump heute als Globalisierungsgegner positioniert? Früher war die Gegnerschaft bei den Linken zu finden.
Es gab schon früher in nationalis­tischen Kreisen eine Beschränkung auf das eigene Land. Aber da haben sich tatsächlich Dinge verschoben. Es gibt eine Vielzahl von Bewegungen, die sich nicht mehr klinisch rein anfühlen wie in den 1970er- und 1980er-Jahren. Damals konnte man sagen: Wer in einer Gewerkschaft ist, der bringt folgende drei bis fünf ­politischen Haltungen mit.

Wo hat die Linke den Anschluss an die Gesellschaft verloren?
Ich glaube nicht, dass sie den Anschluss verloren hat, sondern die ­politische, gesellschaftliche und mediale Elite insgesamt hat ihr Gespür für die Gegenwart verloren.

Ist die Welt heute nicht mehr planbar wie früher?
War die Gesellschaft denn je planbar – oder gab es nicht viel eher eine Kontrollillusion? Und wenn es so war, dass sie früher planbarer war, dann zeigt sich das sehr gut darin, dass sie sich damals weniger schnell entwickelt hat.

Müssten wir uns heute wieder mehr Zeit nehmen für Entscheide oder umgekehrt die Entwicklung bremsen?
Ich halte es für eine gefährliche Fehlannahme, wenn man eine gesellschaftliche Beschleunigung verlangsamen will oder zurückdreht. Jetzt zu sagen, man muss Facebook abschaffen, um gegen die monströsen Fake-News vorzugehen, wäre das Falscheste, das man sich vorstellen kann.

Weshalb?
Facebook ist nicht deswegen auf ein Netzwerk mit zwei Milliarden Nutzern angewachsen, weil Mark Zuckerberg hinter jedem Nutzer mit der Schrotflinte stand. Ganz ­offensichtlich erfüllt Facebook ein ganz bestimmtes gesellschaftliches Bedürfnis.

Ein Bedürfnis, das Facebook selber geschaffen hat.
Ja, soziale Medien sind Gefühls­maschinen: Kluge Leute haben mit Milliardensummen Maschinen gebaut, um Gefühle auszulösen, weil sie damit Geld verdienen. Die ­haben sich alles ausgedacht, damit der Nutzer immer wieder kommt.

Doch heute nutzt eine Klientel Facebook, die den Machern nicht mehr geheuer ist – frei nach Goethe: «Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.»
Die Macher sind definitiv von vielerlei Entwicklungen überrascht worden. Aber ich würde in diesem Zusammenhang nicht Goethes «Zauberlehrling» zitieren – da spielt mir zu viel Unschuld mit. ­Gerade bei Facebook sind über ­Jahre Warnungen verhallt.

Mit der Folge, dass sich die Jungen mehr und mehr von Facebook abwenden.
Dem möchte ich widersprechen. Ich würde eher sagen, dass sich ­ das Interesse ausdifferenziert. Die Generation Z benutzt heute verschiedene Netzwerke im schnellen Wechsel. Jedes Netzwerk benutzen sie für andere Aufgaben. Das ist gut so – es ist ein dezentrales Mittel gegen Monopole.

Aber bei Suchmaschinen ist Google immer noch der Platzhirsch.
Das ist ein Quasimonopol – das ist wahr. Es gibt aber auch da erste ­Anzeichen einer Ausdifferenzierung: Google war lange Zeit die wichtigste Produktesuchmaschine. Diesen Job hat mittlerweile Amazon übernommen, mit der Folge, dass Amazon ins Werbebusiness eingestiegen ist.

«Zehn Lehren aus der Gegenwart» nennen Sie Ihr Buch im Untertitel. Könnte man auch zehn Lehren aus der Vergangenheit ziehen? Vielleicht aus dem 19. Jahrhundert, als das Bürgertum an die Macht und die Eisenbahn auf die Schiene kam?
Gerade die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts beinhaltete eine ausgedehnte Form der Techno­logiekritik. Die weltweite Ent­wicklung des deutschen Konzerns Siemens, das Google des 19. Jahrhunderts, bietet schon einige Parallelen. Aber wenn die Geschwindigkeit in der Entwicklung derart wichtig ist, ist es dann das Gleiche, wenn man eine industrielle Phase, die 150 Jahre dauerte, mit der digitalen vergleicht, die gerade mal ein paar Jahre brauchte?

Die Grossstadtkritik von damals klingt allerdings fast so wie Internetkritik von heute.
Aber trotzdem würde ich das nur beschränkt miteinander vergleichen. Die Anonymität der Grossstadt ist nicht das Gleiche, wie wenn ich im Internet anonym ­beschimpft werde. Es gibt Parallelen, aber man kann aus dem einen nicht zwingend Lehren für das ­andere ziehen.

Sie plädieren dafür, von den ­Jungen zu lernen, um den ­Rea­litätsschock zu überwinden – weil die Jungen ein besseres ­Gespür für die Gegenwart haben. Müssen wir also das Schulsystem auf den Kopf stellen: junge Lehrer, alte Schüler?
Das haben wir jetzt schon. Zumindest hier in Europa häufen sich die Dinge, die Eltern ihre Kinder fragen. Der Grund, weshalb Erwachsene ihre Einstellungen ändern, sind sehr oft ihre Kinder – auch deshalb, weil diese Kinder verstörend gut Bescheid wissen, weil sie das Internet benutzen, um zu recherchieren.

Aber die Entscheidungsträger sind noch immer Erwachsene.
Ja, und daran wird sich auch nichts ändern.

«Kinder an die Macht» wäre also keine Alternative?
Nein, das ist eine romantische ­Abwehr von Verantwortung. Ich würde es eher umgekehrt sagen: «Erwachsene an die Macht!» Die müssen nun die richtigen Entscheidungen treffen. Es geht heute nicht darum, dass man wahnsinnig erfahren ist in den Dingen, die man schon immer machte. Es geht ­darum, die vergleichsweise neuen Fakten zuerst wahrzunehmen, neu zu bewerten und dann die rich­tigen, schnellen Entscheidungen zu fällen.

Sascha Lobo, «Realitätsschock», Kiepenheuer & Witsch; der Autor stellt sein Buch am 9. Oktober im Kosmos Klub Zürich vor; Tickets unter kosmos.ch

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