BlickPunkt von Christian Dorer zum Jahreswechsel 2017/2018
Erstens kommt es anders …

Beim Blick zurück auf vergangene Jahreswechsel zeigt sich: Meistens kam es nicht halb so schlimm wie befürchtet. Auch auf 2018 dürfen wir uns also freuen.
Publiziert: 29.12.2017 um 23:56 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 00:45 Uhr
Christian Dorer, Chefredaktor Blick-Gruppe

Heute muss ich Ihnen etwas gestehen: Ich habe Angst vor Hunden. Kein Wunder – es hat mich mal einer gebissen. Wann immer ich seitdem einem «besten Freund des Menschen» begegne, werde ich garantiert angebellt. Völlig angstfrei dagegen fühle ich mich auf Reisen. Selbst an gefährlichen Orten der Welt ist mir nie etwas passiert. Andere Reisende erzählen mir wahre Horror-Storys. Und ich denke: Je ängstlicher einer unterwegs ist, desto eher trifft es ihn.

Überhaupt ist vieles im Leben «self-fulfilling prophecy» – wir sehnen uns unbewusst danach, dass unsere Befürchtungen wahr werden. Weil wir dummerweise gern recht behalten. Sogar dann, wenn es weh tut. Entsprechend düster blicken wir in die Zukunft.

Wie war es zum Beispiel in den letzten Tagen des Jahres 2016? Europa starrte gebannt auf die Lage an der Flüchtlingsfront; alle erwarteten eine gewaltige Invasion – passiert ist das Gegenteil: Als man damit begann, die Grenzen wieder zu kontrollieren, ging die Zahl der Asylbewerber massiv zurück.

Ende 2015 stand die Welt wegen der Annexion der Krim unter Schock – und die Schweiz wegen der Freigabe des Euro-Kurses. Die Krim ist und bleibt zwar russisch, doch die Panik, Wladimir Putin könnte gleich noch die Ukraine erobern, ist verflogen. Und die Schweizer Exportunternehmen haben sich erfolgreich durch die Krise manövriert.

Zum Jahreswechsel 2014 schreckte eine Terrormiliz namens Islamischer Staat (IS) die Welt mit Videos von nie dagewesener Brutalität, es folgten Selbstmordattentate in mehreren europäischen Grossstädten. Heute ist der IS militärisch besiegt. Zwar reklamiert er weiterhin blutigste Attentate für sich, aber die wirken eher improvisiert. Und was am wichtigsten ist: Es ist dem IS nicht einmal ansatzweise gelungen, unseren freiheitlichen Lebensstil zu verändern.

2014 – erinnert sich noch jemand? – wurde im Vorfeld sogar mit 1914 verglichen, dem Jahr, in dem der Erste Weltkrieg mit Millionen Toten ausbrach. Heute wissen wir: Die befürchteten Katastrophen sind ausgeblieben. Mit allergrösster Wahrscheinlichkeit werden sie auch 2018 ausbleiben.

Und was heisst das? Wir können uns auf die echten Probleme konzentrieren:

Das ungelöste Verhältnis zur EU hat sich akzentuiert. Viele meinten, nach dem Brexit werde es für die Schweiz einfacher, wir hätten ja mit Grossbritannien einen starken Verbündeten. Und was geschah? Zwar gibt es im Alltag mit den bilateralen Verträgen kaum Probleme. Doch die EU markiert Härte und besteht auf einem Rahmenvertrag – aus Prinzip, nicht aus Notwendigkeit. Bundespräsidentin Doris Leuthard hat recht, wenn sie eine grundlegende Abstimmung über die Schweizer Haltung zur Europäischen Union verlangt.

Der Populismus ist auf dem Rückzug. Die EU hatte sich von ihren Bewohnern entfernt und den Scharfmachern gewaltige Spielräume eröffnet. Inzwischen aber eroberten frische Kräfte aus der etablierten Politik die Macht – Emmanuel Macron in Frankreich, Sebastian Kurz in Österreich. Sie sehen keinen Widerspruch zwischen starken Nationalstaaten und einem starken Europa. Zudem vertreten sie eine Vision vom Verhältnis zwischen Staat und Bürgern, das dem der Schweiz nicht unähnlich ist.

No Billag steht am 4. März zur Abstimmung: Nicht weniger als die Existenz der SRG steht auf dem Spiel. Zu normalen Zeiten hätte eine derart extreme Vorlage keine Chance. Doch die Zeiten sind nicht normal. Mehr denn je scheinen die Stimmbürger zu demonstrativen Entscheidungen bereit – sogar zu Experimenten mit ungewissem Ausgang.

Donald Trump wird auch 2018 wüten. Doch trotz aller Aufregung: Weder steht seine Mauer an der Grenze zu Mexiko, noch konnte der US-Präsident die Einwanderung stoppen. Es gelang ihm nicht einmal, die Volksversicherung Obamacare abzuschaffen. Die grösste Gefahr besteht jetzt darin, dass der Egomane im Weissen Haus und der Egomane in Pjöngjang aus ihrem Eskalationsmodus nicht mehr herausfinden und einen Krieg um Nordkorea entfesseln, den beide nicht wollen.

Der SonntagsBlick fragte im Sommer einen der grössten Historiker unserer Zeit, ob sich die Geschichte wiederhole. Heinrich August Winkler (79) antwortete: «Manche Grundmuster schon. Wer jedoch glaubt, historische Herausforderungen würden sich eins zu eins wiederholen, der irrt. Das ist der gleiche Trugschluss, den oft Generäle ziehen, wenn sie in Manövern verlorene Schlachten des letzten Krieges im Nachhinein zu gewinnen versuchen.»

Vielleicht sollten wir also gar nicht erst zu erraten versuchen, wie 2018 wird. Packen wir einfach die Fragen an, die sich stellen. Mutig und zuversichtlich. Die wichtigsten zuerst. Erstarren wir nicht vor lösbaren Problemen wie die Maus vor der Schlange.

Oder wie ich vor dem bissigen Hund.

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