Rastatt ist eine stinknormale deutsche Kleinstadt in Baden-Württemberg. Idyllisch gelegen, verkehrstechnisch gut angebunden. Seit mittlerweile drei Wochen sorgt die 50'000-Einwohner-Stadt international für Schlagzeilen. Denn hier liegt das Epizentrum eines europäischen Verkehrsinfarktes – nur 170 Kilometer von Basel entfernt. Mitten in einer Wohngegend brach eine Tunnelbaustelle ein, ausgerechnet unter den bestehenden Geleisen. Resultat: Die Hauptschlagader des Nord-Süd-Verkehrs ist unterbrochen.
Seither gleicht der Ort einer Grossbaustelle. Tag und Nacht donnern Lastwagen durch die Tempo-30-Zonen. Und Anwohner wie Georg (61) und Ute Selzer (60) können nur noch mit Gehörschutz und Schlafmitteln schlafen. «Für uns interessieren sich die Bahn-Verantwortlichen nicht, wir sind darum froh, wenn wenigstens ihr Schweizer ein bisschen Dampf macht», sagen sie genervt im obersten Stock ihres Hauses und schauen auf die Grossbaustelle runter, die direkt an ihren Garten angrenzt.
1300 LKW-Ladungen Beton wurden schon in den Tunnel gekippt
Im Gleisbett versucht man zu retten, was zu retten ist. 1300 LKW-Ladungen Beton seien in den Tunnel gekippt worden, heisst es vonseiten der Deutschen Bahn. «Morgen folgt dann die Betonage einer rund 100 Meter langen und einen Meter dicken Betonplatte. Anschliessend werden Schotter, Schwellen und Schienen wieder aufgebaut.» Die Tunnelbohrmaschine kann nicht mehr gerettet werden. Das 18-Millionen-Gerät wurde kurzerhand mit einbetoniert.
Bis die Züge wieder rollen, müssen sich auch Reisende aus der Schweiz gedulden und auf Busse ausweichen. Manuela Funda (62) aus Karlsruhe hat in Baden AG ihren Sohn besucht. Sie ist mit den Nerven am Ende: «Den Zeitverlust von etwa einer Stunde könnte ich noch verkraften. Aber dieses permanente Umsteigen ...» Kleine Geste: Von der Deutschen Bahn hat die 62-Jährige gratis eine Flasche Mineralwasser bekommen.
Vielen Deutschen ist der Tunnel-Kollaps aber auch richtig peinlich. «Von deutscher Ingenieurskunst kann hier schon lange nicht mehr die Rede sein», sagt Anwohner Georg Sulzer. «Zuerst der Flughafen Berlin, dann der Dieselskandal, jetzt das!»
In Deutschland schämt man sich
Ins gleiche Horn bläst Busfahrer Roland (70). Eigentlich darf er nicht mit der Presse reden, deswegen will er auch seinen Nachnamen nicht nennen. Trotzdem meint er: «Das ist peinlich, vor allem für die Deutsche Bahn. Was das wieder kostet!» Immerhin seien keine Menschen zu Schaden gekommen. Pendler Lucas Mühling (18) schaltet sich in das Gespräch ein und meint: «Liebe Schweizer, es tut mir leid, dass wir Deutschen es nicht unter Kontrolle haben. Sorry!»
Einzig die Taxifahrer freuen sich. Ivan Naidanovic (57): «Vor allem die ersten zwei Tage nach dem Zusammensturz des Tunnels waren der Knaller. Seither hat sich die Situation wieder normalisiert.» Er fügt mit einem Lachen an: «Wenn jetzt auch noch die Ersatzbusse ausfallen würden, wäre es optimal für uns Taxifahrer.»
Warum der Tunnel einstürzte, wissen auch die Bahnverantwortlichen noch nicht. Sie versprechen: Am 7. Oktober soll der Güterverkehr wieder normal rollen – wenn alles nach Plan läuft.