Vor dem Strafgericht in Reggio Calabria (I) startete gestern die Verhandlung gegen die Frauenfelder ’Ndrangheta-Zelle. Erstmals konnte sich Richter Nicolò Marino (57) inhaltlich mit dem Fall befassen – er entscheidet, ob die Beweislage ausreicht, um den Fall dem Gericht zur Beurteilung zu übergeben.
«Der Prozess heute ist eine Art erster Filter, der den Fall formell beurteilt», so Marino. Zuvor war dieser sogenannte Vorprozess gegen die Mitglieder der Thurgauer Società mehrmals verschoben worden. Grund: Die Angeklagten waren noch nicht aus der Schweiz nach Italien ausgeliefert worden. Das ist in der Zwischenzeit passiert. Dabei hatten sich einige Verdächtige bis vor Bundesgericht gegen ihre Auslieferung gewehrt.
Gespräche mit den Anwälten im Flüsterton
Gestern nun waren fünf Mitglieder der Frauenfelder Zelle und ein Mafioso aus einem anderen Fall vor Ort. Die Männer wurden mit Handschellen gefesselt in den Saal geführt und in einen Metallkäfig gesperrt.
Von dort aus verfolgten sie den Prozess mit, ausgerüstet mit Lunchpaketen. Ausser ihren Namen zu bestätigen, sprachen sie nicht vor Gericht. Unterhielten sich höchstens mit ihren Anwälten im Flüsterton. Die übrigen Mitglieder wurden per Video aus Mailand zugeschaltet – auch sie blieben stumm.
Die Mafia-Runde sind für die Verteidiger nur Jass-Freunde
Einzig die Anwälte meldeten sich zu Wort. Die Versammlungen im Boccia-Club in Wängi TG seien vor allem Treffen unter Freunden gewesen. «Es wurde gegessen, getrunken und Karten gespielt», sagte der Anwalt zweier Thurgauer Angeklagter.
Einmal, das gehe aus den 24 Videoaufzeichnungen aus dem Saal im Landgasthof hervor, sei sogar eine Deutsch sprechende Frau anwesend gewesen. «Wie kann es also sein, dass es sich hierbei um ein geheimes Treffen der Mafia handeln sollte?», fragt der Anwalt. Richter Marino hörte sich die Argumente der Anwälte stoisch an und unterbrach dann die Sitzung nach etwas über zwei Stunden.
Die übrigen Verteidiger werden Mitte Dezember bei einem zweiten Termin sprechen. Dann wird Richter Marino auch sein Urteil fällen. Prozessbeobachter schätzen, dass die Argumente der Anklage genügen, um den Fall dann dem Strafgericht zu übergeben. Erst dort wird dann auch über das Strafmass geurteilt. Gute Aussichten für die Anklage, schlechte für die Mafiosi: In 99 Prozent der Fälle kommt es zur Verhandlung vor dem Gericht.