Er ist einer der bekanntesten Historiker Amerikas: Allan J. Lichtman, ein 72-jähriger Geschichtswissenschaftler aus New York, der an der renommierten American University in Washington, D.C. unterrichtet. Berühmtheit erlangte Lichtman als Orakel: Seit 1984 sagte er den Ausgang sämtlicher US-Präsidentschaftswahlen korrekt voraus – inklusive Sieg von Donald Trump (73). Sein Geheimrezept sind die «13 Schlüssel zum Weissen Haus» (siehe Box unten).
BLICK traf Lichtman auf dem Campus seiner Universität zum Interview. Der Historiker ist gut gelaunt, präsentiert sich mit schicker Krawatte und trägt auffällige Klunker an beiden Ringfingern – sein Markenzeichen. Ganz der Professor, herrscht auf seinem Schreibtisch das pure Chaos.
BLICK: Ihre Trefferquote bei Präsidentschaftswahlen liegt bei 100 Prozent. Sind Sie ein Genie oder haben Sie immer Glück gehabt?
Allan Lichtman: Weder noch. Es gibt eine Theorie, wie Präsidentschaftswahlen in den USA funktionieren. Und die habe ich verstanden. Ich habe das System geknackt und kenne die Schlüssel zum Weissen Haus.
Wie sind Sie darauf gekommen?
Durch Zufall. 1981 begegnete ich in Kalifornien Wladimir Keilis-Borokin, einem Erdbebenforscher aus der Sowjetunion. Er schlug vor, dass wir die Methodik der Erdbebenvorhersage nutzen, um die amerikanischen Präsidentschaftswahlen prognostizieren zu können.
Das hört sich verrückt an!
War es auch! Ich dachte zuerst, der Typ sei ein KGB-Spion ... Doch der gute Herr hat mich rasch überzeugt: Wir haben uns jede Wahl seit jener von Abraham Lincoln 1860 angeschaut und 13 Indikatoren herausgearbeitet, welche die Wahlen jedes Mal entschieden haben. Aus diesen haben wir Fragen formuliert, die sogenannten Schlüssel. Sie sind immer aus Sicht jener Partei zu beantworten, die gerade im Weissen Haus sitzt. Resultieren sieben oder mehr Ja, so gewinnt der Kandidat der regierenden Partei und umgekehrt.
Und das funktioniert immer?
Immer! Obwohl ich erst seit 1984 die Wahlen prognostiziere, kann man mit dem Fragebogen bis 1860 zurück sämtliche Präsidentschaftswahlen nachvollziehen.
Die Wahlkämpfe sind doch heute völlig anders als früher, beeinflusst von Geld und Social Media.
Das zeigt, wie robust das System ist. 1860 gab es noch keine Flugzeuge, keine Autos, keine Computer und auch noch keine Umfragen. Frauen und Schwarze hatten kein Stimmrecht. Wenn die Schlüssel also über 150 Jahre lang standgehalten haben, werden ihnen auch Facebook und Twitter nichts anhaben.
Die Präsidentschaftswahlen 2016 bezeichnet Lichtman als seine schwierigste. Die grosse Mehrheit der Wahlforscher prophezeite einen Sieg Hillary Clintons (72). Professor Lichtman liess sich Zeit wie nie zuvor für seine Vorhersage – bis zwei Monate vor dem Wahltag!
Wie fielen die Reaktionen aus, als Sie die Wahl Trumps prognostizierten?
Oh my God ... Sie können sich ja vorstellen, dass mich das im liberalen Washington, D.C. nicht gerade beliebt gemacht hat. Einige Leute verstehen immer noch nicht, dass ich Wahlvorhersagen mache – und nicht meinen Favoriten verkünde. Aber ich habe auch eine sehr schöne Nachricht erhalten, die lautete: «Herzlichen Glückwunsch, Professor. Sehr schöne Entscheidung.» Die Botschaft war in grossen Buchstaben unterschrieben – von Donald Trump (lacht). Doch hätte er etwas weitergelesen, wäre ihm aufgefallen, dass ich in diesem Interview gleich meine zweite grosse Vorhersage gemacht habe: dass Trump impeacht werden würde.
Allan Lichtman kam 1947 in New York zur Welt. Er studierte Geschichte und promovierte 1973 an der Harvard University. Bis heute unterrichtet er in Washington, D.C. an der American University. Lichtman war unter anderem als Berater für die demokratischen Politiker Al Gore und Edward Kennedy tätig. Gemeinsam mit dem Statistiker Jack Moshman entwickelte er ein Vorhersagesystem für die US-Präsidentschaftswahlen. Es wurde erstmals 1984 verwendet und lieferte seither bei allen Wahlen richtige Prognosen.
Allan Lichtman kam 1947 in New York zur Welt. Er studierte Geschichte und promovierte 1973 an der Harvard University. Bis heute unterrichtet er in Washington, D.C. an der American University. Lichtman war unter anderem als Berater für die demokratischen Politiker Al Gore und Edward Kennedy tätig. Gemeinsam mit dem Statistiker Jack Moshman entwickelte er ein Vorhersagesystem für die US-Präsidentschaftswahlen. Es wurde erstmals 1984 verwendet und lieferte seither bei allen Wahlen richtige Prognosen.
Tatsächlich wird das Repräsentantenhaus ihn vermutlich noch vor Weihnachten anklagen. Fast alle Experten glauben jedoch, dass das Trump nützt – weil der Senat ihn nicht des Amtes entheben wird und weil die Leute die Nase voll haben von taktischen Spielchen.
Die liegen alle komplett daneben! Schauen Sie sich die Geschichte an: Zwei Präsidenten – Andrew Johnson 1868 und Bill Clinton 1998 – wurden impeacht. Richard Nixon kam seiner sicheren Amtsenthebung zuvor und trat 1974 zurück. In sämtlichen Fällen verlor die amtierende Partei die kommenden Präsidentschaftswahlen.
Trump produziert ständig Skandale, doch seine Anhänger bleiben ihm treu.
Richtig, doch nur 40 Prozent der stimmenden Amerikaner sind treue Trump-Wähler. Er braucht auch die Leute in der Mitte. Und ein Impeachment ist ein Skandal von historischem Ausmass, das ihm mit Sicherheit schaden wird.
Wieso hat Trump bisher kein Skandal geschadet?
Trump ist der beste Lügner, den ich je gesehen habe. Er ist der König der Ablenkung. So konnte er alle Verfehlungen politisch überleben. Zudem sind die Demokraten alles andere als mutig. Man musste ihnen ja förmlich in den Hintern treten, damit sie nun endlich ein Amtsenthebungsverfahren eröffnen. Hätte Barack Obama auch nur einen Zehntel dessen getan, was sich Donald Trump in drei Jahren leistete, wäre er schneller aus dem Weissen Haus gewesen, als man Andrew Johnson sagen könnte.
Wir haben eine Fehlprognose von Ihnen gefunden: Sie sagten 2017, dass die Ergebnisse von Sonderermittler Robert Muellers Russland-Untersuchung die «Welt schockieren» würden. Das ist nicht eingetreten.
Gratuliere, da haben Sie recht. Der Bericht hat nicht das ausgelöst, was ich erwartet hatte. Ich bin extrem enttäuscht von Sonderermittler Robert Mueller. Er produzierte 435 Seiten: ein unlesbarer Bericht, gefüllt mit Äquivalenzen und doppelten Verneinungen. Das versteht niemand, Trump konnte einfach alles zu seinen Gunsten verdrehen. Mueller hätte mit denselben Fakten einen wesentlich stärkeren Bericht erstellen können. Vielleicht ist er halt ein royaler Republikaner, der seiner Partei nicht schaden will.
In knapp einem Jahr finden in den USA die Präsidentschaftswahlen statt. Donald Trump will sich eine zweite Amtszeit sichern. Sein Herausforderer steht noch nicht fest – über ein Dutzend Demokraten bekämpfen sich derzeit in den Vorwahlen im parteiinternen Nominierungsprozess. Klar ist: Der Herausforderer wird einen schweren Stand haben. Ob Experten der renommierten Agentur Moody's oder jene von Oxford Economics: Sie alle rechnen mit einem Trump-Sieg – und zwar deutlicher als 2016.
Die alles entscheidende Frage, Herr Lichtman: Wer gewinnt 2020?
Ich muss Sie leider enttäuschen. Ich kann noch keine Vorhersage treffen. Es gibt noch einige Schlüssel, die auf die eine oder andere Seite kippen könnten. In der Vergangenheit sagte ich den Ausgang der Wahlen auch schon zweieinhalb Jahre vorab voraus. Aber nun könnte es wieder deutlich kurzfristiger werden.
Welcher Kandidat auf demokratischer Seite hätte denn die besten Chancen?
Es spielt keine Rolle.
Wie bitte?
Lediglich einer der 13 Schlüssel bezieht sich auf den Herausforderer. Nur wenn der Kandidat der Opposition eine charismatische Persönlichkeit ist, hat es eine Auswirkung auf mein System.
Und Sie sehen keinen charismatischen Kandidaten auf demokratischer Seite?
Nicht wirklich. Barack Obama war so eine Jahrhundertperson – er hat den Schlüssel von mir gekriegt. Aber ich sehe keine solche Galionsfigur. Sie etwa?
Am ehesten Pete Buttigieg.
Einverstanden! Buttigieg hat das grösste Potenzial, diesen Schlüssel zu erhalten. Aber festlegen will ich mich noch nicht.
Sie sagen im Ernst: Wie gut ein Kandidat ist, spielt keine Rolle?
Ja. Es geht nicht um Themen oder Ideologien. Aus demokratischer Sicht wäre eine Kandidatin à la Michelle Obama oder die beliebte Talkshow-Moderatorin Oprah Winfrey am erfolgversprechendsten. Diese Frauen würden einen Unterschied ausmachen – aber nicht ein Joe Biden oder ein Bernie Sanders.
Die Fragen sind aus Sicht des Amtsinhabers zu beantworten. ✔ bedeutet demnach einen Punkt für Donald Trump, ✖ einen Punkt für den demokratischen Herausforderer. Im Moment steht es 8 zu 5 für Trump, doch gewisse Schlüssel können sich bis zu den Wahlen im November 2020 noch ändern.
- Parteimandat: Nach den jüngsten Halbzeitwahlen (den Kongresswahlen zwischen den Präsidentschaftswahlen) hält die amtierende Partei mehr Sitze im US-Repräsentantenhaus als vor den Zwischenwahlen. ✖
- Wettbewerb: Es gibt keinen ernst zu nehmenden Konkurrenten zu der amtierenden Parteiaufstellung ✔
- Amtsdauer: Der amtierende Parteikandidat ist der amtierende Präsident. ✔
- Dritte Partei: Es gibt keine signifikante Drittpartei oder unabhängige Kampagne. ✔
- Kurzfristige Wirtschaft: Die Wirtschaft befindet sich in keiner Rezession während der Wahlkampfphase. ✔
- Langfristige Wirtschaft: Das reale Pro-Kopf-Wirtschaftswachstum während der Amtszeit ist gleich geblieben oder grösser geworden im Vergleich zu den vorherigen zwei Amtszeiten. ✔
- Kurswechsel: Die amtierende Regierung hat wichtige Veränderungen in der Innenpolitik umgesetzt. ✔
- Soziale Unruhen: Es gab keine anhaltenden sozialen Unruhen während der Amtszeit. ✔
- Skandale: Die amtierende Regierung ist von einem grossen Skandal verschont geblieben. ✖
- Aussenpolitische/militärische Fehler: Die amtierende Regierung hat sich keine schwerwiegenden aussenpolitischen oder militärischen Fehler zuschulden kommen lassen ✖
- Aussenpolitische/militärische Erfolge: Die amtierende Regierung hat herausragende Erfolge in der Aussenpolitik oder in Militärangelegenheiten vorzuweisen. ✖
- Charisma des amtierenden Kandidaten: Der Kandidat der Partei, die aktuell den Präsidenten stellt, ist charismatisch oder ein Nationalheld. ✖
- Charisma des Herausforderers: Der Kandidat der Partei, die den aktuellen Präsidenten herausfordert, ist weder charismatisch noch ein Nationalheld. ✔
Die Fragen sind aus Sicht des Amtsinhabers zu beantworten. ✔ bedeutet demnach einen Punkt für Donald Trump, ✖ einen Punkt für den demokratischen Herausforderer. Im Moment steht es 8 zu 5 für Trump, doch gewisse Schlüssel können sich bis zu den Wahlen im November 2020 noch ändern.
- Parteimandat: Nach den jüngsten Halbzeitwahlen (den Kongresswahlen zwischen den Präsidentschaftswahlen) hält die amtierende Partei mehr Sitze im US-Repräsentantenhaus als vor den Zwischenwahlen. ✖
- Wettbewerb: Es gibt keinen ernst zu nehmenden Konkurrenten zu der amtierenden Parteiaufstellung ✔
- Amtsdauer: Der amtierende Parteikandidat ist der amtierende Präsident. ✔
- Dritte Partei: Es gibt keine signifikante Drittpartei oder unabhängige Kampagne. ✔
- Kurzfristige Wirtschaft: Die Wirtschaft befindet sich in keiner Rezession während der Wahlkampfphase. ✔
- Langfristige Wirtschaft: Das reale Pro-Kopf-Wirtschaftswachstum während der Amtszeit ist gleich geblieben oder grösser geworden im Vergleich zu den vorherigen zwei Amtszeiten. ✔
- Kurswechsel: Die amtierende Regierung hat wichtige Veränderungen in der Innenpolitik umgesetzt. ✔
- Soziale Unruhen: Es gab keine anhaltenden sozialen Unruhen während der Amtszeit. ✔
- Skandale: Die amtierende Regierung ist von einem grossen Skandal verschont geblieben. ✖
- Aussenpolitische/militärische Fehler: Die amtierende Regierung hat sich keine schwerwiegenden aussenpolitischen oder militärischen Fehler zuschulden kommen lassen ✖
- Aussenpolitische/militärische Erfolge: Die amtierende Regierung hat herausragende Erfolge in der Aussenpolitik oder in Militärangelegenheiten vorzuweisen. ✖
- Charisma des amtierenden Kandidaten: Der Kandidat der Partei, die aktuell den Präsidenten stellt, ist charismatisch oder ein Nationalheld. ✖
- Charisma des Herausforderers: Der Kandidat der Partei, die den aktuellen Präsidenten herausfordert, ist weder charismatisch noch ein Nationalheld. ✔
Am 3. November 2020 fanden in den USA die Präsidentschaftswahlen statt. Der amtierende Präsident Donald Trump konnte sein Amt nicht verteidigen. Herausforderer Joe Biden hat die Wahl für sich entschieden.
Alle aktuellen Entwicklungen zu den Wahlen und Kandidaten gibt es immer im Newsticker, und alle Artikel zum Thema finden Sie hier auf der US-Wahlen-Seite.
Am 3. November 2020 fanden in den USA die Präsidentschaftswahlen statt. Der amtierende Präsident Donald Trump konnte sein Amt nicht verteidigen. Herausforderer Joe Biden hat die Wahl für sich entschieden.
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