Verkehrte Welt. Meist stand Walter Stürm (1942–1999) einem Staatsanwalt gegenüber, der ihn wieder für einige Jahre hinter Gitter schicken wollte. In meinem Fall war es genau umgekehrt. Der Berufskriminelle sah sich bei mir, dem Blick-Gerichtsreporter, in der Rolle des Anklägers.
Ich hatte im November 1993 in einem Artikel geschrieben, dass der Bankraub-Komplize des Ausbrecherkönigs in einem Hafturlaub beim Tresorknacken erwischt worden war. Der ungeständige Stürm war deswegen bereits verurteilt worden und hatte Berufung erklärt.
Deswegen brachte ihn mein Bericht in Rage, und er stellte gegen mich Strafantrag wegen Ehrverletzung. «Der Beklagte sei schuldig zu sprechen und angemessen zu bestrafen und mir eine angemessene Genugtuung zu bezahlen», schrieb er in seiner selber abgefassten Strafanzeige.
Stürm mit Bart und Adiletten
In der Folge wurde ich ins Untersuchungsgefängnis Brig VS zum «Parteiverhör» vorgeladen. In Begleitung des Ringier-Hausjuristen Matthias Schwaibold sass ich dem bärtigen, Adiletten tragenden Ausbrecherkönig gegenüber.
Ich konnte es mir nicht verkneifen, Stürm zu fragen, ob es ihm angesichts seiner haltlosen Anzeige – er wurde später rechtskräftig zu 12 1/2 Jahren Knast verurteilt – einfach nur langweilig geworden sei. Was dieser empört von sich wies. Er verlangte sogar, dass wir das Urteil im Blick abdrucken. «Ich stehe in keinem Zusammenhang mit den Straftaten.»
«Wäre es ein Pferderennen …»
Stürm zeigte sich überaus siegessicher, den unflätigen Journalisten in die Schranken weisen zu können. Dies unterstrich er mit einem an mich adressierten Brief: «Sicher aber ist: Wenn es sich bei der kommenden Gerichtsverhandlung um ein Pferderennen handeln würde, dann würde ich nicht auf Sie und Ihren Schwaibold setzen.»
Es kam anders: Stürm zog meinen Fall durch alle Instanzen bis vor Bundesgericht. Auch dort wurde ich freigesprochen.