Die sieben Zollbeamten von Campocologno GR schoben eine eher ruhige Kugel. Sogar im letzten Jahr, als Hunderttausende via Österreich nach Deutschland flüchteten. Doch jetzt ist die Balkanroute dicht. Und das spüren auch die Beamten im Puschlav.
Die grüne Grenze des Bündner Südtals nach Italien war bislang ruhig. Eine alte Zollstrasse. Wanderwege. Schmugglerpfade. Am 10. Juni aber hat die Realität auch die Puschlaver Grenzwacht eingeholt.
1.30 Uhr, mitten in der Nacht. Beide Grenzposten, auf italienischer als auch auf Bündner Seite, sind nicht besetzt. Plötzlich irrt eine Gruppe von Nordafrikanern durch den Ortskern von Brusio GR. Ein Autofahrer informiert die Kantonspolizei. Die Beamten greifen 14 Menschen auf. Man bringt sie für den Rest der Nacht in einer Herberge in Poschiavo GR unter.
Guido Crameri, Teamchef der Grenzwacht Valposchiavo, bricht extra seine Ferien ab. «Was ich am Morgen sah, das habe ich in 37 Dienstjahren noch nicht erlebt», sagt der Grenzwächter. «Da waren zwei Mütter, eine schwanger. Sie hatten sieben Kleinkinder dabei, im Alter von zwei bis sieben Jahren. Flüchtlingsdramen kannten wir bis da nur aus dem Fernsehen.»
Drei weitere Kinder zwischen 10 und 14 Jahren sowie ein 17-Jähriger waren unbegleitet unterwegs. «Alles Eritreer», so Crameri. «Der einzige erwachsene Mann, ein 22-Jähriger, kam aus Togo. Er sprach ein paar Brocken Englisch, konnte ein wenig übersetzen.» Er wollte nach Deutschland – hatte aber keine gültigen Papiere und musste sofort nach Italien zurück. Die Eritreer suchten Asyl in der Schweiz.
«Die Menschen trugen nicht viel mehr mit sich als die Kleidung am Leib», sagt der Grenzwächter. «Sie hatten gerade mal 20 Euro Bargeld dabei. Die waren wirklich bedürftig. Sie taten mir leid.»
Seit über einem Jahr bereitet Bern landesweit den Krisenfall vor. Für die Puschlaver Beamten heisst dies: ab sofort Sonderschichten, besonders nachts. Das neu eingerichtete Dispositiv von knapp 20 Zusatzbeamten im Tessin steht nun auch den Südbündner Kollegen zur Verfügung. Ein Heli des Militärs überfliegt immer wieder die grüne Grenze.
«Wir sind auf alles vorbereitet», betont Martin Tschirren (40), Mediensprecher des Bündner Grenzwachtkorps, im Hinblick auf die europäische Entwicklung. «Jeden Tag kommen 1000 Menschen übers Mittelmeer nach Italien. Viele wollen weiter nach Nordeuropa.» Die Schweiz liegt auf ihrem Weg.
Grenzwächter Guido Crameri zückt den Feldstecher und zeigt seinem Kollegen Martin Tschirren mögliche Schlepperrouten über Campocologno. «Wenn die Flüchtlinge kommen, dann über Strasse und Schienen, vorbei am Grenzposten», erklärt Crameri. «Oder auch über den Wanderweg hier direkt oberhalb.»
Ausserdem gibts noch die alte Zollstrasse auf 1200 Metern Höhe. Oder den ehemaligen Schmugglerpfad. Beide können wegen Personalmangels nicht kontrolliert werden. Aber es seien sowieso eher unwahrscheinliche Routen, meint der Teamchef. «Sie sind steil und enden immer in der Talsohle, wo die Flüchtlinge schnell entdeckt würden.» Wer kein Asyl beantrage, sagt er, werde unverzüglich wieder an die italienische Grenze gebracht.