Wie sieht die Lage aus?
Christian Gartmann: Am Samstag hat sich die Lage entspannt. Die Flüsse führen weniger Wasser. Aber weil der Pegel wegen des vielen Gerölls höher ist, muss die Flussböschung mit schweren Steinen verstärkt werden. Bis Dienstag wird das dauern. Erst wenn die Strasse gesichert ist, kann sie als Lebensader wieder geöffnet werden.
Welche Orte sind derzeit abgeschnitten?
Soglio ist nur für die Blaulichtorganisationen erreichbar, Spino ist evakuiert. Und auch nach Bondo kommt man derzeit nicht. Dort ist die rote Zone komplett zu. In die grüne Zone dürfen die Einwohner tagsüber rein, sobald wieder ein sicherer Zugang besteht. Aber nachts müssen alle wieder raus, weil wir ohne Tageslicht keine frühe Warnung vor weiteren Murgängen haben. Wenn es Alarm gibt, hat man nur vier Minuten Zeit. Die Armee richtet nun für unsere Alarmierung ein eigenes Kommunikationsnetz ein. Sie ist unser Auge und unser Ohr.
Wie geht es den Menschen in Bondo?
Die meisten sagen: Zusammen schaffen wir das. Hier im Tal hält man zusammen. Aber da und dort ist die Niedergeschlagenheit gross. Es gibt Familien aus der roten Zone, die alles verloren haben. Die Menschen flüchteten teilweise ohne alles aus ihrem Haus. Man kann ihnen vielleicht den materiellen Schaden ersetzen, vieles wurde aber zerstört, was man nicht mit Geld aufwiegen kann.
Was geschieht nun mit diesen Menschen?
Den Evakuierten hat die Gemeinde Ersatzwohnungen vermittelt. Für sie ist die Situation ein totaler Schock. Alte Menschen, die nicht wissen, wie es weitergeht. Manche Unternehmer haben alles verloren. Die Werkstatt des Mechanikers ist mit Schlamm gefüllt, das Holz des Schreiners ist davongeschwommen. Sie stehen geschäftlich vor dem nichts. Aber man fand unbürokratische Lösungen. So boten Konkurrenten aus anderen Tälern an, dass sie fürs Erste bei ihnen arbeiten können.
Zeichnet diese Solidarität die Bergeller aus?
Man hilft sich gegenseitig, denn jeder kennt jeden. Das zeichnet das Zusammenleben im Tal aus. Für viele ist die Situation sehr dramatisch. Manche Betroffene werden darum von ihren Angehörigen abgeholt, damit sie mal von der ganzen Situation weg- und etwa unten in Chur auf andere Gedanken kommen. Aber die Leute lassen sich nicht unterkriegen.
Wie geht es mit dem Dorf weiter? Wird Bondo wieder so sein wie früher?
Das hat mit den Gefahrenzonen zu tun. Im neuen und stark betroffenen Dorfteil muss man grundsätzlich abklären, was daraus werden soll. Will man diesen Teil weiter besiedeln, muss man ihn besser schützen? Wenn das geklärt ist, kann man mit dem Wiederaufbau beginnen. Das historische Bondo, das unversehrt blieb, wird sicher wieder aufleben. Es ist eines der schönsten Dörfer Europas, das Leben wird nach Bondo zurückkehren. Die Menschen kommen wieder auf die Füsse.
Wann dürfen die Einwohner wieder in ihre Häuser zurückkehren?
In der roten Zone kann man das nicht sagen. In der grünen Zone muss man warten, bis das Auffangbecken leer gebaggert ist. Erst dann ist wieder eine gewisse Sicherheit da. Im Moment ist das Becken aber bis oben voll. Ohne Regen und weitere Murgänge geht es sicher mindestens einen Monat, bis es leer ist. So lange darf niemand zurück.
Und wie sieht es mit dem Alltagsleben aus, funktioniert etwa die Kanalisation?
Die Leute von der Gemeinde haben geprüft, ob das Frischwasser läuft. Auch die Kanalisation scheint in Ordnung zu sein. Die Armee hat zwei Löschwasserbecken geliefert. Falls es im abgeschnittenen Ort zu einem Brand kommen sollte.