Weltweit zweiter Fall
Patient möglicherweise von HIV geheilt

Es wäre eine medizinische Sensation: Ein HIV-Patient könnte nach einer besonderen Behandlung wieder gesund sein.
Publiziert: 05.03.2019 um 13:52 Uhr
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Aktualisiert: 06.03.2019 um 09:37 Uhr
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Timothy Ray Brown wurde als «Berlin-Patient» bekannt und war der erste Mensch, der von HIV geheilt wurde.
Foto: AP

Möglicherweise ist ein HIV-Patient mit Hilfe einer besonderen Therapie geheilt worden. Bei dem vormals Infizierten sind 34 Monate nach einer speziellen Stammzelltransplantation keine Viren mehr nachweisbar. Das berichten Mediziner des University College London im Fachblatt «Nature».

Sollte der Aidserreger auch in den kommenden Jahren nicht zurückkehren, wäre es erst der zweite Patient weltweit, der als von HIV geheilt gilt. Noch sei es für ein solches Fazit aber zu früh, schreiben die britischen Mediziner. Die Therapie kommt nur für eine sehr kleine Zahl von HIV-Infizierten in Frage.

Dem Patient waren blutbildende Stammzellen transplantiert worden, weil er an einer Art von Lymphdrüsenkrebs litt. Das Besondere daran: Der Spender hat in seinem Erbgut eine sehr seltene Mutation, die ihn immun gegen bestimmte Formen des HI-Virus macht. Davon profitierte nun auch der Patient.

16 Monate nach der Transplantation setzte er Medikamente ab, die die Vermehrung des HI-Virus unterdrücken. Wiederum eineinhalb Jahre später war der Erreger noch immer nicht bei ihm nachweisbar.

Ähnliche Behandlungsmethode war 2007 erfolgreich

Eine ähnliche Behandlungsmethode war das erste Mal 2007 in Berlin erfolgreich. Bei Timothy Ray Brown, der als «Berlin-Patient» in die wissenschaftliche Literatur einging, war 1995 eine HIV-Infektion diagnostiziert worden. Mehr als ein Jahrzehnt konnte die Krankheit mit Medikamenten in Schach gehalten werden. 2006 wurde bei dem US-Amerikaner allerdings auch noch Leukämie festgestellt.

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Sein Arzt, Gero Hütter schlug daraufhin eine Stammzelltransplantation vor. Eine derartige Transplantation kommt dann in Frage, wenn eine Chemotherapie keine Option mehr ist. Allerdings ist sie riskant. Das Immunsystem des Patienten muss zunächst komplett ausgeschaltet werden.

Mediziner Hütter hatte dabei allerdings eine revolutionäre Idee: Er suchte einen Knochenmarkspender für Brown mit einer äusserst seltenen genetischen Mutation, durch die das HI-Virus nicht in Körperzellen eindringen kann. Normalerweise braucht das Virus den sogenannten CCR5-Rezeptor, um an Zellen anzudocken.

Nur 1,5 Prozent der Europäer sind immun

Bei einer bestimmten genetischen Veränderung bleibt diese Eintrittstür in die Zelle aber verschlossen. Gerade einmal knapp 1,5 Prozent der Nordeuropäer verfügen über diese Mutation, die sie gegen die meisten HIV-Varianten immun macht. Doch es fand sich ein passender Spender und das Experiment gelang: Brown gilt nach der Stammzellspende als HIV-frei - und das bis heute.

Auf ähnliche Ergebnisse dürfte nun auch das Team um den britischen Immunologen Ravindra Gupta hoffen. Auch ihr Patient erhielt eine Stammzelltransplantation von einem Spender mit der seltenen CCR5-Mutation. Allerdings sei die Behandlung hier wesentlich weniger aggressiv ausgefallen, da das Immunsystem des Patienten nicht komplett ausgeschaltet werden musste, betonen die Autoren.

Eine Heilung von HIV auf breiter Front ist aber durch die Methode Experten zufolge nicht zu erwarten. Bei der Knochenmarkstransplantation handle es sich um einen starken Eingriff, der mit schweren Nebenwirkungen einhergehen kann, wie Gerd Fätkenheuer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, sagte. 

«Damit kommt sie für die alleinige Therapie der HIV-Infektion nicht infrage, sondern nur dann, wenn zusätzlich eine Krebserkrankung vorliegt, die mittels Stammzelltransplantation heilbar ist. Es müssen also schon sehr spezielle Bedingungen gegeben sein.»

Weitere Erfolge möglich

Für Georg Behrens, Präsident der Deutschen Aids-Gesellschaft, sind die Ergebnisse dennoch sehr vielversprechend: «Diese Behandlung ist zwar sehr experimentell, bringt uns aber dennoch voran, da sie für eine begrenzte Zahl von Patienten neue Optionen erschliesst.»

Auch Gero Hütter ist optimistisch: Er ist sich sicher, dass der gleiche Verlauf wie bei Timothy Brown zu beobachten sein wird. Bei Timothy Brown sei viel über die Ursachen des Behandlungserfolges gerätselt worden.

«Der neue Patient ist nun ein Beleg dafür, dass es doch an der Transplantation lag», fasst Hütter zusammen. Er berichtet von weiteren HIV-Patienten mit einer Stammzelltransplantation, die allerdings noch antiretrovirale Medikamente bekämen – die neue Studie würde vielleicht dazu führen, dass diese abgesetzt würden. «Es ist daher durchaus möglich, dass wir in nächster Zeit von weiteren erfolgreichen Fällen erfahren», sagt Hütter.

Der Berlin-Patient habe Türen aufgestossen, denn bis dahin galt eine Heilung von HIV als ausgeschlossen. So habe er etwa den Startschuss für Studien im gentherapeutischen Bereich gegeben - wenn auch bislang ohne Durchbruch.

Doch die Idee, dass einem HIV-positiven Patienten Stammzellen entnommen und dann gentechnisch verändert wieder zurücktransplantiert werden, hat auch für Mediziner Behrens grosses Potenzial, da sie ein wesentlich schonenderes Verfahren darstellen würde.

Denn die Transplantation von Stammzellen, so Behrens, berge nach wie vor grosse Risiken und sei entsprechend nur bei Patienten mit einer lebensbedrohlichen Indikation denkbar. Zudem sei es äusserst schwierig, einen CCR5-negativen Spender zu finden.

Dazu passt das Fazit der aktuellen Studie: So plädieren deren Autoren dafür, nun an HIV-Therapien zu forschen, bei denen die Unterdrückung des CCR5-Rezeptors im Mittelpunkt steht. (SDA)

Fast 40 Jahre HIV und Aids
  • 1981
    Am 5. Juni 1981 schlagen die US-Gesundheitsbehörden Alarm wegen des Auftretens einer selten Form der Lungenentzündung bei jungen Homosexuellen in Kalifornien.
    In den kommenden Monaten werden dieselben Symptome bei Drogenabhängigen, bei mit Transfusionen behandelten Blutern und in den USA lebenden Haitianern gefunden.
     
  • 1982
    Der Fachausdruck Aids (Acquired immune defiency syndrome) beginnt sich durchzusetzen.
     
  • 1983
    Im Januar isolieren die Forscher Françoise Barré-Sinoussi und Jean-Claude Chermann unter Leitung von Luc Montagnier ein neues Virus namens LAV, das mit Aids in Zusammenhang stehen könnte.
     
  • 1984
    Am 23. April gibt Robert Gallo bekannt, den "wahrscheinlichen" Aids-Verursacher gefunden zu haben: HTLV-III. Bei LAV und HTLV-III handelt es sich um dasselbe Virus. 1986 wird es HIV genannt.
     
  • 1985
    Der erste Prominente stirbt an Aids, der Schauspieler Rock Hudson.
     
  • 1987
    Am 20. März 1987 wird in den USA das erste Medikament zugelassen: AZT. Es hat zahlreiche schwere Nebenwirkungen.
     
  • Anfang der 90er Jahre
    Eine ganze Reihe von Prominenten stirbt an Aids, unter ihnen Queen-Frontmann Freddie Mercury, der Ballettstar Rudolf Nurejew oder der deutsche Tennisprofi Michael Westphal.
     
  • 1995/1996
    Neue Medikamente kommen auf den Markt: Die Kombinationstherapien beginnen, die sich als sehr wirksam erweisen. 1996 geht die Zahl der Aids-Toten in den USA erstmals zurück.
     
  • 1999
    Die Weltgesundheitsorganisation zählt 50 Millionen Infizierte und 16 Millionen Tote seit Beginn der Epidemie.
     
  • 2001
    Generika werden erlaubt, um den Entwicklungsländern die Herstellung von Aids-Medikamenten zu ermöglichen.
     
  • 2012
    In den USA wird das Medikament Truvada zugelassen, ein Mittel zur Prophylaxe.
     
  • 2017
    Erstmals sind laut Uno die Hälfte der Infizierten in Behandlung. 36,9 Millionen sind 2017 als infiziert gemeldet, rund 35 Millionen seit 1981 gestorben.
     
  • 2019
    Zum zweiten Mal weltweit ist ein HIV-Patient nach einer Stammzellen-Transplantation virenfrei. Die bis dato einzige anerkannte Heilung eines Aids-Patienten ist der Fall des US-Bürgers Timothy Brown, bei dem in den 90er Jahren in Berlin Aids diagnostiziert worden war.
  • 1981
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