Im Brexit-Streit leitet die Europäische Union rechtliche Schritte gegen Grossbritannien wegen Verletzung des EU-Austrittsvertrags ein. Das kündigte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag in Brüssel an.
Ihre Behörde habe an die Regierung in London ein Schreiben geschickt, das der erste Schritt in dem Vertragsverletzungsverfahren sei. Das Verfahren kann zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof führen, der Geldbussen gegen Grossbritannien verhängen könnte.
Der Ton der Pressemitteilung ist kühl: «Die Europäische Kommission hat dem Vereinigten Königreich heute ein Fristsetzungsschreiben wegen Verstosses gegen seine Verpflichtungen aus dem Rücktrittsabkommen übermittelt. Dies ist der Beginn eines förmlichen Vertragsverletzungsverfahrens gegen das Vereinigte Königreich. Das Land hat einen Monat Zeit, um auf das heutige Schreiben zu antworten», heisst es darin.
Am Dienstag abgeschmettert
Trotz aller Warnungen hatte das britische Unterhaus diese Woche für das umstrittene Binnenmarktgesetz gestimmt, mit dem Grossbritannien Teile des bereits gültigen Brexit-Deals mit der EU aushebeln will. Mit 340 zu 256 Stimmen brachte Premier Boris Johnson das Gesetz am Dienstagabend mit einer klaren Mehrheit durch das Londoner Parlament.
Das Binnenmarktgesetz – das noch vom britischen Oberhaus behandelt werden muss – wäre ein Verstoss gegen das im Vertrag festgelegte Prinzip des «guten Glaubens» und konkret gegen das Protokoll für Nordirland, sagte von der Leyen. Trotz des nun gestarteten Verfahrens werde die EU weiter auf volle Einhaltung des Austrittsvertrags pochen und sich selbst auch daran halten. «Wir stehen zu unseren Verpflichtungen», sagte von der Leyen.
«Ein Vertrauensbruch»
Die EU hatte die Pläne von Premierminister Boris Johnsons als Vertrauensbruch und Verstoss gegen internationales Recht verurteilt. Die britische Regierung bezeichnet sie hingegen als «Sicherheitsnetz» für den Fall, dass vor Jahresende kein Handelsvertrag mehr mit der EU gelingt. Sie will damit vertraglich vereinbarte Sonderklauseln für Nordirland aushebeln.
Die britische Provinz soll nach dem Vertrag enger an den EU-Binnenmarkt und die Zollunion gebunden bleiben, was Kontrollen im Güterverkehr mit dem übrigen Vereinigten Königreich nötig macht. London warnt, damit könnte Nordirland abgekoppelt werden. Im Brexit-Vertrag hatte Johnson dies jedoch akzeptiert.
Trotz des Streits über das Binnenmarktgesetz laufen diese Woche wieder Verhandlungen über den anvisierten Handelspakt beider Seiten für die Zeit nach der Brexit-Übergangsphase.
Grossbritannien ist Ende Januar aus der EU ausgetreten. Bis Ende 2020 gilt eine Übergangsregelung. Zurzeit wird verhandelt, wie das Verhältnis danach aussehen soll. Premierminister Boris Johnson wünscht sich eine vollständige Loslösung ohne weitere Zusammenarbeit. (gf/SDA)