Nawalnys Ankunft für Behandlung in Berliner Klinik
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Putin-Feind vergiftet:Nawalnys Ankunft für Behandlung in Berliner Klinik

Putin-Gegner Nawalny wird nun in Berlin behandelt
«Er ist in einem sehr besorgniserregenden Zustand»

Der russische Regimekritiker Alexej Nawalny ist nach einem mutmasslichen Giftanschlag nach Berlin geflogen, um sich in einer Spezialklinik behandelt zu lassen. Dort ist er nun eingetroffen. Seine Behandlung kann beginnen.
Publiziert: 21.08.2020 um 11:57 Uhr
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Aktualisiert: 24.08.2020 um 09:23 Uhr
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Stimme der russischen Opposition: Alexej Nawalny.
Foto: AFP

Mehrere Helfer heben vorsichtig die massive Trage aus der Maschine: Als am Samstagmorgen kurz vor neun Uhr der Rettungsflug mit Alexej Nawalny (44) in Berlin-Tegel landet, ist der Nervenkrieg um Russlands prominenten Regierungskritiker vorläufig zu Ende. Er wurde mutmasslich vergiftet – seine Angehörigen gehen von einem politisch motivierten Anschlag aus.

Ein Intensivtransporter der Bundeswehr brachte Nawalny dann unter starkem Polizeischutz in die Universitätsklinik Charité in Berlin-Mitte. Jetzt wird der 44-Jährige ausführlich untersucht und behandelt.

Der Abflug des prominenten Kremlkritikers nach Deutschland hatte sich um einige Stunden verzögert. Das in Berlin gecharterte Spezialflugzeug konnte erst am Samstagmorgen starten, teilte das Gesundheitsministerium der Region mit. Zur Begründung hiess es, die Piloten müssten gesetzliche Ruhezeiten einhalten.

«Schade, haben die Ärzte so lange gebraucht»

Der aus Slowenien stammende Filmproduzent Jaka Bizilj (48) hat auf Bitten von Nawalnys Angehörigen ein Flugzeug losgeschickt, um den im Koma liegenden Patienten von der sibirischen Stadt Omsk nach Berlin zu fliegen und in der Charité-Klinik behandeln zu lassen.

Der stellvertretende Chefarzt der Klinik in Omsk, Anatoli Kalinitschenko, sagte: «Wir haben keine Einwände gegen eine Verlegung in ein anderes Krankenhaus.» Den Zustand des Kreml-Kritikers beschrieb er als «stabil» .Nawalnys Sprecherin sagte: «Es ist schade, dass die Ärzte so lange gebraucht haben, um diese Entscheidung zu treffen.»

«Schafft ihn raus!»

Zuvor weigerten sich die Russen: Nawalnys Gesundheitszustand sei für einen Transport zu «instabil» gewesen, sagten die Ärzte in Omsk. Sie würden alles tun, «um sein Leben zu retten». Laut Nawalnys Anhängern will man aber den Regierungskritiker aus politischen Gründen nicht ausfliegen lassen.

Nawalnys Frau Julia (44) sagte: «Wir glauben, sie lassen ihn nicht raus, damit der Rest des Giftes aus seinem Körper verschwindet und die Spuren verwischt werden. Wir können diesem Spital nicht vertrauen. Wir wollen ihn in eine unabhängige Klinik transportieren, wo wir den Ärzten vertrauen.»

Leonid Volkov von Nawalnys Stab sagte: «Wir haben mit Dutzenden von Ärzten gesprochen. Alle sagen das Gleiche: An Bord eines modernen medizinischen Flugzeuges sei es sicherer, als im Spital von Omsk. Schafft ihn raus, so schnell es geht!»

Spezialisten in Berlin

Die auch auf Giftopfer spezialisierte Charité in Berlin hatte sich bereit erklärt, Nawalny aufzunehmen und zu behandeln. Das gab die Initiative «Cinema for Peace» bekannt, deren Gründer Jaka Bizilj ist. 2018 hatte er bereits geholfen, den vergifteten Putin-Kritiker Pjotr Wersilow (32) von der Punkband «Pussy Riot» nach Deutschland zu fliegen.

Nach der Behandlung durch Chefarzt Kai-Uwe Eckardt wurde Wersilow wieder gesund. Damals hiess es, das Gift habe Störungen bei der Nervenübertragung verursacht. Doch um welches Gift genau es sich handelte, konnten die Ärzte nicht mehr ermitteln.

Auch für Personal gefährlich

Im Organismus von Nawalny ist nach Angaben seines Teams ein vermutlich «tödliches Mittel» gefunden worden. Die Polizei habe den Ärzten mitgeteilt, dass sie diesen gefährlichen Stoff gefunden hätten, sagte der Chef von Nawalnys Anti-Korruptions-Fonds, Iwan Schdanow, am Freitag in Omsk. Das Gift sei demnach nicht nur gefährlich für Nawalny, sondern auch für die Umgebung, weshalb das Tragen von Schutzanzügen angewiesen worden sei, sagte er.

Spitalvertreter streiten aber eine Vergiftung ab und reden von einer «Stoffwechselstörung». Im Blut und im Urin seien weder Gift noch Spuren davon nachgewiesen worden, sagte der Vize-Chefarzt Anatoli Kalinitschenko. «Wir gehen nicht davon aus, dass der Patient eine Vergiftung erlitten hat.»

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Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (66) und der französische Präsident Emmanuel Macron (42) äusserten sich beide äusserst besorgt über den Gesundheitszustand des Putin-Kritikers. Merkel sprach von einem «sehr besorgniserregenden Zustand». Macron bot seinerseits die Hilfe Frankreichs an. «Wir sind bereit, jede mögliche Hilfestellung zu leisten – in gesundheitlicher Weise und in Hinblick auf Asyl», sagte er. Beide forderten zudem eine Aufklärung der Umstände von Nawalnys Erkrankung.

Vergifteter Tee am Flughafen?

Der Oppositionelle war zu Recherchen in Sibirien unterwegs. Vor der Abreise sei es ihm noch gut gegangen, sagte seine Sprecherin Kira Jarmysch. Am Flughafen in Tomsk habe er noch eine Tasse schwarzen Tee getrunken. Während des Flugs habe er sich dann unwohl gefühlt und noch an Bord das Bewusstsein verloren.

Das Flugzeug auf dem Weg nach Moskau landete dann wegen des Notfalls in Omsk. Dann wurde Nawalny ins Spital gebracht. Dort habe das Team auch die Polizei alarmiert, sagte Jarmysch.

Nawalnys Stiftung deckt immer wieder Fälle von Korruption und den dekadenten Lebensstil von Vertretern der russischen Elite auf. Die Enthüllungen erfolgen vor allem über das Internet. Der Regimekritiker wurde schon mehrfach festgenommen und zu Haftstrafen verurteilt. Derzeit bereist er Russland, um die Wahl von Putin-Unterstützern bei Regionalwahlen im September zu verhindern.

Mehrmals angegriffen

Nawalny war in der Vergangenheit bereits mehrfach attackiert worden. 2017 wurde er am Auge verletzt, als Angreifer ihn vor seinem Büro mit einer antiseptischen grünen Flüssigkeit besprühten. Im August vergangenen Jahres erlitt Nawalny in Polizeigewahrsam Hautausschläge und sein Gesicht schwoll an. Ärzte im Krankenhaus sagten anschliessend, er habe eine allergische Reaktion erlitten, doch Nawalny forderte Ermittlungen wegen Vergiftung.

Und wie reagiert der russische Präsident Wladimir Putin (67)? Der Kreml betonte, dass es eine Untersuchung durch die Polizei geben werde, sollte sich der Verdacht auf eine Vergiftung bestätigen. «Wie jeden Bürger unseres Landes wünschen wir ihm baldige Genesung», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. (gf/man/SDA/szm/kes/ct)

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