Zoff um Osterausflug von Johnsons Chef-Berater
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Tritt Cummings heute zurück?Zoff um Osterausflug von Johnsons Chef-Berater

Zoff um Boris Johnsons Berater
Dominic Cummings tritt nicht zurück

Obwohl selbst Parteifreunde seinen Rücktritt fordern, hält Boris Johnson fest zu Dominic Cummings. Nun äusserte sich der ungehorsame Chef-Berater selbst.
Publiziert: 25.05.2020 um 12:15 Uhr
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Aktualisiert: 25.05.2020 um 19:23 Uhr
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Ein Osterausflug von Chef-Berater Dominic Cummings wird zum handfesten Regierungsskandal.
Foto: DUKAS
Fabienne Kinzelmann

430 Kilometer spalten die Briten. Das ist die Strecke, die Johnsons Chef-Berater Dominic Cummings (48) Ende März mit seiner Familie von London nach Durham im Nordosten Englands zurücklegte – während landesweit eine strenge Ausgangssperre galt. Nach eigenen Angaben hatte Cummings auf dem Grundstück seiner Eltern ein separates Haus bezogen und sich dort selbst isoliert.

Cummings sei seinen väterlichen Pflichten gefolgt. So rechtfertigte Briten-Premier Boris Johnson (55) die illegale Reise am Sonntag. Cummings habe «verantwortungsvoll, legal und mit Integrität» gehandelt, als er nach Durham gefahren war, um die Betreuung seines Kindes sicherzustellen, nachdem seine Frau an Covid-19 erkrankt war und er selbst mit einer Ansteckung rechnen musste.

Nachbarn beschimpfen Johnsons Chef-Berater

Hier könnte die Geschichte enden – wenn der Mann nicht Cummings wäre, umstrittener Architekt der Brexit-Kampagne und von Johnsons Wahlkampf. Und wenn er nicht am Ostersonntag am Barnard Castle, einem beliebten Ausflugsziel in der Grafschaft Durham, gesehen worden wäre. Das berichten britische Medien unter Berufung auf Augenzeugenberichte. Stimmt das, hätte Cummings wohl nicht nur die Ausgangssperre, sondern auch die Quarantäne-Auflagen verletzt, da er kurz nach seiner Ankunft in Durham selbst erkrankt war.

Das bringt nicht nur Cummings in Erklärungsnot, sondern auch seinen Chef. Der Eklat um den Osterausflug ist längst ein handfester Regierungsskandal. Die Wut der Briten geht so weit, dass sie Cummings persönlich verfolgen. Ein Twitter-Video zeigt, wie Nachbarn den Chefberater beschimpfen. Abgeordnete aus allen Lagern sehen in der Affäre die Chance, den unliebsamen Berater endlich loszuwerden – und Pannen-Boris eins auszuwischen.

Boris Johnson macht seit Beginn der Corona-Krise keine gute Figur. Erst setzte der Briten-Premier auf Herdenimmunität, dann besserte er angesichts der Todeszahlen eilig nach und verhängte eine strenge Ausgangssperre. Doch die Katastrophe war nicht mehr aufzuhalten: Das Vereinigte Königreich verzeichnet mit 36'793 Verstorbenen europaweit die meisten Corona-Toten. Und während die Briten ihre Grenzen frei nach dem Motto, auf ein paar eingeschleppte Infektionen komme es auch nicht an, stets offen liessen, soll nun plötzlich ab 8. Juni eine 14-tägige Quarantäne für alle Einreisenden gelten. Auch hinter diesem Vorstoss, der die Briten um ihren Sommerurlaub am Mittelmeer fürchten lässt, soll Cummings stecken.

Selbst Konservative fordern Cummings Absetzung

Während Johnson an Cummings festhält, tingeln selbst seine Parteikollegen durch die Fernsehstudios, um öffentlich die Absetzung des Chef-Beraters zu fordern. Ex-Brexit-Minister Steve Baker etwa sagte, dass Cummings «gehen muss», auch der frühere Staatssekretär Paul Maynard nannte das Verhalten des Chef-Beraters «völlig unhaltbar». Der Abgeordnete Damian Collins attestiere Cummings eine «Erfolgsbilanz im Glauben, dass die Regeln für ihn nicht gelten» und sein Kollege Peter Bone schlussfolgerte: «Wenn der Berater zur Geschichte wird, muss dieser Berater gehen.»

Auch die Kirche mischt im Zoff mit. Der Premier behandle die Menschen «wie Trottel» und «ohne Respekt», twitterte der Bischof von Leeds, Nicholas Baines. Ausser ihm kritisierten noch viele andere Geistliche der Kirche von England Johnsons und Cummings Verhalten.

Für Aufsehen sorgte am Sonntag auch eine ungewöhnlich kritische Bemerkung über Premierminister Boris Johnson vom offiziellen Twitter-Account der britischen Berufsbeamten (Civil Service). Darin hiess es: «Arrogant und beleidigend. Können Sie sich vorstellen, wie es ist, mit diesen Wahrheitsverdrehern zusammenzuarbeiten?» Der Tweet bezog sich offenbar auf die Pressekonferenz, in der Johnson seinen Top-Berater verteidigt hatte.

Johnsons Beliebtheitswerte sind im Keller

Die Regierung kündigte an, dem kritischen Tweet nachzugehen. «Ein nicht autorisierter Tweet wurde heute Abend von einem Regierungskanal gesendet. Die Nachricht wurde entfernt und wir untersuchen die Angelegenheit.» Doch damit handelte sie sich noch mehr Spott ein. Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling antwortete darauf: «Wenn Sie rausgefunden haben, wer es war, lassen Sie es uns wissen, ich will denen ein Jahresgehalt geben.» Ex-Fussballstar und BBC-Moderator Gary Lineker twitterte: «Eine nicht autorisierte Reise wurde von einem Regierungsberater unternommen. Der Berater wird nicht entfernt und wir untersuchen die Angelegenheit nicht.»

Der Skandal hat die Briten und ihren Premier fest im Griff. Und es kommen immer mehr Details ans Licht. Jüngsten Berichten zufolge soll Cummings gar ein zweites Mal ins 430 Kilometer entfernte Durham gefahren sein. Ein Augenzeuge will ihn dort am 19. April gesehen haben. Die Regierung streitet das bislang ab. Wie lang Johnson noch an seinem Chef-Berater festhalten kann, ist allerdings fraglich. Die Beliebtheitswerte des Briten-Premiers sind im Sinkflug. Laut dem britischen Meinungsforschungsinstitut «YouGov» sehen ihn nur noch 39 Prozent positiv – 43 Prozent haben eine negative Meinung.

So erklärt Cummings den Osterausflug

Am Montagnachmittag äusserte sich Cummings endlich selbst zur Affäre. Um 16.35 Uhr (Ortszeit) tritt er mit ordentlich Verspätung vor dem Regierungssitz in der Downing Street 10 vor die Kameras. «Entschuldigen Sie meine Verspätung», beginnt er kleinlaut. Er habe den Premierminister umfassend über seine Aktivitäten in Durham informiert. Sein Statement liest er komplett vom Blatt ab.

Er wiederholt seine Geschichte ausführlich: Er habe Ende März, als seine Frau erkrankte, keine andere Möglichkeit gesehen, als sich mit seiner Familie selbst zu isolieren als auf dem Grundstück seiner Eltern – insbesondere, falls er selbst starke Symptome entwickeln sollte. «In London haben wir niemanden, der auf unseren Sohn aufpassen könnte.» Zudem habe er seine Familie vor Angriffen schützen wollen.

Cummings gibt zu, dass er den Schritt nicht vorab mit Johnson abgesprochen hatte. «Er war ja selbst krank.» Dies wäre allerdings ein Fehler gewesen.

Kurz nach der Ankunft in Durham habe er selbst starke Symptome entwickelt. Er und seine Familie hätten nach ihrer Genesung ausschliesslich Spaziergänge auf dem privaten Gelände seiner Eltern unternommen, sagt Cummings.

Und der Osterausflug, bei dem ihn mehrere Augenzeugen sahen? Auch dafür hat Cummings eine Erklärung parat. Er habe am 12. April – 15 Tage nach Symptombeginn – wieder an seinen Arbeitsplatz in London zurückkehren wollen. Nur um zu prüfen, ob er fit genug zum Autofahren sei, habe er den Ausflug zum Barnard Castle unternommen.

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