Vom gleichen Hafen, in dem sie am Samstag anlegte, verliess Carola Rackete (31) am Montag Lampedusa. In der sizilianischen Stadt Agrigento wurde die Kapitänin der Sea-Watch 3 von Ermittlungsrichtern befragt.
Die gute Nachricht: Offenbar will die Staatsanwaltschaft nur ein Aufenthaltsverbot für Rackete verlangen. Das hatte wenige Stunden zuvor noch anders geklungen. Für Beihilfe zur illegalen Einwanderung, Verletzung des Seerechts und Widerstand gegen die Staatsgewalt drohten bis zu zehn Jahre Haft und eine Geldstrafe von 50'000 Euro. Dieses Strafmass hatte Rackete vor Augen, als sie trotz Verbot in den Hafen von Lampedusa einfuhr. Was geht in jemandem vor, der seine eigene Zukunft für 40 Flüchtlinge riskiert?
Die Kapitänin war enormem Stress ausgesetzt
Einer, der es wissen muss, ist Sea-Watch-Sprecher Ruben Neugebauer. Das Handy des 30-Jährigen klingelt seit Racketes Verhaftung im Minutentakt. Alle wollen jetzt wissen: Wie geht es Rackete und was passiert mit ihr? Neugebauer kennt Rackete seit 2016 – da stiess die Norddeutsche zur Hilfsorganisation Sea-Watch, die Neugebauer mit aufgebaut hat.
Der schicksalsträchtige Einsatz auf dem Mittelmeer war ihr sechster. «Ich habe Caro noch nie so besorgt erlebt», sagt Neugebauer. 17 Tage war sie mit den geretteten Menschen auf dem Meer, die Sonne brannte erbarmungslos – und eine Lösung war nicht in Sicht. Eine enorme Stresssituation für die Kapitänin. «Kein einziger europäischer Staat wollte die Verantwortung übernehmen. Das war ein akuter Notstand.»
Neugebauer steht hinter Racketes Entscheidung, sich dem Verbot der italienischen Behörden aus Rücksicht auf das Wohl ihrer Passagiere zu widersetzen. «Ich kenne wenige Menschen, die so überlegt handeln. Sie weiss, was sie tut, und hat einen guten moralischen Kompass.» Rackete selbst machte in einem Interview klar, woran sie ihre Entscheidungen misst: «Wenn uns nicht die Gerichte freisprechen, dann die Geschichtsbücher.»
Rackete sorgte sich um die Sicherheit ihrer Passagiere
Rackete wurde in der Nähe von Kiel geboren und wuchs in Niedersachsen auf. Nach dem Abitur studierte sie Nautik. Als Kapitänin habe Rackete die Verantwortung für ihre Crew und ihre Passagiere, erklärt Neugebauer. Er koordiniert Einsätze von Sea-Watch, flog selbst mit einem Aufklärungsflugzeug über das Mittelmeer. Die Flüchtlinge seien häufig traumatisiert, manche hätten Folterlager erlebt. Auf See würden sie durchdrehen. «Viele haben angedroht, über Bord zu springen. Wir haben das schon erlebt – das ist eine extrem gefährliche Situation, oft können die Menschen nicht schwimmen.»
Racketes Sorge habe den Menschen an Bord gegolten. «Erst als sie an Land gingen, konnte sie wieder lachen», erzählt Neugebauer. Weil Rackete aktuell unter Hausarrest steht, hat er nur über einen Anwalt Kontakt mit seiner Kollegin. Es gehe ihr aber «den Umständen entsprechend» gut.
Das erzählte auch Racketes Vater Ekkehart Rackete (74) einer Lokalzeitung. Der pensionierte Ingenieur war beim Militär, Sorgen macht er sich um seine Tochter nicht. Da habe es schon ganz andere Situationen gegeben – etwa als die abenteuerlustige Rackete durch China getrampt sei und auf der Chinesischen Mauer gezeltet habe.