Der Reformer ist nun selbst Despot. Daniel Ortega ging einst selbst gegen den Diktator Somoza auf die Barrikaden. Seit er an der Macht sitzt, geht er gegen alle vor, die gegen seine Sozialreform demonstrieren. Mit Entsetzen schaut die Zürcherin Olivia Heussler nach Nicaragua. Das Land, das sie mal bewunderte.
Frau Heussler, einst kämpfte Daniel Ortega in der Opposition gegen die Ungerechtigkeit. An der Macht, metzelt er nun selber seine Gegner nieder. Was geht Ihnen dabei durch den Kopf?
Ich bin immens enttäuscht, obwohl es voraussehbar war. Ortega und sein Clan haben immer Einfluss genommen, unter anderem auf die Medien und die Wirtschaft. Das Land erlebte einen so grossen Aufschwung, nun bricht alles zusammen.
Was hat den Ausschlag für diesen Wandel gegeben?
Es begann schon in den 90er-Jahren, als Ortega mit der starken Kirche und den Ex-Contras einen Pakt einging. Als er 2006 erneut an die Macht kam, wurde er noch extremer. Plötzlich wurden die von Ortegas Sandinisten erkämpften Frauenrechte wieder beschnitten. Ortega erhält dabei Unterstützung von seinem Freund Nicolas Maduro, dem Staatspräsidenten Venezuelas.
In Nicaragua brodelt es. Der Volkszorn richtet sich gegen Präsident Daniel Ortega (72) und seine Ehefrau Rosario Murillo (67) – die gleichzeitig Ministerpräsidentin ist. Seit April kommt es immer wieder zu Unruhen. Weit über 300 Menschen sind dabei schon ums Leben gekommen.
Gestern war der 39. Jahrestag der sandinistischen Revolution. 1979 hatte Ortegas Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) das Regime von Diktator Anastasio Somoza Debayle (†54) gestürzt. Dessen Familie hatte das mittelamerikanische Land seit den 1930er-Jahren beherrscht, mit US-amerikanischer Unterstützung.
Guerilla-Anführer Ortega regierte zunächst als Kopf einer kommunistischen Regierungsjunta. 1985 wurde er zum Staatspräsidenten gewählt. Schon 1990 wurde er allerdings wieder abgewählt. 2006 schliesslich trat er ein zweites Mal zur Wahl an, wurde gewählt und seither zweimal im Amt bestätigt. Seine Regierung betreibt hemmungslos Vetternwirtschaft: Nicht nur seine Frau, sondern auch viele seiner Kinder und sonstige Verwandte haben Regierungsposten inne.
Besonders kommunistisch regiert Ortega auch nicht mehr: Die jüngsten, anfänglich friedlichen Proteste richteten sich zunächst gegen eine Sozialreform mit Rentenkürzungen. Diese wurde zwar wieder rückgängig gemacht, was die Demonstranten aber nicht mehr besänftigte. Zudem giesst die Brutalität der Polizei im Umgang mit Demonstranten immer wieder Öl ins Feuer. Mittlerweile fordern seine Gegner nur noch den Rücktritt des autoritären Präsidenten.
Sogar der frühere uruguayische Präsident José Mujica (83), auch er ein Ex-Guerillero, kritisiert Ortega: «Was einst ein Traum war, ist zur Autokratie verkommen. Und wer gestern Revolutionär war, hat das Gespür verloren, wann der Moment zum Abtreten gekommen ist.»
Ans Abtreten denkt Ortega tatsächlich nicht. Vor dem Revolutionstag blies er zum Angriff auf die Hochburg des Widerstands, die 30 Kilometer südlich der Hauptstadt Managua liegende Ortschaft Masaya. Über tausend mit Sturmgewehren bewaffnete Polizisten und Paramilitärs drangen dort ein. Die Gegner widersetzten sich mit selbst gebastelten Bomben.
Als Reaktion auf diese Gewalt überprüft die Schweiz ihr Engagement in Nicaragua. «Die Deza hat eine Denkpause eingelegt», sagt das EDA auf Anfrage von BLICK. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) behandelte Nicaragua bisher als Schwerpunktland. (noo)
In Nicaragua brodelt es. Der Volkszorn richtet sich gegen Präsident Daniel Ortega (72) und seine Ehefrau Rosario Murillo (67) – die gleichzeitig Ministerpräsidentin ist. Seit April kommt es immer wieder zu Unruhen. Weit über 300 Menschen sind dabei schon ums Leben gekommen.
Gestern war der 39. Jahrestag der sandinistischen Revolution. 1979 hatte Ortegas Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) das Regime von Diktator Anastasio Somoza Debayle (†54) gestürzt. Dessen Familie hatte das mittelamerikanische Land seit den 1930er-Jahren beherrscht, mit US-amerikanischer Unterstützung.
Guerilla-Anführer Ortega regierte zunächst als Kopf einer kommunistischen Regierungsjunta. 1985 wurde er zum Staatspräsidenten gewählt. Schon 1990 wurde er allerdings wieder abgewählt. 2006 schliesslich trat er ein zweites Mal zur Wahl an, wurde gewählt und seither zweimal im Amt bestätigt. Seine Regierung betreibt hemmungslos Vetternwirtschaft: Nicht nur seine Frau, sondern auch viele seiner Kinder und sonstige Verwandte haben Regierungsposten inne.
Besonders kommunistisch regiert Ortega auch nicht mehr: Die jüngsten, anfänglich friedlichen Proteste richteten sich zunächst gegen eine Sozialreform mit Rentenkürzungen. Diese wurde zwar wieder rückgängig gemacht, was die Demonstranten aber nicht mehr besänftigte. Zudem giesst die Brutalität der Polizei im Umgang mit Demonstranten immer wieder Öl ins Feuer. Mittlerweile fordern seine Gegner nur noch den Rücktritt des autoritären Präsidenten.
Sogar der frühere uruguayische Präsident José Mujica (83), auch er ein Ex-Guerillero, kritisiert Ortega: «Was einst ein Traum war, ist zur Autokratie verkommen. Und wer gestern Revolutionär war, hat das Gespür verloren, wann der Moment zum Abtreten gekommen ist.»
Ans Abtreten denkt Ortega tatsächlich nicht. Vor dem Revolutionstag blies er zum Angriff auf die Hochburg des Widerstands, die 30 Kilometer südlich der Hauptstadt Managua liegende Ortschaft Masaya. Über tausend mit Sturmgewehren bewaffnete Polizisten und Paramilitärs drangen dort ein. Die Gegner widersetzten sich mit selbst gebastelten Bomben.
Als Reaktion auf diese Gewalt überprüft die Schweiz ihr Engagement in Nicaragua. «Die Deza hat eine Denkpause eingelegt», sagt das EDA auf Anfrage von BLICK. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) behandelte Nicaragua bisher als Schwerpunktland. (noo)
Warum hat sich Ortega so verändert?
Er war schon immer ein machtbeflissener Mensch, der von seiner esoterisch veranlagten Frau Rosario Murillo beeinflusst wird. Sie ist es, die die Fäden zieht und sich selber einen wichtigen Ministerposten geschaffen hat. Ich kenne sie persönlich, sie war in den 80er-Jahren bei der Kulturarbeitergewerkschaft meine Chefin. Schon damals hat sie sich immer eingemischt.
Die neuesten Unruhen sind vor allem auf die von Ortega angestrebte Rentenreform zurückzuführen. Was ist daran so schlecht?
Viele Arme müssten mit Rentenkürzungen rechnen. Um die Finanzen zu sanieren, bräuchte es eine Umverteilung. Es gibt viele Reiche im Land. Auch das Gesundheitswesen bräuchte eine Reform, immer mehr Leute können sich Medikamente oder den Arztbesuch nicht mehr leisten.
Wer gehört zur Opposition?
Es sind vor allem Junge aus studentischen Kreisen, aber auch viele Arme. Was fehlt, ist eine Bündelung der Kräfte. Sie sind zu wenig gut organisiert. Sie haben keine Anführer, die die Opposition koordinieren könnten.
Mit welchen Mitteln kämpfen sie gegen das Regime?
Sie verbarrikadieren sich in Ortschaften, damit sie selber über sich entscheiden können. Doch Ortegas Regime fährt sehr hart ein. Es schliesst Schulen, richtet Gegner gezielt mit Kopfschüssen hin und zündet Handwerkerbetriebe an. Die Menschen haben immer weniger Rec hte.
Die Fotografin Olivia Heussler (60) aus Zürich ist Nicaragua-Fan und Kennerin des mittelamerikanischen Landes. Während eines Aufenthalts in Costa Rica erfuhr die junge Arztgehilfin 1978 viel über das nördliche Nachbarland, das sich im Krieg gegen die Diktatur befand. Sie interessierte sich dafür, wie sich die verschiedenen Kräfte bündelten, aber auch wie sich später die Frauenrechte sehr schnell entwickelten. Von 1984 bis 1987 lebte sie im Land und arbeitete für NGOs und die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit.
Olivia Heussler verliebte sich in ihren Assistenten und heiratete ihn. Er lebt heute wieder in seiner Heimat – sie mit ihrer gemeinsamen Tochter (20) in Zürich. Die Fotografin bereist das Land seither praktisch jedes Jahr, hat auch das Buch «Der Traum von Solentiname» (Edition Patrick Frey, 2009) herausgegeben. Nach dem Hurrikan Mitch, der 1998 in Mittelamerika gegen 20’000 Todesopfer forderte, sammelte sie Geld für Schulprojekte. Dank ihrer Hilfe seien bisher fünf kleine Schulgebäude in Norden des Landes erstellt worden. Nach den jüngsten Auseinandersetzungen ist sie beunruhigt: «Ich habe Angst, dass die Regierung die Schulen schliessen wird.»
Die Fotografin Olivia Heussler (60) aus Zürich ist Nicaragua-Fan und Kennerin des mittelamerikanischen Landes. Während eines Aufenthalts in Costa Rica erfuhr die junge Arztgehilfin 1978 viel über das nördliche Nachbarland, das sich im Krieg gegen die Diktatur befand. Sie interessierte sich dafür, wie sich die verschiedenen Kräfte bündelten, aber auch wie sich später die Frauenrechte sehr schnell entwickelten. Von 1984 bis 1987 lebte sie im Land und arbeitete für NGOs und die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit.
Olivia Heussler verliebte sich in ihren Assistenten und heiratete ihn. Er lebt heute wieder in seiner Heimat – sie mit ihrer gemeinsamen Tochter (20) in Zürich. Die Fotografin bereist das Land seither praktisch jedes Jahr, hat auch das Buch «Der Traum von Solentiname» (Edition Patrick Frey, 2009) herausgegeben. Nach dem Hurrikan Mitch, der 1998 in Mittelamerika gegen 20’000 Todesopfer forderte, sammelte sie Geld für Schulprojekte. Dank ihrer Hilfe seien bisher fünf kleine Schulgebäude in Norden des Landes erstellt worden. Nach den jüngsten Auseinandersetzungen ist sie beunruhigt: «Ich habe Angst, dass die Regierung die Schulen schliessen wird.»
Was braucht es, damit das Land zur Ruhe kommt?
Ortega muss zurücktreten – und mit ihm seine ganze Crew. Es braucht zwingend und schnell Neuwahlen, damit sich das Land zu einer Demokratie entwickeln kann. Es wird alles nur noch schlimmer, wenn das nicht passiert.
Ortega wird wohl kaum von sich aus zurücktreten. Wie kann dem Volk von Nicaragua sonst geholfen werden?
Man muss sich einmischen: die Uno, die EU, die USA. Am ehesten kann man Druck über die Entwicklungszusammenarbeit ausüben. Es stehen grosse Projekte wie Staudämme und Kraftwerke an, auf die Nicaragua angewiesen ist.
Was kann die Schweiz machen?
Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit hat bereits Zahlungen unterbrochen und überprüft die Kooperation. Die Schweiz kann weiterhin über die internationalen Organisationen Einfluss ausüben.
Sie haben in Nicaragua gelebt und das Land regelmässig besucht. Was fasziniert Sie so an diesem Land?
Ich war nie ein Fan von Ortega. Ich habe sein Machtspiel schon immer durchschaut. Mich fasziniert viel mehr, wie sich im Land verschiedene Strömungen gebündelt haben, um ein diktatorisches Regime zu vertreiben.