Saudi-Experte Thomas Lippman kannte Khashoggi (†59)
«Er würde sich niemals mit 15 Menschen prügeln»

Jamal Khashoggi (†59) ist tot. Saudi-Arabien hat am Freitagabend seine Tötung bestätigt und damit ihre offizielle Version geändert. Wie glaubwürdig ist die Darstellung eines «Kampfes» innerhalb des Istanbuler Konsulats und was steckt wirklich hinter dieser Kehrtwende? BLICK sprach mit zwei Saudi-Experten.
Publiziert: 20.10.2018 um 15:04 Uhr
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Aktualisiert: 22.10.2018 um 14:47 Uhr
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Saudi-Experte Jean-François Seznec glaubt, dass die saudische Regierung mit dem Teil-Geständnis die Reissleine zog. «Ihre Glaubwürdigkeit hat in den USA und in Europa gelitten. Das sind sehr wichtige Partner für die Saudis. Sie haben in diese Beziehungen in den vergangenen Jahren enorm viel investiert. Das wollen sie nicht kaputtmachen.»
Foto: KEYSTONE
Nicola Imfeld, San Diego

Neue Wende im Fall Khashoggi: Saudi-Arabien hat am Freitagabend die Tötung des Journalisten Jamal Khashoggi (†59) im Istanbuler Konsulat bestätigt. Er sei bei einem «Kampf» ums Leben gekommen.

US-Präsident Donald Trump (72) reagierte kleinlaut auf die neuste Version der Saudis. Er bezeichnete sie als «glaubwürdig», obwohl türkische Ermittler offenbar im Besitz von Tonaufnahmen sind, die die brutale Ermordung Khashoggis durch ein 15-köpfiges Mordkommando belegen sollen. Sogar Parteifreunde von Trump glauben der neusten Darstellung nicht. Einige forderten gar ein Stopp der Waffenexporte in den Golf-Staat

BLICK hat mit zwei Saudi-Arabien-Experten gesprochen und beantwortet die wichtigsten Fragen:

Wie glaubwürdig ist die Version einer Prügelei im Innern des Konsulats? 

Alle Indizien sprechen dagegen. Da sind einerseits die Tonaufnahmen der Türken, die die Folterung und brutale Ermordung Khashoggis aufgezeichnet haben. Dem Journalisten sollen die Finger abgeschnitten worden sein, bevor ihm eine Spritze verpasst wurde. Anschliessend soll der saudische Gerichtsmediziner Salah Muhammed Al-Tubaigy auf den Tonaufnahmen zu hören sein, wie er mit einer Knochensäge zur Tat schritt und dabei seinen Kollegen zurief: «Wenn ich diesen Job mache, höre ich Musik. Ihr solltet das auch tun.»

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Ein Jahr nach dem Mord an Jamal Khashoggi gedenkt Hatice Cengiz ihrem Verlobten.
Foto: Keystone

Andererseits ist es schwer zu glauben, dass für eine Befragung Khashoggis eine 15-köpfige-Delegation nötig gewesen wäre, die am selben Tag ins Land ein- und wieder ausreiste. Autor Thomas Lippman, der sich auf die Beziehungen zwischen Saudi-Arabien und den USA spezialisiert hat, sagt zu BLICK: «Ich kannte Herrn Khashoggi persönlich. Er würde sich niemals mit 15 Menschen prügeln. Niemand würde das tun. Das macht alles keinen Sinn. Es ist eine blanke Lüge!» 

Warum haben die Saudis jetzt ihre Geschichte geändert?

Der internationale Druck habe in den vergangenen Tagen enorm zugenommen, sagt Lippman. Saudi-Experte Jean-François Seznec glaubt, dass die saudische Regierung mit dem Teil-Geständnis die Reissleine zog. «Ihre Glaubwürdigkeit hat in den USA und in Europa gelitten. Das sind sehr wichtige Partner für die Saudis. Sie haben in diese Beziehungen in den vergangenen Jahren enorm viel investiert. Das wollen sie nicht kaputtmachen.» 

Dass der Fall Khashoggi (†59) für die Saudis bereits kurzfristig Konsequenzen nach sich zog, zeigte sich diese Woche. Diverse CEOs gaben ihr Fernbleiben vom Investoren-Gipfel in Riad von Ende Monat bekannt. Unter den prominenten Absagen sind Jamie Dimon, CEO von JP Morgan, Ford-Vorsitzender Bill Ford, AOL-Gründer Steve Case und Uber-Chef Dara Khosrowshahi. Auch CS-Chef Thiam und ABB-Chef Ulrich Spiesshofer gaben dem Event, der auch als «Davos in der Wüste» bezeichnet wird, einen Korb. 

Was bezwecken die Saudis mit der neuen Darstellung?

Es soll ein Ausweg sein. Thomas Lippman sagt: «Niemand auf dieser Welt kauft den Saudis diese Story ab. Aber der Punkt ist eben, dass einige Personen so tun werden, dass sie die Geschichte glauben.» Der Grund dafür sind nationale Interessen. Die USA hat mit den Saudis einen milliardenschweren Waffendeal abgeschlossen. Daran hängen Tausende von Jobs und, natürlich, Milliarden von Dollar. 

US-Präsident Donald Trump (72) sagte vergangene Woche gar: «Die Russen hätten diesen Auftrag gerne gehabt, ebenso die Chinesen.» Er werde jetzt sicher nicht das Geschäft und Milliarden von Dollar aufs Spiel setzen.

Trump findet die Wende «glaubwürdig». Was bedeutet das? 

Dass er den offerierten Ausweg der Saudis dankend annimmt. US-Präsident Donald Trump (72) hat zwar gesagt, dass er noch viele offene Fragen an Kronprinz Mohammed Bin Salman habe und ihm diese stellen werde. Doch er hat am Freitagabend auch nochmals klargemacht, dass der Waffendeal nicht zur Diskussion steht – zumindest wenn es nach ihm geht. Harte Konsequenzen sind also nicht zu erwarten. Lippman sagt dazu: «Es überrascht mich gar nicht, dass Trump den Saudis glaubt. Er kauft ja auch Putin und Kim alles ab.»

Wusste Kronprinz Mohammed Bin Salman, dass Khashoggi getötet werden soll?

Das ist eine der grossen, entscheidenden Fragen. Denn sollte es harte Beweise geben, dass Bin Salman von der Tötung gewusst oder sie gar in Auftrag gegeben hatte, würde auch Trumps Haltung stark ins Wanken kommen. Bislang gibt es nur Indizien, die dafür sprechen. Gemäss einem Bericht der «New York Times» kommen die Verdächtige aus dem Umfeld von Bin Salman. Dies alleine ist aber natürlich noch kein Beweis. 

Aber ist ein solches Mordkomplott überhaupt umsetzbar, ohne das Wissen des Kronprinzen? Laut Saudi-Experte Lippman ist das unvorstellbar: «Klar hat er davon gewusst. Da habe ich keine Zweifel.» Auch Jean-François Seznec glaubt, dass der Kronprinz zumindest davon Wind gekriegt hat: «Er hat vielleicht nicht wirklich den Mord angeordnet, muss sich aber der Pläne bewusst gewesen sein.»

Der Fall Khashoggi

Seit dem 2. Oktober wird der saudische Regierungskritiker und Journalist Jamal Khashoggi vermisst. Die Anzeichen verdichten sich, dass der 59-Jährige im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul ermordet und zerstückelt wurde. Der saudische Regierung streitet aber nach wie vor ab, hinter dem Verschwinden des Journalisten zu stecken.

Die neuesten Entwicklungen und Enthüllungen erfahren Sie hier im News-Ticker zum Thema.

Der verschwundene saudiarabischen Journalist Jamal Khashoggi soll zunächst gefoltert und später enthauptet worden sein. (Archivbild)
Der verschwundene saudiarabischen Journalist Jamal Khashoggi soll zunächst gefoltert und später enthauptet worden sein. (Archivbild)
KEYSTONE/AP/HASAN JAMALI

Seit dem 2. Oktober wird der saudische Regierungskritiker und Journalist Jamal Khashoggi vermisst. Die Anzeichen verdichten sich, dass der 59-Jährige im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul ermordet und zerstückelt wurde. Der saudische Regierung streitet aber nach wie vor ab, hinter dem Verschwinden des Journalisten zu stecken.

Die neuesten Entwicklungen und Enthüllungen erfahren Sie hier im News-Ticker zum Thema.

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