Wie gut kann ein überfülltes Flüchtlingscamp riechen? An den sonnigen Tagen: sehr gut.
Auf einem Hügel mitten in Moria, dem Slum am Rande Europas, herrscht dann buntes, geschäftiges Treiben. Frisch gebackenes Brot, Obst und Gemüse, afghanische Hühnersuppe, Milchprodukte und Elektronik: Das Angebot an einem der elendesten Orte des Kontinents ist erstaunlich gross.
Der Markt sieht aus, als wäre er schon immer da gewesen. Dabei ist er noch relativ neu. Bis vor kurzem wurden alle unerlaubten Bauten von der Verwaltung abgerissen. Erst seit der letzte Camp-Leiter im September hingeschmissen hat, herrscht in Moria fröhliches Unternehmertum. Wer einen Platz findet und niemanden stört, baut seinen Marktstand einfach mitten rein.
«Bakery Lane» mitten im Flüchtlingscamp
Die Preise sind fair. 50 Cent etwa kostet eins der riesigen Naan-Fladenbrote, die Afghanen routiniert im selbst gebauten Tandur-Ofen backen: Einer knetet den Teig, einer formt die Fladen, der Dritte backt sie im Erdloch.
Gleich eine ganze Reihe dieser Bäckereien hat sich nebeneinander etabliert. «Bakery Lane» nennen Freiwillige sie. Das erinnert an einen Strassennamen in Australien, Grossbritannien oder den USA. Und ist doch nur: ein Trampelpfad mit ein paar provisorischen Zelt-Backstuben.
Für die Geflüchteten ist der bunte Markt inmitten der chaotischen Camp-Struktur ein Segen. So verlieren sie keine Zeit und kein Geld, um nach Mytilini, dem Zentrum von Lesbos, zu kommen. Die Waren kommen mit Schiffen aus Athen, Griechen liefern sie ins Camp.
Im besten Moment ist Moria ein Dorf aus 60 Nationen
Der Markt hilft, die schwierige Situation in Moria erträglicher zu machen. Die sieht so aus: Neuankömmlingen wird praktisch nur noch ein Zelt in die Hand gedrückt. Den Platz müssen sie sich selbst suchen. Im «Dschungel», dem hügeligen Olivenhain, der das EU-finanzierte Flüchtlingslager umgibt. Und der sich bei Regen in eine einzige Schlammmasse verwandelt.
90 Euro bekommen Asylbewerber in Moria pro Monat. Es fehlt an allem: Platz, Essen, Toiletten. Ein blinder Afrikaner wird von einem Freund über den Platz geführt. Ein junger Mann schiebt eine alte Frau im Rollstuhl durch die unebenen Gassen.
Moria, das ist in seinen besten Momenten ein Dorf aus 60 Nationen. Nachts aber ist es ein Ghetto aus 60 Nationen. Dann sind die Schotten dicht, die Marktstände geschlossen, und wer nicht unbedingt muss, verlässt sein Zelt oder seinen Container nicht. Zu gross ist die Angst vor Räubern und Vergewaltigern.
«Nicht dass Neid aufkommt»
Bis zu einem Dutzend Messerstiche behandeln die ehrenamtlichen Helfer im Camp – pro Woche. Im Januar gab es zwei Todesfälle. Dazu einen Camp-Bewohner, der sich im Gefängnis das Leben genommen hat.
Der Markt gibt Struktur. Die Möglichkeit, selbständig zu sein; eine Arbeit, eine tägliche Aufgabe zu haben, gibt Menschen in einem schwierigen Umfeld Halt und Sinn. Sich selbständig zu machen, ist für viele ein Antrieb. Wer beschäftigt ist, hat keine Zeit für Streit.
Und: Der Markt dreht auch die Rollen um. Die Geflüchteten, die sonst auf Hilfe angewiesen sind, bieten plötzlich etwas an, das allen zugutekommt. «Ich liebe es, da zu essen», sagt eine Schweizer Helferin. «Es schmeckt so gut.» Sie versuche nur, auch regelmässig etwas bei den Griechen zu kaufen, die direkt vor den Toren Morias ihre Foodtrucks aufgebaut haben. «Nicht dass Neid aufkommt.»