Regime droht Demonstranten mit Härte
High Noon in Thailand

Die Zeichen stehen auf Eskalation bei den Studentenprotesten in Bangkok. Die Demonstranten wollen den Sturz der alten Garde. Die Regierung droht mit Härte und versucht den Status quo mit allen Mitteln zu verteidigen.
Publiziert: 17.10.2020 um 13:42 Uhr
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Aktualisiert: 23.10.2020 um 09:44 Uhr
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High Noon in Bangkok.
Foto: ZUMA Wire
Daniel Kestenholz, Bangkok

Ungleiches Kräftemessen in Thailand. Die junge Generation des Landes nimmt es mit dem Regime und der alten Garde des Landes auf. Noch verlaufen die Proteste friedlich. Die Lage kann jederzeit kippen. Ausgerechnet an den Schauplätzen in Bangkoks Downtown, wo sich Rot- und Geldhemden in den vergangenen Jahren teils blutige Kämpfe lieferten, marschiert jetzt Thailands junge Generation auf - und fordert Wandel und einen Neubeginn im krisengeplagten Land.

In Bangkok herrscht seit der Nacht auf Donnerstag ein doppelter Ausnahmezustand. Die thailändische Hauptstadt steht unter Notrecht, um die Covid-Pandemie im Zaum zu halten, und neuerdings unter einem zweiten Notrecht, um die Antiregierungsproteste einzudämmen. Beide Notrechte würden nicht dienen, um Land und Menschen zu schützen, schreibt das thailändische Nachrichtenportal «Thai Enquirer». Die Machthaber greifen zu scharfen Gesetzen, um sich selbst zu schützen.

Doch trotz Versammlungsverbot und angedrohten scharfen Strafen lassen sich die zumeist jungen Regimegegner nicht einschüchtern. Auch die Verhaftung von Dutzenden Studentenführern, darunter der unerschrockenen 22-jährigen Panusaya Sithijirawattanakul, vermochte den Kampfgeist der Demonstranten nicht zu brechen.

Thailands junge Generation will Wandel

Die in den späten 90er Jahren geborene Generation Z hat zu Lebzeiten nur Staatsstreiche, Proteste und Militärregierungen gekannt. Mädchen haben sich in der Schule noch immer das Haar kurz zu schneiden, im Unterricht herrscht scharfer Drill. Ein Video der Erziehungsbehörde, wie sich Jüngere demütig gegenüber Älteren zu benehmen haben, sorgte unter Thailands Jugendlichen unlängst bloss noch für Hohn und Spott.

Die junge Generation Thailands hat genug vom alten System und kann den Wunsch nach Wandel nicht länger unterdrücken, seit ihre Partei bei den Wahlen letztes Jahr unerwartet stark abgeschnitten hat. Auf Anhieb wurde die Partei eines oppositionellen Jungunternehmers drittstärkste Kraft im Land! Doch die Generäle fanden einen Weg, um die Partei unter fadenscheinigen Gründen zu verbieten.

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Studenten, denen sich auch Schüler und zahlreiche ältere Regierungsgegner anschliessen, fordern den Rücktritt von Putschgeneral Prayuth Chan-Ocha (66), der sich seit seinem Staatsstreich im Mai 2014 an der Macht hält. Weiter wollen die Protestler eine neue Verfassung, die nicht länger von den Uniformierten kontrolliert werden kann. Und sie fordern Reformen im Königshaus - eine Forderung, wie sie vor wenigen Monaten noch undenkbar war. Nicht abschaffen wollen sie die Monarchie, doch Transparenz in einer Institution schaffen, die in einer anderen Zeitrechnung verblieben scheint.

Fingierter Zwischenfall?

Die schweigende Mehrheit im Land beobachtet die drohende Eskalation in Bangkok mit Sorge. Die Corona-Krise beisst schon hart genug. Eine politische Krise neben der wirtschaftlichen droht das Land gänzlich entgleisen zu lassen. So schien die Regierung am Mittwoch einen Vorwand zu schaffen, um hart gegen die Demonstranten vorgehen zu können, wie auf sozialen Medien in Thailand spekuliert wird.

Ein Konvoi mit Königin Suthida (42) wurde eigens durch die Reihen von Demonstranten gefahren, obwohl eine andere Route abgemacht war. Die Demonstranten liessen den Konvoi widerstandslos passieren. Die Königin blickte auch erstaunt aus dem Fenster, während ihr die Demonstranten drei Finger entgegenstreckten - ein Zeichen aus der Filmreihe «Die Tribute von Panem» und Ausdruck des demokratischen Protests. König Maha Vajiralongkorn (68) befand sich nicht in der Limousine.

Stunden später rief die Regierung das Notrecht aus, weil die Königin bedroht worden sei. Dies, obschon Bildmaterial keinerlei Aggressionen seitens der Demonstranten zeigt. Im Gegenteil öffneten sie eine Schneise für den Konvoi. Bei der Ausrufung des Notrechts beriefen sich die Machthaber auf ein altes Gesetz, das thailändischen Medienberichten zufolge letztmals unter Jungkönig Rama VIII angewendet worden sei, der von 1935 bis 1946 herrschte.

Demonstranten tricksen Sicherheitskräfte aus

Die angebliche Willkürjustiz im Land und Inkompetenz der Regierung treiben immer mehr Menschen ins Lager der Regierungsgegner. Thailand, eine ehemalige Tigernation Südostasiens, gilt nach jahrelanger Misswirtschaft durch die Generäle als das Rücklicht der Region. Die Wahlen letztes Jahr waren Beobachtern zufolge keinesfalls fair. So zum Beispiel wurde ein Verteilschlüssel für Sitze nachträglich noch abgeändert, um die Regimepartei zu bevorteilen. Jetzt verfolgt die Nation mit einer Spur Belustigung, wie die Demonstranten Katz-und-Maus mit der Polizei spielen.

Am Freitag sicherten Hundertschaften von Polizeieinheiten Ratchaprasong, wo wie am Vorabend ein Protest stattfinden sollte. Zu einer zweiten Blossstellung der überrumpelten Sicherheitskräfte sollte es nicht kommen, so der Plan. Doch die Demonstranten liessen die aufmarschierte Polizei wortwörtlich im Regen stehen. Bei strömendem Monsun versammelten sich die Regierungsgegner einfach eine Strassenkreuzung weiter in Pathumwan, während die Uniformierten eine leere Kreuzung schützten. Später rückten sie vor und setzten Wasserwerfer ein - mit Wasser, dass Demonstranten zufolge mit Chemikalien versetzt schien und in den Augen brannte. Die Menge skandierte Rufe gegen den Premier mit «hia», einer thailändischen Version des F-Wortes.

Am Samstag ein ähnliches Bild. Bereitstehende Sicherheitskräfte wurden wieder überrumpelt, indem sich Massen von jungen Menschen an drei neuen Orten in Bangkok versammelten. Die Behörden schlossen noch die Hoch- und U-Bahn, doch auch das vermochte den Aufmarsch von vielen Tausenden nicht zu stoppen. Die Proteste verliefen ruhig und friedlich. Uniformierte bemühten sich erst gar nicht mehr, gross Präsenz zu zeigen. Das Schauspiel dürfte sich über die nächsten Tage wiederholen - bis eine Seite nachgibt.

Welche Seite gibt zuerst nach?

«Eine Seite muss nachgeben», sagte der renommierte Politologe Thitinan Pongsudhirak im Gespräch mit «CNBC». Die junge Generation kenne nur Militärregierungen und Stagnation. Am einfachsten sei es für die Regierung, auf die Rücktrittsforderung der Studenten einzugehen, wonach Premier Prayuth zurücktrete. Doch auch dies scheine höchst unwahrscheinlich. Die Zeichen stehen auf Konfrontation.

Das heikle Thema der Reformen im Königshaus versprach Prayuth nächsten Monat aufzugreifen, wenn das Parlament wieder tagt. Doch den vielen Reformversprechen Prayuths, die immer bald vergessen gehen, trauen die Regierungsgegner nicht länger. Zudem ist das thailändische Abgeordnetenhaus ein Papiertiger. Ohne Verfassungsänderung bleibt die Opposition gelähmt. So können die Regimeparteien auf den Senat zählen. Der hat wichtige Entscheidungen zu bestätigen - und ist vom Regime handverlesen.

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