Verschwundene Protest-Anführerin soll Belarus verlassen haben
Wo ist Maria Kolesnikowa?

Die belarussische Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa soll das Land verlassen haben. Das behauptet bislang allerdings nur der Grenzschutz.
Publiziert: 08.09.2020 um 08:19 Uhr
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Aktualisiert: 27.01.2021 um 07:06 Uhr
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Treibende Kraft hinter den Anti-Regierungs-Protesten: Maria Kolesnikowa.
Foto: keystone-sda.ch

Noch vor kurzem spazierte Maria Kolesnikowa (38) furchtlos durch Minsk. Die Lukaschenko-Gegnerin führte den Protest in Belarus an, während ihre Mistreiterinnen längst ausser Landes weilten. Gemeinsam mit Swetlana Tichanowskaja (37) und Veronika Zepkalo (Alter unbekannt) trat sie bei der Präsidentschaftswahl am 9. August gegen den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko an.

Nun ist sie verschwunden. Entführt? Geflohen?

Am Dienstagmorgen teilten die Behörden mit: Die Oppositionspolitikerin halte sich in der Ukraine auf. Am frühen Morgen habe sie die Grenze gemeinsam mit ihrem Mitarbeiter Iwan Krawzow und ihrem Sprecher Anton Rodnenkow passiert.

Die Staatsagentur Belta meldete, Kolesnikowa habe versucht, das Land illegal zu verlassen. Dabei sei sie festgenommen worden. Sie habe danach dennoch ausreisen können, hiess es. Von ihrem Team gibt es bislang keine Bestätigung für diese Informationen.

Mehrere belarussische Journalisten schreiben auf Twitter, Kolesnikow sei an der Grenze verhaftet – lediglich ihr Mitarbeiter und ihr Sprecher seien in der Ukraine.

Entführung befürchtet

Seit Montagvormittag gab es von der einer der wichtigsten Anführerinnen der Proteste gegen Staatschef Alexander Lukaschenko kein Lebenszeichen. Der Koordinierungsrat der Demokratiebewegung, dem sie angehört, ging davon aus, dass Kolesnikowa im Zentrum der Hauptstadt Minsk von Unbekannten entführt worden war.

Das Innenministerium hatte mitgeteilt, es habe Kolesnikowa nicht festgenommen. Der Rat forderte die sofortige Freilassung.

Kolesnikowa ist eigentlich Musikerin

Lukaschenko geht seit Tagen gegen den Koordinierungsrat vor und liess mehrere Mitglieder festnehmen. Der Rat will einen friedlichen Machtübergang durch Dialog erreichen. Kolesnikowa ist eine der wichtigsten Oppositionellen, die sich gegen Lukaschenko stellen.

Dabei ist Kolesnikowa eigentlich Musikerin! In Minsk studierte sie Querflöte und Dirigieren. Dann ging sie an die Musikhochschule in Stuttgart – und blieb. Zwölf Jahre lebte sie in Deutschland, spricht die Fremdsprache fliessend. Ihre Freundschaft mit dem Bankdirektor und Kunstförderer Wiktor Babariko (56) brachte sie zurück nach Minsk: Er überzeugte sie im vergangenen Jahr, das Kulturzentrum OK-16 in Minsk zu leiten.

Und Babariko brachte sie auch in die Politik. Er wollte Lukaschenko bei den Präsidentschaftswahlen herausfordern, wurde aber verhaftet – ebenso wie die Männer von Swetlana Tichanowskaja und Veronika Zepkalo. Gemeinsam machten die drei Frauen Wahlkampf, wurden zu Ikonen. «Unser Ziel ist der Sieg. Unsere Strategie: Wir vereinen alle Belarussen, also die grösstmögliche Anzahl von Wählergruppen, die gegen die derzeitige Staatsmacht sind und für Swetlana Tichanowskaja stimmen. Das ist unsere Hauptbotschaft», zitiert der «Deutschlandfunk» die Musikerin Kolesnikowa. Auf der Bühne formten die Frauen mit den Händen Symbole: das Victory-Zeichen, die erhobene Faust – und ein Herz, das zu Kolesnikowas Markenzeichen wurde.

Lukaschenko-Gegnerin will Partei gründen

Als einzige des Trios wagte sich Kolesnikowa auch nach der manipulierten Präsidentschaftswahl – bei der Diktator Lukaschenko angeblich 80,1 Prozent erhielt – aus der Deckung. Sie trat bei den Protesten auf, gab Pressekonferenzen. Bat die EU, sich nicht zu sehr einzumischen – und sendete zeitgleich Signale der Verbundenheit an Russland. Ihre Botschaft: Frieden und Demokratie, keine Revolution.

Erst vergangene Woche kündigte sie an, eine Partei zu gründen: «Wmestje» - «Zusammen». In ihrer Videobotschaft sagte sie: «Hunderte und Tausende von Belarussen sind bereit, Verantwortung zu übernehmen und zusammen ein neues Belarus aufzubauen».(SDA/kin)

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