Sie ist das Symbol der süditalienischen Armut. Die Plattenbau-Siedlung Vele di Scampìa im Norden von Neapel. In diesem riesigen Gebäudekomplex kontrollierten und organisierten die Camorra-Clans ihren Drogenhandel – durch den Film «Gomorrha» und der gleichnamigen Serie erlangte die Überbauung Berühmtheit über Italiens Grenzen hinaus. Jetzt werden die Häuser abgerissen!
«Ein Tag der Freude!»
Und anders als in der Schweiz, wo bei einem Abbruch eines Altbaus häufig grosse Kritik mit einhergeht, wird das Ende der Vele di Scampìa – zu Deutsch Segel von Scampìa – in Neapel fast wie bei einem Volksfest gefeiert. «Das ist ein Tag zum Feiern und der Freude!», sagt denn auch der Neapolitanische Bürgermeister Luigi De Magistris zum Online-Portal «Napoli Today». Am Abend werden zahlreiche neapolitanische Stars ein Konzert zur Feier des Tages geben.
Mit dem Abriss der desolaten Wohnsiedlung soll nämlich der Grundstein gelegt werden für die Aufwertung des Problemquartiers. Eine grassierende Arbeitslosigkeit und viele Morde auf offener Strasse machten aus Scampìa eine typische No-Go-Area. Zur Freude der Camorra-Clans, die hier mehr oder weniger offen ihrem Geschäft nachgehen konnten und jede Menge Jugendliche für Jobs rekrutieren konnte. Über 50 Prozent der Jugendlichen in Neapel sind arbeitslos – meistens ist die Mafia der einzige «zuverlässige» Arbeitgeber.
Bürgerbewegung kämpfte für den Abriss
Viele Eltern, die in den tristen Wohnblöcken lebten, liessen ihre jungen Söhne ab einem gewissen Alter darum nicht mehr nach draussen – aus Angst, dass sie von den Mafiosi umgarnt und dann engagiert werden. Das beschrieb der Italienische Journalist und Buchautor Roberto Saviano in seinem Bestseller «Gomorrha».
Dass es dem Symbol der süditalienischen Armut nun an den Kragen geht, ist der Bürgerbewegung Comitato Vele zu verdanken, die sich für eine Aufwertung des Quartiers stark gemacht hat. Darauf machte am Donnerstag auch Neapels Bürgermeister De Magistris aufmerksam.
Kein Ort für Wahlkampfauftritte
Das Komitee wehrt sich gleichzeitig auch fleissig dagegen, dass die Tristesse in Scampìa von Politikern als gute Kulisse für Wahlkampfauftritte missbraucht wird. Zuletzt hat das Komitee zusammen mit den Sardinen etwa erfolgreich einen Auftritt von Italiens Ex-Innenminister Matteo Salvini im Quartier verhindert, wie «il Mattino» berichtet hat.
Die Vele di Scampìa wurden in den 60er- und 70er-Jahren nach Plänen von Architekt Franz di Salvo gebaut. Und er hatte ein Schweizer Vorbild: Architekt Le Corbusier und sein Wohnhaustyp «Unité d’Habitation» – genannt die «Wohnmaschine». Bereits um die Jahrtausendwende wurden erste Wohnblöcke im Quartier abgerissen.