Die Ibiza-Affäre hat in Österreich für ein politisches Beben gesorgt. Die Regierung aus ÖVP und FPÖ zerbrach daran. Ex-Vizekanzler und Hauptprotagonist des Skandal-Videos, Heinz-Christian Strache, trat daraufhin zurück und legte auch sein Amt als FPÖ-Chef nieder. Gegen den damaligen Kanzler Sebastian Kurz wurde das Misstrauensvotum ausgesprochen. Der weltweit jüngste Regierungschef musste seinen Hut ziehen und wurde zum jüngsten Alt-Kanzler.
Infolge der Ibiza-Affäre hatte Österreichs Ex-Kanzler Kurz in Rücksprache mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen jedoch am 18. Mai 2019 vorgezogene Nationalratswahlen bekannt geben. Diese finden kommenden Sonntag statt. Vier Monate nach seinem Rücktritt schlägt für Kurz die Woche der Wahrheit. Nun, nur wenige Tage vor den besagten Wahlen, äussert sich Kurz, der für die ÖVP als Spitzenkandidat fürs Kanzleramt in Rennen geht, im «Bild»-Interview zu den Kernthemen Klimawandel, Migrations-Politik und dem Flüchtlingspakt mit der Türkei.
Erwartet Europa eine erneute Flüchtlingskrise?
Kurz befürchtet demnach eine erneute Flüchtlingskrise wie jene im Jahr 2015. «Ich habe das Gefühl, wir in Europa sind schuld daran, dass das so ist. Wenn ich mir anschaue, wie sich die Politik in Spanien geändert hat in den letzten Jahren, hin in Richtung wieder mehr offene Grenzen. Wenn ich mir anschaue, was jetzt in Italien die neue Linie ist, nämlich wieder offene Häfen und eine Umkehr in der Migrationspolitik, dann habe ich schon das Gefühl, dass die Signale, die teilweise aus Europa in Richtung Afrika, in Richtung der Schlepper gesandt werden, keine sehr richtigen Signale sind», sagt Spitzenkandidat Kurz.
Doch der ÖVP-Politiker sieht auch potenzielle Lösungen: «Was mich positiv stimmt: Ich habe diese Woche mit den Premierministern in Bulgarien und Griechenland telefoniert, und die sind beide sehr entschlossen, die Grenzen zu schützen, sind gegen ein Weiterwinken nach Mitteleuropa, wie das im Jahr 2015 schon mal der Fall war. Also wenn wir wollen, können wir unsere Aussengrenzen schon schützen, aber ich glaube, es braucht die richtigen Signale und auch einen Fokus auf dieses Thema.»
Kurz will Erdogan bei Flüchtlingspakt in die Pflicht nehmen
Auch betreffend Flüchtlingspakt mit der Türkei hat Kurz eine klare Haltung: «Es gibt einen Deal mit der Türkei, der hat uns teureres Geld gekostet als die Europäische Union, und insofern glaube ich, wäre es sinnvoll, wenn wir als Europäische Union geschlossen Präsident Erdogan vermitteln, dass wenn er sich nicht an diesen Deal hält, das Konsequenzen hat, vom Abbruch der Beitrittsverhandlungen angefangen – was wir schon lange fordern – bis hin zu anderen wirtschaftlichen Konsequenzen für die Türkei. Ich glaube, wenn wir uns auf sein Spielfeld begeben und wieder mit ihm in Verhandlungen einsteigen, dann werden wir immer mehr an ihn bezahlen, und er wird immer mehr den Eindruck haben, dass er uns in der Hand hat.»
Doch nicht nur die Flüchtlingskrise beschäftigt die österreichische Politik, auch das Thema Klimawandel ist ein wichtiger Punkt. «Wir werden uns bewusst dafür starkmachen, dass es einen stärkeren Lenkungseffekt auf europäischer Ebene gibt. Es bringt aus meiner Sicht nichts, wenn wir Kerosin in Österreich besteuern und dann die Flüge nicht mehr vom Flughafen Wien, sondern vom Flughafen Bratislava (Hauptstadt der Slowakei, Anm. d. Reaktion) starten und die Leute vielleicht sogar eine Stunde länger im Auto sitzen, um zum Flughafen zu kommen. Was aber Sinn macht, ist eine Kerosin-Besteuerung auf europäischer Ebene», sagt Ex-Kanzler Kurz.
«Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien»
Kurz setzt in Kampf gegen den Klimawandel auf weniger Import-Fleisch: «Was wir uns auch wünschen würden auf europäischer Ebene, wären CO2-Zölle. Dass wir zum Beispiel nicht mehr vom anderen Ende der Welt Fleisch und anderes nach Europa importieren, obwohl wir bei uns eigentlich sehr gute heimische, regionale Produkte hätten. Das ist auch der Grund, warum wir dem Abkommen Mercosur gegenüber sehr skeptisch sind. Und dann gibt es auch viele Massnahmen, die wir in Österreich setzten. Unser Hauptfokus in Österreich ist, dass wir den Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien gewinnen wollen. Wir sind schon bei einer Quote von 70 Prozent, wir haben keinen Atomstrom, wir sperren gerade das letzte Kohlekraftwerk zu, und bis 2030 wollen wir 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energie – ein ganz wesentlicher Schritt im Kampf gegen den Klimawandel», so ÖVP-Kanzlerkandidat Kurz. (rad)