Wie der russische Aussenminister Sergej Lawrow über die syrischen Rebellen spricht, lässt keinen Zweifel: «Sie sind ein Eitergeschwür, das beseitigt werden muss.» Die Offensive gegen deren letzte Bastion in Idlib – im äussersten Nordwesten des vom Bürgerkrieg verwüsteten Landes – wird mit unerbittlicher Härte erfolgen. Es droht ein Blutbad.
300'000 Soldaten der syrischen Armee, Milizionäre iranischer Verbände und russisches Militär haben die Stadt in drei Ringen umzingelt. Für 70'000 Rebellenkämpfer gibt es kein Entkommen.
Die meisten von ihnen sind radikale Islamisten und denken nicht daran, aufzugeben: «Ein Waffenstillstandsabkommen wird es unter keinen Umständen geben», sagt Abu Muhammad al-Dschaulani, der Emir von Haiat Tahrir al-Scham (HTS), einer der Al Kaida nahestehenden Gruppe, die 60 Prozent der Provinz Idlib kontrolliert.
Bevölkerungszahl verdoppelt
Die Rebellen sprechen von der «Mutter aller Schlachten», einem Kampf auf Leben und Tod. Die Europäische Union warnte gestern vor einer humanitären Katastrophe. Leidtragende werden vor allem die Zivilisten sein. Eineinhalb Millionen sind nach Idlib geflüchtet. Damit leben dort schätzungsweise fast drei Millionen Menschen – doppelt so viele wie vor dem Bürgerkrieg. «Für uns gibt es kein Entkommen mehr», sagt Kamal, Vater von vier Kindern. «Wir können nur noch sterben.»
Die Lage ist verzweifelt. Die Türkei hat ihre Grenzen geschlossen. Wer dem Gemetzel entfliehen will, kann dies nur auf einem von Russland eingerichteten Fluchtkorridor, derim Osten von Idlib bei Abu al-Duhur direkt auf das Gebiet der syrischen Armee führt.
«Das kommt für mich und meine Familie nicht in Frage», sagt Kamal. «Ich stehe auf der schwarzen Liste des Regimes und würde sofort im Gefängnis landen.»
Tatsächlich wurden Tausende Oppositionelle und auch solche, die man nur dafür hielt, verhaftet und gefoltert. Viele von ihnen verschwanden spurlos. «Vielleicht können wir genügend Geld sammeln», hofft Kamal, «um einen Schmuggler zu bezahlen, der uns in die Türkei bringt.»
«Es wird bestimmt noch schlimmer»
Für Kamal und seine Familie wäre es die zweite Flucht. Erst vor einem Monat entkamen sie aus Daraa, einem anderen Rebellengebiet im Süden des Landes, das jetzt in der Hand des syrischen Regimes ist. «Es war schrecklich, besonders für die Kinder, überall Bomben und Granaten», erzählt der Familienvater. «Oh Allah, hier in Idlib wird es bestimmt noch schlimmer!»
Wann die «Mutter aller Schlachten» beginnt, steht nicht fest. Eine Entscheidung könnte am 7. September in Teheran fallen. Dort treffen sich Iran, Russland und die Türkei, um über das Schicksal Idlibs zu beraten.
Es liegt an der Regierung in Ankara, dass der Grossangriff auf die Rebellenbastion nicht schon längst rollt. Die türkische Armee hat zwölf Beobachtungsposten in Idlib eingerichtet – entlang der Grenze des Gebiets, das die syrische Armee kontrolliert. Ein Angriff ohne Absprache mit der Türkei könnte bewaffnete Auseinandersetzungen mit dem Nato-Partner zur Folge haben.
Ankara warnt bereits vor dem Einsatz von Gewalt und einer humanitären Katastrophe. Die Kämpfer müssten von den Zivilisten getrennt werden, forderte Aussenminister Mevlüt Cavusoglu bei einem Besuch in Moskau.
Haiat Tahrir al-Scham (HTS): Al Kaida nahestehende Dschihadisten-Allianz, kontrolliert 60 Prozent von Idlib
Islamischer Staat (IS): Immer noch präsent, inzwischen von der HTS abgespalten
Syrische Armee: Assad will Idlib mit Unterstützung der Russen erobern.
Türkische Streitkräfte: Mit Beobachtungsposten in der Nordwest-Provinz präsent.
Haiat Tahrir al-Scham (HTS): Al Kaida nahestehende Dschihadisten-Allianz, kontrolliert 60 Prozent von Idlib
Islamischer Staat (IS): Immer noch präsent, inzwischen von der HTS abgespalten
Syrische Armee: Assad will Idlib mit Unterstützung der Russen erobern.
Türkische Streitkräfte: Mit Beobachtungsposten in der Nordwest-Provinz präsent.
Seit 2011 tobt der syrische Bürgerkrieg zwischen dem Assad-Regime und verschiedenen Rebellen-Gruppen. Dort engagieren sich auch ausländische Mächte, allen voran Russland und die USA oder die Türkei.
Seit 2011 tobt der syrische Bürgerkrieg zwischen dem Assad-Regime und verschiedenen Rebellen-Gruppen. Dort engagieren sich auch ausländische Mächte, allen voran Russland und die USA oder die Türkei.
Doch sein Amtskollege Lawrow hält davon wenig. Er möchte das «Eitergeschwür» so schnell wie möglich beseitigen.