Indien wählt. Und wenn die grösste Demokratie der Welt ab Donnerstag wieder wählt, gibts nur Superlative. Zahlen für den Inder-Wahnsinn gefällig?
Rund 900 Millionen Wahlberechtigte – fast 180-mal so viele wie in der Schweiz!
In 29 Bundesstaaten mit 543 Wahlkreisen treten Tausende Kandidaten an
Gewählt wird bis zum 19. Mai in sieben Etappen in einem Zeitraum von sechs Wochen
Für die Mega-Wahl sind 1,1 Millionen elektronische Wahlmaschinen nötig. Einige davon müssen durch den Dschungel oder das Gebirge transportiert werden. Denn: Sie müssen auch ein Dörfchen mit nur einem einzigen Einwohner an der Grenze zu China und ein Tiger-Reservat, in dem ein Mann allein lebt, erreichen.
Die Kosten für das «Demokratiefestival», wie es Premierminister Narendra Modi (68) bezeichnet: gigantische 500'000'000'000 Indische Rupien – mehr als sieben Milliarden Franken. Zum Vergleich: Die US-Wahl hat 2016 gut 6,5 Milliarden Franken gekostet.
Worum geht es bei der Parlamentswahl?
Die Inder wählen die neuen Abgeordneten fürs «Lok Sabha», das Unterhaus. Aktuell sind mehr als 30 Parteien vertreten, die hindunationalistische Bharatiya-Janata-Partei (BJP) von Premierminister Modi erreichte bei den Parlamentswahlen 2014 die absolute Mehrheit. Der heizt den Wahlkampf unter dem inoffiziellen Motto «India first» seit Monaten ordentlich an.
Ist Modi der indische Trump?
Der Regierungschef hat sich bei seinem amerikanischen Amtskollegen einiges abgeschaut: Das Manifest seiner Partei ist nationalistisch geprägt, und Modi punktet, in dem er auf Sicherheitsthemen setzt. Anders als Trump sieht Modi aber die wirtschaftliche Abschottung. Beim WEF 2018 warnte er deutlich vor Protektionismus.
Auch wenn Indien kein Präsidialsystem hat und der Premierminister daher immer nur so mächtig ist wie seine Partei, hat Modi eine starke Symbolkraft. Privat lebe der silberbärtige Regierungschef wie ein Mönch, sagen Beobachter. Auf jeden Fall ist er unverheiratet und nennt sich selbst «Chowkidar» (Wächter).
Unter Modi kümmerte sich die Regierung zum Beispiel um den Ausbau der Toiletten im Land. Nach Regierungsangaben wurden seit Projektstart 90 Millionen Toiletten gebaut, die ländliche sanitäre Versorgung stieg innerhalb von vier Jahren von 39 auf 98 Prozent. Das hilft vor allem Frauen und Kindern, die ihre Notdurft nicht mehr ungeschützt vor ungewollter männlicher Aufmerksamkeit, giftigen Schlangen und Insekten verrichten müssen.
Wie geht es Indien wirtschaftlich?
Die Wirtschaft wächst deutlich langsamer als erhofft. Viele der Millionen jungen Inder, die jeden Monat neu auf den Arbeitsmarkt drängen, finden keine Jobs. Die Arbeitslosigkeit hat Berichten zufolge ihren höchsten Stand seit den 1970er-Jahren erreicht.
Den meisten Wählern blieb eine wirtschaftspolitische Massnahme Modis besonders im Gedächtnis: Im Jahr 2016 ordnete der Premierminister an, Banknoten im Wert von 86 Prozent des im Umlauf befindlichen Geldes praktisch über Nacht durch neue Scheine zu ersetzen. Wegen der folgenden Bargeldknappheit brach in Indien das Chaos aus.
Ist Indien wirklich so demokratisch?
Das Land mit der zweitgrössten Bevölkerung der Erde gilt als «unvollständige Demokratie». Im Demokratie-Index des «Economist» stand Indien 2008 noch auf Rang 35 – ein Jahrzehnt später rutschte es auf Platz 41 ab. Das liegt unter anderem an der Polizeiwillkür, der zunehmenden Einschränkung der Pressefreiheit und dem Umgang mit religiösen Minderheiten.
Welche Rolle spielt Religion bei der Wahl?
Indien wurde 1947 eigentlich als säkularer Staat gegründet. Doch die Angriffe auf christliche und muslimische Minderheiten häufen sich. Wer zum Beispiel die «heiligen» Kühe verspeist, muss mit Drohungen oder Tod rechnen. Liberale fürchten: Gewinnt Modis hindunationalistische Partei erneut, wird der Staat religiöser.
Wer könnte Modi schlagen?
Sein grösster Konkurrent für das Amt des Premierministers ist der 48-jährige Rahul Gandhi, der der Gandhi-Politikerdynastie entstammt und der oppositionellen Kongresspartei vorsitzt.
Gandhis Partei profitierte im vergangenen Jahr von der Unzufriedenheit vieler Wähler – insbesondere von Bauern – und konnte Regionalwahlen in drei strategisch wichtigen Bundesstaaten im sogenannten Kuhgürtel für sich entscheiden, der als Hochburg der hinduistischen Regierungspartei gilt.
In den jüngsten Umfragen, die allerdings chronisch unzuverlässig sind, lag Modi deutlich vor Gandhi. Das liegt offenbar auch an seiner Haltung im Kaschmir-Konflikt mit dem Nachbarn Pakistan, der im Februar wieder aufgeflammt war. Im Streit um die Grenzregion schossen beide Länder nach eigenen Angaben Kampfjets der Gegenseite ab. (Hier erzählt ein Schweizer aus dem gefährlichsten Gebiet der Welt)
Trotzdem scheint ein erneuter Sieg Modis im bevölkerungsreichsten Staat Uttar Pradesh unwahrscheinlich. Deshalb legt sich die BJP besonders im Nordosten des Landes und in Westbengalen ins Zeug. Erhält der Premierminister dort keine Mehrheit, könnte dies das Ende seiner Regierungszeit bedeuten.
Ist die Wahl sauber?
Der Urnengang selbst ist geheim – darauf achtet die nationale Wahlkommission, die Indien praktisch übernimmt, bis die Stimmen am 23. Mai ausgezählt sind.
Doch während die Wahlkommissare gut darin sind, die Wahlkabinen zu kontrollieren, haben sie alles, was davor geschieht, nicht im Griff: Im Kampf um Wählerstimmen fliesst das Schwarzgeld – genau wie Luxusgeschenke wie Fernseher oder Fahrräder.